Die Dramen in der Antarktis
Vor 200 Jahren wurde der „Weiße Kontinent“entdeckt. Legendäre Pioniere starben dort, wo heute der Klimaalarm schrillt
Unsere Schiffe waren ständig in Eisnähe. Die Mannschaft litt unter dem schneidenden Wind, der das Seeklima dort beherrscht […] Die Eisberge reichten bis zu 120 Meter aus dem Wasser heraus und erstrecken sich im Durchmesser bis zu 15 Meilen. […] wir legten größte Wachsamkeit an den Tag, um uns zu schützen. Der kleinste Fehler würde unsere Reise in den Ruin stürzen…“
So schrieb noch Kapitän Fabian Gottlieb von Bellingshausen an das Seefahrtministerium in St. Petersburg. Der deutsch-baltische Seefahrer war es, der am 28. Januar 1820 im Auftrag der russischen Marine das antarktische Festland entdeckte. Heute kommen andere Bilder und in anderen Zusammenhängen dorther. Es geht um schmelzende Eisberge, den Klimawandel. Denn der in Jahrmillionen entstandene, bis zu fünf Kilometer dicke Eispanzer des weißen Kontinents ist in Gefahr. Durch den fortschreitenden Treibhauseffekt wird das Schelfeis nicht nur von warmen Winden an der Oberfläche, sondern auch von milden Meeresströmungen von der Unterseite aus angegriffen. So dramatisch heute wirkt, was aus der Antarktis auf die Menschen zukommt, so abenteuerlich wirkte einst, als Mensch hierherzukommen.
Das vermeintlich ewige Eis: Von Bellingshausen umsegelte es vor 200 Jahren neben einigen vorgelagerten Inseln, den unwirtlichen Südpol, bei klirrender Kälte von bis zu minus 89 Grad, tobenden Stürmen und monatelanger Dunkelheit. Auch der Brite Edward Bransfield war auf einem Schiff der Royal Navy südlich des Südpolarkreises unterwegs. Er entdeckte den neuen Kontinent nur wenige Tage später.
Zwar hatte schon James Cook 1773 mehrfach den südlichen Polarkreis gekreuzt, aber den antarktischen Landmassen war er nur auf rund 120 Kilometer nahe gekom„Derzeit men. Dicke Eisfelder zwangen ihn zur Umkehr. Seit Cooks Tod im Jahr 1779 versuchten die europäischen Nationen dann lange, den sagenumwobenen Südkontinent Terra Australis zu finden – aber ohne Fortune. Bis von Bellingshausen kam. Nicht der einzige Deutsch-Balten, der im zaristischen Russland als Seefahrer und Entdecker zu Ruhm und Ehre kam. Otto von Kotzebue, Adam und Paul von Krusenstern, Ferdinand von Wrangel …
Von Bellingshausen, geboren am 9. September 1778 auf der estnischen Insel Saaremaa, nahm zwischen 1803 und 1806 unter von Krusenstern an der ersten russischen Weltumseglung teil. Danach war er Kommandant verschiedener Schiffe der Baltischen und Schwarzmeerflotte. 1819 beauftragte ihn Zar Alexander I. mit der Leitung der Südpol-Expedition.
Maximal mit Proviant beladen – neben Kohl und Zitronen auch vier Tonnen Wodka – verließ von Bellingshausen mit zwei Expeditionsschiffen am 15. Juli 1819 den Hafen in Kronstadt. Als Kapitän der 935 Tonnen schweren Korvette „Wostok“befehligte er 116 Männer, ihn begleitete die „Mirny“unter dem Kommando von Michail Lasarew mit 74 Mann an Bord. Auf der Hinreise passierten sie die südlichen Sandwichinseln, in den 751 Tagen auf See fanden sie 29 neue Inseln im Pazifik und Atlantik. Am Rande der Antarktis meldete Lasarew „eine mächtige Eisdecke von großer Dicke, so weit das Auge reicht“. Die Russen hatten den antarktischen Eisschild erreicht, der nahezu den gesamten Kontinent bedeckt. Der Zar begrüßte die erfolgreichen Rückkehrer am 5. August 1821 persönlich, von Bellingshausen, letztlich zum Admiral befördert und am 13. Januar 1852 in Kronstadt gestorben, bekam ein Denkmal gesetzt, Berge, Inseln und Gletscher wurden nach ihm benannt.
Die von ihm entdeckte Antarktis: Vor rund 500 Millionen Jahren lag sie als Teil des Urkontinents Gondwana noch im Tropengürtel der Erde. Erst vor etwa 180 Millionen Jahren spaltete sich die Landmasse in die Antarktis, Indien, Australien, Afrika, Südamerika und Neuseeland auf.
Die Vereisung der Südpolarregion begann vor 35 Millionen Jahren, die darunter befindlichen Landschaften ähneln denen im heutigen Norwegen. Das Eis ist kälter als jenes der Arktis und seine Ausdehnung auf dem 13,2 Millionen Quadratkilometer großen Kontinent unterliegt jahreszeitlichen Schwankungen.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts erforschten Briten wie Robert Scott und Ernest Shackleton den weißen Kontinent. Das Rennen zum Südpol aber gewann der Norweger Roald
Amundsen am 14. Dezember 1911, Scott und seine Mannschaft starben – nur 18 Kilometer vom rettenden Depot entfernt.
Am 23. Juni 1961 trat der Antarktisvertrag in Kraft, der die Nutzungsrechte des einzigartigen Naturreservats festschreibt und regelt, dass die unbewohnte Region zwischen 60 und 90 Grad südlicher Breite vor allem der wissenschaftlichen Forschung vorbehalten ist. Ansprüche auf das „dauerhaft nichtaneignungsfähige Nichtstaatsgebiet“darf niemand erheben, Militär und radioaktiver Abfall sind verbannt. Im Jahr 1991 wurde der Antarktisvertrag in Madrid um ein Umweltschutzprotokoll erweitert und der Abbau von Bodenschätzen verboten. Die Laufzeit ist zunächst auf 50 Jahre begrenzt und kann erst im Jahr 2048 neu verhandelt werden. gibt es 40 Mitgliedsstaaten, und Deutschland ist von Anfang an dabei. Und da werden halt jedes Jahr spezielle Maßnahmen beschlossen, um den Umweltschutz in der Antarktis durchzusetzen“, sagt Stefan Hain vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Der Eispanzer der Antarktis speichert mehr als drei Viertel des gesamten Süßwassers der Erde und spielt so eine zentrale Rolle beim Klimawandel.
„Unter der Antarktis werden vor allem Lagerstätten von Eisenerz und Kohle vermutet“, so Hain. Daneben rechnen Experten mit Bodenschätzen wie Nickel, Kupfer, Platin, Gold und vielleicht sogar Erdöl. Das weckt Begehrlichkeiten – Argentinien, Australien, Chile, Frankreich, Neuseeland, Norwegen und Großbritannien erheben zum Teil übergreifende Hoheitsansprüche auf Teilgebiete, die laut Vertrag aber bislang ruhen. Zurzeit sei ein Abbau noch unwirtschaftlich, das könne sich aber mit fortschreitender Erderwärmung ändern, glaubt Hain.
29 Staaten unterhalten in der Antarktis Forschungseinrichtungen, Deutschland betreibt inzwischen seine dritte Neumayer-Station. „Die größten Probleme entstehen durch die Folgen des Klimawandels, durch die Versauerung des Meerwassers sowie durch das veränderte Verhältnis von Eis und Wasser“, warnt Steven Chown von der Monash-Universität in Melbourne.
Nach einer Studie der University of California in Irvine von 2019 verliert der Südpol mittlerweile jährlich 252 Milliarden Tonnen Eis – zwischen 1980 und 1990 waren es pro Jahr nur rund 40 Milliarden. Und auch in der bisher weniger betroffenen Ost-Antarktis schmilzt jetzt das Eis rapide ab. Und obwohl es sich bei der Antarktis um eine der reinsten Umgebungen der Erde handelt, werden auch hier seit Jahren deutlich erhöhte CO2-Werte gemessen.