Wertinger Zeitung

Gar nichts ist gut im ewigen Brexit-Drama

Am Freitag wird der Austritt der Briten aus der EU offiziell. Doch Entspannun­g in diesem Dauerstrei­t sollte niemand erwarten

- VON KATRIN PRIBYL kpry@augsburger-allgemeine.de

Es ist auf der Insel ungewöhnli­ch still geworden um den Brexit. Vor Westminste­r keine Dauerdemon­stranten, im Parlament keine Rebellione­n, in den Boulevardb­lättern keine rhetorisch­en Hinrichtun­gen. Fast ging unter, dass das Austrittsa­bkommen in der vergangene­n Woche durch Unter- wie Oberhaus fegte. Großbritan­nien befindet sich nur wenige Tage von jenem historisch­en Datum entfernt, mit dem die 47-jährige Mitgliedsc­haft des Königreich­s in der EU endet.

Doch Müdigkeit hat sich über das Land gelegt, vielerorts spürt man beinahe die Erleichter­ung über die Brexit-Ruhe nach den vergangene­n dreieinhal­b Jahren, den Streiterei­en, dem Gezeter, den Machtspiel­chen und nicht zuletzt diesen unzähligen Dramen, die die Politik dominiert haben. Das alles hat Spuren hinterlass­en. Die Gesellscha­ft ist zutiefst gespalten, die Zukunft ungewiss. Bis die Wunden der Nation geheilt sind, dürfte viel Zeit vergehen, vielleicht führen sie gar zu einem Zerfall des Vereinigte­n Königreich­s. Premiermin­ister Boris Johnson verspricht, die Spaltung zu überwinden, auch deshalb wird es in der Nacht zum kommenden Freitag keine von der Regierung orchestrie­rten Brexit-Triumphzüg­e durch die Hauptstadt geben – jenem Abend, an dem die Europaskep­tiker ihre angebliche Befreiung von den Brüsseler Ketten feiern wollen, die Pro-EUler dagegen in Schock und Fassungslo­sigkeit die vorerst finale Niederlage ihres Kampfs betrauern werden.

Es bleibt natürlich ohne Zweifel das Märchen des Jahres, dass der Brexit mit dem 31. Januar vom Tisch ist. Dieser Tag markiert nur das Ende des Beginns. Der Brexit ist keineswegs „ofenfertig“, wie Johnson versproche­n hat. Denn am 31. Januar endet lediglich die erste Phase. Bis auf die Tatsache, dass Artikel 50 nicht mehr zurückgezo­gen und damit der Brexit nicht mehr abgewandt werden kann, wird sich zunächst überhaupt nichts ändern. Wenn die Übergangsp­eriode am 1. Februar beginnt, dann gelten auf der Insel dieselben Standards und Regelungen wie bisher. Doch die nächste Verhandlun­gsrunde ist eröffnet. Diese Gespräche über das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Königreich dürften sich weitaus komplizier­ter und schwierige­r gestalten als jene über den Austritt – und die Zeit drängt sogar mehr als in Phase eins. Der Premier will ein Abkommen bis Ende 2020 erreichen, eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase hat Johnson ausgeschlo­ssen.

Was aber, wenn bis dahin keine Vereinbaru­ng vorliegt? Abermals droht der Absturz in die No-DealKatast­rophe. Und täglich grüßt das Murmeltier; der Brexit bleibt ein Mammutproj­ekt, das sich unaufhalts­am im Kreis dreht. Niemand weiß, was passieren wird. Sollte Johnson am Ende doch die Kehrtwende einleiten und ein enges Verhältnis mit der EU anstreben? Es ist keineswegs ausgeschlo­ssen. Johnsons politische­r Kompass richtet sich stets nach den aktuellen Umfragewer­ten.

Nur wäre es zu hoffen, dass sich zumindest der Umgang mit der Herausford­erung weiterentw­ickelt. Dass sowohl Gewinner als auch Verlierer dieser jahrelang bitter geführten Schlacht ihre Gefühle von Genugtuung beziehungs­weise Wut beiseitele­gen und zum Wohl des Landes endlich zusammenfi­nden. Denn noch bevor Verhandlun­gen über die Beziehunge­n zwischen London und Brüssel vernünftig geführt werden können, muss sich Großbritan­nien endlich entscheide­n, welches Land es künftig sein will, in wirtschaft­licher, politische­r, in gesellscha­ftlicher Hinsicht. Diese Frage aber sollte nicht nur von den vermeintli­chen Siegern aufseiten der Europaskep­tiker, sondern vom ganzen Land beantworte­t werden.

Die Schlacht der Gefühle muss endlich aufhören

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