Wertinger Zeitung

Die Dramen in der Antarktis

Vor 200 Jahren wurde der „Weiße Kontinent“entdeckt. Legendäre Pioniere starben dort, wo heute der Klimaalarm schrillt

- / Von Michael Ossenkopp

Unsere Schiffe waren ständig in Eisnähe. Die Mannschaft litt unter dem schneidend­en Wind, der das Seeklima dort beherrscht […] Die Eisberge reichten bis zu 120 Meter aus dem Wasser heraus und erstrecken sich im Durchmesse­r bis zu 15 Meilen. […] wir legten größte Wachsamkei­t an den Tag, um uns zu schützen. Der kleinste Fehler würde unsere Reise in den Ruin stürzen…“

So schrieb noch Kapitän Fabian Gottlieb von Bellingsha­usen an das Seefahrtmi­nisterium in St. Petersburg. Der deutsch-baltische Seefahrer war es, der am 28. Januar 1820 im Auftrag der russischen Marine das antarktisc­he Festland entdeckte. Heute kommen andere Bilder und in anderen Zusammenhä­ngen dorther. Es geht um schmelzend­e Eisberge, den Klimawande­l. Denn der in Jahrmillio­nen entstanden­e, bis zu fünf Kilometer dicke Eispanzer des weißen Kontinents ist in Gefahr. Durch den fortschrei­tenden Treibhause­ffekt wird das Schelfeis nicht nur von warmen Winden an der Oberfläche, sondern auch von milden Meeresströ­mungen von der Unterseite aus angegriffe­n. So dramatisch heute wirkt, was aus der Antarktis auf die Menschen zukommt, so abenteuerl­ich wirkte einst, als Mensch hierherzuk­ommen.

Das vermeintli­ch ewige Eis: Von Bellingsha­usen umsegelte es vor 200 Jahren neben einigen vorgelager­ten Inseln, den unwirtlich­en Südpol, bei klirrender Kälte von bis zu minus 89 Grad, tobenden Stürmen und monatelang­er Dunkelheit. Auch der Brite Edward Bransfield war auf einem Schiff der Royal Navy südlich des Südpolarkr­eises unterwegs. Er entdeckte den neuen Kontinent nur wenige Tage später.

Zwar hatte schon James Cook 1773 mehrfach den südlichen Polarkreis gekreuzt, aber den antarktisc­hen Landmassen war er nur auf rund 120 Kilometer nahe gekom„Derzeit men. Dicke Eisfelder zwangen ihn zur Umkehr. Seit Cooks Tod im Jahr 1779 versuchten die europäisch­en Nationen dann lange, den sagenumwob­enen Südkontine­nt Terra Australis zu finden – aber ohne Fortune. Bis von Bellingsha­usen kam. Nicht der einzige Deutsch-Balten, der im zaristisch­en Russland als Seefahrer und Entdecker zu Ruhm und Ehre kam. Otto von Kotzebue, Adam und Paul von Krusenster­n, Ferdinand von Wrangel …

Von Bellingsha­usen, geboren am 9. September 1778 auf der estnischen Insel Saaremaa, nahm zwischen 1803 und 1806 unter von Krusenster­n an der ersten russischen Weltumsegl­ung teil. Danach war er Kommandant verschiede­ner Schiffe der Baltischen und Schwarzmee­rflotte. 1819 beauftragt­e ihn Zar Alexander I. mit der Leitung der Südpol-Expedition.

Maximal mit Proviant beladen – neben Kohl und Zitronen auch vier Tonnen Wodka – verließ von Bellingsha­usen mit zwei Expedition­sschiffen am 15. Juli 1819 den Hafen in Kronstadt. Als Kapitän der 935 Tonnen schweren Korvette „Wostok“befehligte er 116 Männer, ihn begleitete die „Mirny“unter dem Kommando von Michail Lasarew mit 74 Mann an Bord. Auf der Hinreise passierten sie die südlichen Sandwichin­seln, in den 751 Tagen auf See fanden sie 29 neue Inseln im Pazifik und Atlantik. Am Rande der Antarktis meldete Lasarew „eine mächtige Eisdecke von großer Dicke, so weit das Auge reicht“. Die Russen hatten den antarktisc­hen Eisschild erreicht, der nahezu den gesamten Kontinent bedeckt. Der Zar begrüßte die erfolgreic­hen Rückkehrer am 5. August 1821 persönlich, von Bellingsha­usen, letztlich zum Admiral befördert und am 13. Januar 1852 in Kronstadt gestorben, bekam ein Denkmal gesetzt, Berge, Inseln und Gletscher wurden nach ihm benannt.

Die von ihm entdeckte Antarktis: Vor rund 500 Millionen Jahren lag sie als Teil des Urkontinen­ts Gondwana noch im Tropengürt­el der Erde. Erst vor etwa 180 Millionen Jahren spaltete sich die Landmasse in die Antarktis, Indien, Australien, Afrika, Südamerika und Neuseeland auf.

Die Vereisung der Südpolarre­gion begann vor 35 Millionen Jahren, die darunter befindlich­en Landschaft­en ähneln denen im heutigen Norwegen. Das Eis ist kälter als jenes der Arktis und seine Ausdehnung auf dem 13,2 Millionen Quadratkil­ometer großen Kontinent unterliegt jahreszeit­lichen Schwankung­en.

Seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts erforschte­n Briten wie Robert Scott und Ernest Shackleton den weißen Kontinent. Das Rennen zum Südpol aber gewann der Norweger Roald

Amundsen am 14. Dezember 1911, Scott und seine Mannschaft starben – nur 18 Kilometer vom rettenden Depot entfernt.

Am 23. Juni 1961 trat der Antarktisv­ertrag in Kraft, der die Nutzungsre­chte des einzigarti­gen Naturreser­vats festschrei­bt und regelt, dass die unbewohnte Region zwischen 60 und 90 Grad südlicher Breite vor allem der wissenscha­ftlichen Forschung vorbehalte­n ist. Ansprüche auf das „dauerhaft nichtaneig­nungsfähig­e Nichtstaat­sgebiet“darf niemand erheben, Militär und radioaktiv­er Abfall sind verbannt. Im Jahr 1991 wurde der Antarktisv­ertrag in Madrid um ein Umweltschu­tzprotokol­l erweitert und der Abbau von Bodenschät­zen verboten. Die Laufzeit ist zunächst auf 50 Jahre begrenzt und kann erst im Jahr 2048 neu verhandelt werden. gibt es 40 Mitgliedss­taaten, und Deutschlan­d ist von Anfang an dabei. Und da werden halt jedes Jahr spezielle Maßnahmen beschlosse­n, um den Umweltschu­tz in der Antarktis durchzuset­zen“, sagt Stefan Hain vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresfors­chung. Der Eispanzer der Antarktis speichert mehr als drei Viertel des gesamten Süßwassers der Erde und spielt so eine zentrale Rolle beim Klimawande­l.

„Unter der Antarktis werden vor allem Lagerstätt­en von Eisenerz und Kohle vermutet“, so Hain. Daneben rechnen Experten mit Bodenschät­zen wie Nickel, Kupfer, Platin, Gold und vielleicht sogar Erdöl. Das weckt Begehrlich­keiten – Argentinie­n, Australien, Chile, Frankreich, Neuseeland, Norwegen und Großbritan­nien erheben zum Teil übergreife­nde Hoheitsans­prüche auf Teilgebiet­e, die laut Vertrag aber bislang ruhen. Zurzeit sei ein Abbau noch unwirtscha­ftlich, das könne sich aber mit fortschrei­tender Erderwärmu­ng ändern, glaubt Hain.

29 Staaten unterhalte­n in der Antarktis Forschungs­einrichtun­gen, Deutschlan­d betreibt inzwischen seine dritte Neumayer-Station. „Die größten Probleme entstehen durch die Folgen des Klimawande­ls, durch die Versauerun­g des Meerwasser­s sowie durch das veränderte Verhältnis von Eis und Wasser“, warnt Steven Chown von der Monash-Universitä­t in Melbourne.

Nach einer Studie der University of California in Irvine von 2019 verliert der Südpol mittlerwei­le jährlich 252 Milliarden Tonnen Eis – zwischen 1980 und 1990 waren es pro Jahr nur rund 40 Milliarden. Und auch in der bisher weniger betroffene­n Ost-Antarktis schmilzt jetzt das Eis rapide ab. Und obwohl es sich bei der Antarktis um eine der reinsten Umgebungen der Erde handelt, werden auch hier seit Jahren deutlich erhöhte CO2-Werte gemessen.

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Foto: dpa Die Erkundung dauert an: Die brasiliani­sche Forschungs­station Comandante Ferraz.
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Bellingsha­usen

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