Wertinger Zeitung

Eine Schnapside­e mit Folgen

Vor 100 Jahren trat das Alkoholver­bot in den USA in Kraft. Es sorgte für tausende Tote und hat Auswirkung­en bis heute

- / Von Christian Satorius

Die Initiatore­n des Alkoholver­bots hatten die Rechnung von Anfang an ohne den Wirt gemacht: Wenn man den Alkohol schlicht und einfach verbietet, so die Idee, könnte es künftig ja auch keine Alkoholike­r mehr geben, die Produktivi­tät würde so zunehmen, Kriminalit­ät und Korruption hingegen abnehmen, ja sogar die Kosten für Gefängniss­e und Gerichtsba­rkeit wollte man auf diese Weise reduzieren, und nicht zuletzt sollte das Ganze natürlich auch der öffentlich­en Moral zugutekomm­en. Aber es kam anders.

Als am 16. Januar des Jahres 1920 der 18. Zusatzarti­kel zur Verfassung der Vereinigte­n Staaten von Amerika in Kraft trat, der Herstellun­g, Transport und Verkauf von Alkohol über 0,5 Volumenpro­zent verbot, waren die Hoffnungen, die daran geknüpft waren, derart groß, dass sie eigentlich nur enttäuscht werden konnten. Das edle Experiment (engl.: The Nobel Experiment), wie die Prohibitio­n in den USA auch genannt wurde, scheiterte desaströs. Ja, mehr noch: Als das landesweit­e Alkoholver­bot im Jahr 1933 wieder abgeschaff­t wurde, war alles noch viel schlimmer als zuvor.

„Es war in jeder Hinsicht ein Fehlschlag“, bilanziert Mark Thornton, Professor für Ökonomie an der Auburn-Universitä­t in Alabama. Die Amerikaner wollten sich ihren Alkohol nämlich nicht so einfach verbieten lassen und wurden kreativ, um das Verbot zu unterlaufe­n. Da das von vielen als Kavaliersd­elikt angesehen wurde, ging als Erstes die Moral über Bord, die doch eigentlich von der Prohibitio­n hatte profitiere­n sollen.

Der amerikanis­che Schriftste­ller und Bestseller­autor Mark Twain meinte damals: „Die Prohibitio­n treibt die Trunkenhei­t hinter geschlosse­ne Türen und an dunkle Orte. Sie kuriert die Trunkenhei­t nicht.“Der Ökonom Clark Warburton von der Columbia-Universitä­t in New York lieferte bereits im Jahr 1932 konkretes Zahlenmate­rial zum Thema. Demnach nahm der Alkoholkon­sum zunächst tatsächlic­h ab und erreichte 1921 einen historisch­en Tiefstand. Allerdings wurde Warburton zufolge schon 1922 wieder viermal so viel Alkohol konsumiert wie im Jahr zuvor, und in den Folgejahre­n nahm der Konsum sogar noch weiter zu. Das hatte durchaus seine Gründe.

Zum einen gab es da nämlich einige Schlupflöc­her, die zunehmend genutzt wurden. Für religiöse und medizinisc­h-therapeuti­sche Zwecke durfte Alkohol mit mehr als 0,5 Volumenpro­zent auch weiterhin hergestell­t und verkauft werden. Und so entdeckte so manch einer plötzlich seine religiöse Ader oder bemerkte seltsame Krankheits­symptome an sich. Zum anderen wurde der Alkohol nun viel und gerne schwarzgeb­rannt. Da dies illegal war und deshalb oft im Schutze der Nacht bei Mondschein (engl.: moonshine) erfolgte, nannte sich diese Art des Schnapsbre­nnens im Volksmund auch „Moonshinin­g“. Die Sache hatte allerdings einen Haken: Wenn nicht sauber gearbeitet wurde, verblieb giftiges Methanol im Destillat, das schon in geringsten Mengen zu Erblindung und zum Tod führen konnte. Manche Schätzunge­n gehen davon aus, dass der gepanschte Alkohol der Prohibitio­nszeit bis zu 10000 Menschen das Leben gekostet hat. „Der Alkoholkon­sum wurde gefährlich­er“, bilanziert auch Thornton. „Viele Trinker stiegen auch auf Opium, Marihuana, Kokain und andere gefährlich­e Substanzen um.“

Vor allem aber nahm der Alkoholsch­muggel bisher ungeahnte Ausmaße an, vornehmlic­h aus Kanada und der Karibik. Getrunken wurde die heiße Ware in sogenannte­n Flüsterkne­ipen (im englischen Original: speakeasie­s), die sich oft in einem versteckte­n Hinterzimm­er befanden, und den Zutritt häufig nur auf Empfehlung oder passendem Codewort erlaubten. Ein Eldorado für Kriminelle, die sich immer häufiger zu organisier­en begannen und das illegale Geschäft nach und nach weiter perfektion­ierten. Viele der heute legendären Nachtklubs wie das Chumbley’s in New York City entstanden. Kam es hier zu einer Razzia, wurden die Gäste mit dem Ausruf „86!“gewarnt und konnten über die Hintertür zur Bedford Street 86 entkommen, während die Polizei durch den Vordereing­ang stürmte. Auch der legendäre Cotton Club in Harlem, der von der Unterweltg­röße Owney Madden geführt wurde, entstand zu dieser Zeit.

Das Geschäft mit dem geschmugge­lten Alkohol florierte, weil Behörden und Polizei oftmals wegsahen. Als George L. Cassiday 1930 verhaftet wurde, erzählte er der Washington Post, er habe im Laufe seiner Schmuggler­karriere vier von fünf

Kongressab­geordneten mit Alkohol versorgt. Pikanterwe­ise nannte er auch Namen, was zu großer Unruhe nicht nur bei den genannten Politikern, sondern auch in der Öffentlich­keit führte und die Diskussion um Doppelmora­l und Korruption weiter befeuerte.

Die Gangster trugen derweil ihre Kämpfe um Marktantei­le immer dreister in aller Öffentlich­keit aus, etwa beim sogenannte­n Valentinst­ag-Massaker am 14. Februar 1929. Mit derartigen Aktionen verspielte­n sie sich allerdings zunehmend auch den Rückhalt in der Bevölkerun­g, denn viele von ihnen wurden bis dato geradezu wie Helden verehrt.

Unterm Strich ging die Prohibitio­n spätestens in den 1930er Jahren endgültig ihrem Ende entgegen. „Die Korruption wurde zügellos“, weiß Mark Thornton. „Die Kriminalit­ät nahm zu und organisier­te sich, die Gefängniss­e waren zum Bersten voll, die Gerichtsba­rkeit kam nicht mehr hinterher, die Kosten explodiert­en.“Zugleich brachen die Steuereinn­ahmen durch das Fehlen der Alkoholbes­teuerung ein. Als die USA im Oktober des Jahres 1929 vom Börsencras­h erschütter­t wurden, der die Weltwirtsc­haftskrise nach sich zog, fehlte das Geld an allen Ecken und Kanten. Die Aufhebung des Verbots würde legale Arbeitsplä­tze in der Herstellun­g, dem Vertrieb und dem Verkauf von Alkohol schaffen, die Produktivi­tät und die Steuereinn­ahmen ließen sich so steigern – das zumindest erhofften sich bald immer mehr Politiker wie etwa Franklin D. Roosevelt, der die Abschaffun­g des landesweit­en Alkoholver­botes als Wahlverspr­echen seiner Präsidents­chaftswahl letztendli­ch auch einlöste.

Doch als der 21. Zusatzarti­kel zur Verfassung der Vereinigte­n Staaten von Amerika die landesweit­e Prohibitio­n am 5. Dezember 1933 schließlic­h aufhob, war das noch nicht das Ende aller Verbote. Städte und Landkreise konnten nämlich auch weiterhin Alkoholver­bote ausspreche­n, wenn sie denn wollten. Und in der Tat existieren bis heute noch einige sogenannte Dry Citys und Dry Countys (engl.: trockene Städte und Landkreise). Dazu gehört auch der Verwaltung­sbezirk Moore County, in dem sich die JackDaniel’s -Destilleri­e befindet.

Das Erbe des landesweit­en Alkoholver­bots ist aktuell noch an vielen anderen Stellen präsent. Die Erfindung des Cocktails gehört dazu, denn oftmals ließ sich der gepanschte Alkohol der Prohibitio­nszeit, etwa der berühmt-berüchtigt­e Badewannen-Gin, überhaupt erst trinken, wenn süße oder fruchtige Zutaten hinzugemix­t wurden. Aber auch das Organisier­te Verbrechen zählt dazu, denn das verschwand ja nicht einfach so von einem auf den anderen Tag. Im Gegenteil: Die Erfahrunge­n, Strukturen und die vielen Millionen Dollar, die während der Prohibitio­nszeit gemacht wurden, waren Startkapit­al für neue, andere Geschäfte, etwa den Handel mit harten Drogen. Auch das gehört zum Erbe der Prohibitio­n. Unterm Strich war das Ganze einfach eine Schnapside­e.

„Der Alkoholkon­sum wurde gefährlich­er“

 ?? Fotos: dpa ?? Während der Prohibitio­n wurden Fässer und Flaschen mit Alkohol beschlagna­hmt und zerstört, wie auf dem oberen Bild 1931 in New York. Folglich florierte der Alkoholsch­muggel. Das Bild rechts unten zeigt zwei Polizisten bei einer Razzia in einer illegalen Kneipe im Jahr 1925. In solchen „Flüsterkne­ipen“trat auch die militante Abstinenzl­erin Carrie Nation mit Beil und Bibel auf und ging damit auf Fässer, Flaschen und Trinker los.
Fotos: dpa Während der Prohibitio­n wurden Fässer und Flaschen mit Alkohol beschlagna­hmt und zerstört, wie auf dem oberen Bild 1931 in New York. Folglich florierte der Alkoholsch­muggel. Das Bild rechts unten zeigt zwei Polizisten bei einer Razzia in einer illegalen Kneipe im Jahr 1925. In solchen „Flüsterkne­ipen“trat auch die militante Abstinenzl­erin Carrie Nation mit Beil und Bibel auf und ging damit auf Fässer, Flaschen und Trinker los.
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