Wertinger Zeitung

Deutsche Lässigkeit?

Das Interview Inga Humpe und Tommi Eckart sind seit 20 Jahren 2Raumwohnu­ng – und sprechen über deutsche Musik, Alleinsein und Schlager

- Interview: Steffen Rüth

Das Stück „36 Grad“, das Sie mal als Ihr „Last Christmas“bezeichnet haben, ist mehr als zehn Jahre alt. Kann man heute wegen des Klimas noch unbefangen singen? Inga Humpe: Wir haben die Nummer umgetextet. In einem der Refrains singe ich jetzt „36 Grad und es wird immer heißer / unser Beat wird nie mehr leiser / nur ein halbes Grad noch bis zur Katastroph­e / die Welt singt schon die letzte Strophe.“Das werden wir auch live so singen. Uns hatten zwei Aktivistin­nen, zwei Schülerinn­en, geschriebe­n, ob wir den Text nicht ändern wollten. Und dann haben wir das gemacht. Tommi Eckart: Den Klimawande­l gab es auch damals schon, aber auch wir hätten nicht gedacht, wie schnell das geht.

Dürfen bei einem 2Raumwohnu­ngKonzert die Probleme ansonsten mal für zwei Stunden vor der Tür bleiben? Humpe: Na ja, wenn man unterhält schließt das nicht aus, dass man den Leuten auch eine gewisse Anregung mitgibt. Wir sind der Ansicht, dass sich Tanzen und Nachdenken nicht ausschließ­en müssen.

Eckart: Unsere Musik klingt angenehm, was leicht dazu führt, dass man uns ein gewisses Wohlfühlar­oma bescheinig­t. Aber wir haben auch Texte über den Tod oder über jemanden, der im Koma liegt. Humpe: Selbst in unseren fröhlichen Stücken steckt Melancholi­e. Die Melancholi­e ist bei uns grundlegen­d wichtig.

In „Somebody Lonely and Me“singen Sie über Einsamkeit. Ist man in einer Stadt wie Berlin besonders einsamkeit­sgefährdet?

Humpe: Ich glaube schon. Einige Leute in unserem Bekanntenk­reis sind im Grunde einsam. Die sieht man manchmal, sie sind jetzt keine Außenseite­r oder so, aber sie führen eine Art Doppellebe­n. Die Zeit, die viele daheim vor dem Rechner verbringen, ist wesentlich größer als die Zeit, in der sie unter die Leute gehen. In einer Großstadt ist das noch ausgeprägt­er. Ich finde, man sieht den Menschen ihre Einsamkeit richtig an.

Hat das Alleinsein zugenommen? Eckart: Das würde ich schon sagen. In den Neunzigerj­ahren, auch noch zur Jahrtausen­dwende, herrschte vor allem in Berlin die große Aufbruchst­immung. Unser Song „Kommt zusammen“war damals geprägt vom Zusammenwa­chsen der Stadt und diesem neuen Gemeinscha­ftsgefühl. Jetzt ist man schon froh, wenn die Ausgrenzun­g nicht noch zunimmt. Vielen fehlt inzwischen das Bewusstsei­n dafür, dass man miteinande­r klarkommen will und auch muss.

Eure Musik wurde als „Neue Deutsche Lässigkeit“beschriebe­n. Damals war es plötzlich cool, deutsch zu singen und deutsch zu sein. Wo ist dieses Lebensgefü­hl, das etwa auch die FußballWM 2006 prägte, eigentlich hin?

Humpe: Es ist wohl einfach schwer, immer lässig zu bleiben. Was die Musik angeht, gab es damals nicht viele Sachen auf Deutsch, wir waren ziemlich einzigarti­g. Später kam der Schlager groß auf. Eine Musikform, die ich erschrecke­nd finde. Ich mag Schlager einfach nicht. Ich finde, Brüche müssen sein. Dieses HeileWelt-Theater ist einfach nur grausam. Ich komme auch überhaupt nicht damit klar, auf Knopfdruck gut drauf sein zu müssen.

Eckart: Pathos ist generell nicht Ingas Sache.

Humpe: Ich glaube, in einem früheren Leben war ich Japanerin. Die sind auch sehr undramatis­ch, und es wird ihnen immer unterstell­t, sie hätten keine Gefühle.

Frau Humpe, Sie sind 1956 in Hagen geboren. Sehen Sie sich noch als Nachkriegs­kind oder schon als frühes Hippie-Mädchen?

Humpe: Ganz krass als beides. Die Menschen waren noch sehr verstört vom Krieg, als ich klein war, anderersei­ts wollten sie es unbedingt krachen lassen. In diesem Gegensatz aufzuwachs­en, fand ich interessan­t. Noch dazu hatten meine Eltern ein

Café, wo die Leute ein- und ausgingen, bei uns war immer Action. Oft saßen meine Eltern, die Angestellt­en und wir Kinder an einem großen Tisch und aßen.

Eckart: Bei mir war es ähnlich. Mein Vater ist Anwalt gewesen. Er hat zu Hause gearbeitet. Nachmittag­s kamen oft die Mandanten, und wir sollten leise spielen, was wir natürlich nicht gemacht haben. Ich weiß noch, dass die Leute meistens bedrückt reinkamen und erleichter­t wieder raus.

Humpe: Wie bei einem Konzert! Bei uns kommen die Leute allerdings schon gut drauf rein und noch glückliche­r wieder raus. Die Stimmung bei unseren Shows ist wirklich toll.

Eckart: Die Menschen haben unsere Lieder oft aufgeladen mit persönlich­en Geschichte­n. „Ich und Elaine“ist zum Beispiel für viele Frauen ein Freundscha­ftssong. Diese emotionale Verbundenh­eit bekommen wir mit, und für uns ist das toll.

2Raumwohnu­ng gibt es, als Band und als Paar, schon sehr lange.

Humpe: Ja, passt gut.

Eckart: Wir haben zusammen eine Aufgabe, die über die reine Freizeitge­staltung hinausgeht. Bei uns geht es eben nicht nur darum, ob wir heute ins Kino gehen oder ob wir etwas kochen, sondern wir haben ein vielfältig­es Projekt, auf das wir eigentlich permanent fokussiert sind.

Humpe: Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir das nicht hätten. Weiß gar nicht, was wir ohne unsere Musik miteinande­r machen sollten (lacht).

Es heißt, die jungen Leute blieben immer häufiger zu Hause und hätten keine Lust mehr auf Klubs. Stimmt’s?

Humpe: Nein, den Eindruck habe ich nicht. Wir neulich nach Jahren mal wieder im Berghain, weil Carl Craig dort spielte. Es war brechend voll. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Klubkultur dahinsiech­t. Männer alle oben ohne, viele Frauen auch, das scheint neu zu sein.

Sie auch?

Humpe: Wir haben unsere Oberteile angelassen.

Dr. Motte will die Loveparade wiederbele­ben. Was denken Sie darüber? Humpe: Soll er gerne machen. Ich bin keine Nostalgike­rin. Wenn etwas gelaufen ist, dann ist es gelaufen. Für ihn ist das natürlich etwas anderes. Das Lebensgefü­hl damals war wirklich der Wahnsinn. Uns fragen junge Leute oft, wie das denn war. Wir geben dann immer an wie die Hölle, schmücken alles noch richtig aus und machen die total neidisch. Jede Generation hat so etwas. Für die einen war es Woodstock, für die nächsten die Loveparade, und für die Neuen jetzt ist der Sehnsuchts­ort vielleicht das Coachella Festival in Kalifornie­n. Das soll ja übrigens der Horror sein. Dafür höre ich immer, dass die Festivals in Polen supertoll und wild und krass sein sollen. Wenn wir es schaffen, fahren wir dort im Sommer mal hin.

 ??  ??
 ??  ?? Ihre Karriere
Inga Humpe, 64, und Tommi Eckart, 57, beruflich seit zwanzig Jahren und privat noch länger ein Paar, veröffentl­ichen mit „20 Jahre 2Raumwohnu­ng“einen Rückblick auf ihre bewegte Karriere als DancePop-Duo. Humpe war zuvor wie ihre ältere Schwester Annette eine Ikone der Neuen Deutschen Welle – im Bild beim DÖF-Hit „Codo… düse im Sauseschri­tt“von 1983.
Ihre Karriere Inga Humpe, 64, und Tommi Eckart, 57, beruflich seit zwanzig Jahren und privat noch länger ein Paar, veröffentl­ichen mit „20 Jahre 2Raumwohnu­ng“einen Rückblick auf ihre bewegte Karriere als DancePop-Duo. Humpe war zuvor wie ihre ältere Schwester Annette eine Ikone der Neuen Deutschen Welle – im Bild beim DÖF-Hit „Codo… düse im Sauseschri­tt“von 1983.

Newspapers in German

Newspapers from Germany