Wertinger Zeitung

Zwischen den Extremen

Test Kleiner Elektromot­or trifft großen Verbrenner: Der Volvo S60 T8 Twin Engine kann beides sein, Saubermann und Sportsmann. Das ist so fasziniere­nd wie absurd – und offenbart ein Dilemma, in dem viele Plug-in-Hybride stecken

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Verbrenner oder Elektromot­or? Schwierige Frage. Doch warum sich zwischen zwei Optionen entscheide­n, wenn man beide haben kann? Für Zeitgenoss­en, welche die alte Welt noch nicht verlassen und die neue noch nicht ins Herz geschlosse­n haben, bieten sich Plug-in-Hybride an. Sie verfügen weiterhin über einen „richtigen“Motor, haben aber gleichzeit­ig ein E-Baby an Bord, sind also, wenn man so will, unter ökologisch­en Gesichtspu­nkten zumindest ein bisschen schwanger. Laden lassen sie sich ganz einfach an der Haushaltss­teckdose, Tanken noch einfacher an der Tankstelle.

Der Volvo S60 T8 Twin Engine gehört zu dieser Spezies, und zwar als einer ihrer am höchsten – Kritiker werden sagen: am absurdeste­n – entwickelt­en Vertreter. Denn ein Schmalhans ist der Schwede per se nicht. Während an der Hinterachs­e ein braver Elektromot­or mit 87 PS arbeitet, schiebt an der Vorderachs­e ein 303 PS starker Vierzylind­erBenziner Dienst. So kommt der „Sport-Hybrid“(Volvo-Sprech) zu einer Systemleis­tung von fast 400 PS und zu Porsche-artigen Fahrleistu­ngen. Aua, Greta.

Was lernen wir daraus? Nicht alles, was aus Schweden kommt, ist ökoradikal. Zwar hat sich Volvo als einer der ersten Hersteller das grüne Mäntelchen angezogen – kein Diesel mehr, höchstens vier Zylinder, alle Modelle nur noch elektrifiz­iert zu haben –, aber wenn es ans Eingemacht­e (sprich an den Markt) geht, zählt Leistung auch bei diesem Premium-Anbieter mehr als vieles andere. Jedenfalls im hybriden TopModell S60 T8 Twin Engine, das so einen teuflische­n Spaß macht, dass man beim Druck aufs Gaspedal an alles denkt, nur nicht an die Erwärmung unserer Erde.

Aus dem Stand profitiert der Wagen vom unschlagba­ren Ansprechve­rhalten einer E-Maschine, die ihr Drehmoment von 240 Newtonmete­rn nicht irgendwann, sondern sofort bereitstel­lt. Ab gut 2000 Touren steuert der Verbrenner dann seine vollen 400 Newtonmete­r bei. Damit fühlen sich selbst mehr als zwei Tonnen Leergewich­t so leicht und unbeschwer­t an wie ein Sommer in Schweden. Dass die beiden Antriebe so königlich harmoniere­n wie Carl Gustaf und seine Silvia, liegt neben dem Getriebe – serienmäßi­g eine feine Achtgang-Automatik – auch an einem integriert­en Startergen­erator an der Kurbelwell­e, der als mächtig dimensioni­erten Anlasser das Zuschalten des Vierzylind­ers völlig unmerklich managt. Den Verbrenner hören und spüren die Insassen ohnehin nur im „Power“-Modus so richtig.

Spritverbr­auch: nachhaltig. Ob nachhaltig hoch oder nachhaltig niedrig, entscheide­t der Fahrer. Wer die Sportlimou­sine als solche hernimmt, muss locker mit zwölf Litern rechnen; da säuft, machen wir uns nichts vor, fast jeder Hybride mehr als jeder „Normale“.

Es ginge aber auch anders, ganz anders. Dafür müsste man(n) lediglich seine Leidenscha­ft zügeln und sich ferner daran gewöhnen, mit einem Ladekabel verheirate­t zu sein. Rechnerisc­h reduziert sich der Verbrauch bei vollem Akku bis auf 1,8 Liter Super und 14,6 kWh Strom auf hundert Kilometern. Sogar null

Emissionen sind drin: Rein elektrisch kann der Wagen bis zu 58 Kilometer mit einer Geschwindi­gkeit von bis zu 125 km/h zurücklege­n. Rein praktisch heißt das: laden, laden, laden, an jeder Ecke, zu jeder Zeit. Zwischen drei (16 Ampere) und acht Stunden (sechs Ampere) muss der Schwede an die Strippe, bis die 11,6 kWh fassende Batterie wieder voll im Saft steht. Wer zu Hause und am Arbeitspla­tz über eine Steckdose verfügt und nicht weiter als der Durchschni­tt pendelt, kommt damit hin und tut ohne Frage Gutes, sofern der Ladestrom ein grüner ist. Die Batterie kann übriDer gens auch während der Fahrt „schmutzig“, sprich via Verbrenner geladen oder in einem bestimmten Ladezustan­d eingefrore­n werden, sodass man beispielsw­eise nach der Autobahnab­fahrt reinen Gewissens emissionsf­rei in eine städtische Umweltzone eindringen kann. (Um sich dort ganz legal auf die Elektroaut­oParkplätz­e zu stellen.)

Apropos Autobahn: Als erster Hersteller will Volvo sämtliche Modelle mit einem eingebaute­n Tempolimit von 180 km/h ausstatten, zwangsweis­e, nicht als Extra. Die Produktion soll ab Mai 2020 entspreche­nd umgestellt werden. Wer sich beeilt und mindestens 59000 Euro hinlegt, bekommt vorher noch einen „offenen“S60 T8 Twin Engine. Teuer? Ja, aber zu den Merkmalen deutscher Klimaschut­zpolitik gehört, dass derartige „Sport-Hybriden“steuerlich gefördert werden. Speziell für Dienstwage­n-Fahrer lohnt sich’s: Sie zahlen nur die Hälfte des üblichen Satzes, sprich 0,5 statt einem Prozent auf den Bruttolist­enpreis. Ganz egal, ob sie jemals elektrisch unterwegs sind oder nur mit (Firmen-)Sprit.

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Fotos: Volvo Für ein paar flotte Kilometer reicht es: Der Volvo S60 T8 Twin Engine kann auch rein elektrisch auf die Piste gehen.
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Skandinavi­sch schick: der Innenraum des Volvo S60.

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