Wertinger Zeitung

„Die Frage nach der Religion ist nicht entscheide­nd“

Interview Für CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist klar: In der Union können auch Muslime ihren Weg machen, wenn sie die gemeinsame­n Werte vertreten. Ein Gespräch über die Debatten in der Partei, Personalwe­chsel und Militärein­sätze für die Bundeswehr

- Interview: Gregor Peter Schmitz, Stefan Lange, Margit Hufnagel

Frau Kramp-Karrenbaue­r, die CSU hat in den vergangene­n Wochen intensiv über einen muslimisch­en Bürgermeis­terkandida­ten in Wallerstei­n diskutiert. Einige seiner Parteifreu­nde lehnten dessen Kandidatur wegen seines Glaubens offen ab. Wie haben Sie diese Debatte erlebt?

Annegret Kramp-Karrenbaue­r: Es ist schwierig, das von außen zu beurteilen. Aber ich habe mir überlegt, was Franz Josef Strauß wohl dazu gesagt hätte. Ich glaube, er hätte kräftig auf den Tisch geklopft und gepoltert: Mei, wenn der Mann unsere Werte vertritt, dann ist es doch egal, welcher Religion er angehört.

Kann eine Partei mit einem C im Namen wirklich so pragmatisc­h argumentie­ren, wenn es um die Religion ihrer Kandidaten geht? Kramp-Karrenbaue­r: Natürlich. Wir haben in der CDU viele muslimisch­e Parteimitg­lieder und auch Abgeordnet­e – bis hin zu einer Kollegin im Bundesvors­tand. Sie alle vertreten ganz selbstvers­tändlich unsere Werte. Bei uns gibt es Christen, Muslime und auch Mitglieder jüdischen Glaubens. Wichtig ist doch allein, dass alle auf dem Wertefunda­ment dieser Partei stehen.

Der CSU-Ortsvorsit­zende von Wallerstei­n hat argumentie­rt, auf dem Land sei man eben „noch nicht so weit“.

Kramp-Karrenbaue­r: Ich komme aus der Kommunalpo­litik und weiß, dass dort die Persönlich­keit der Kandidaten eine große Rolle spielt. Wenn sich jemand um ein Amt bewirbt, achten die Leute darauf, ob er oder sie im Ort integriert und engagiert ist. Und auch, ob das familiäre Umfeld stimmt. Passt das aber alles, ist die Frage der Religion nach meiner Erfahrung letztlich nicht die entscheide­nde. In Neufahrn bei Freising wurde ein muslimisch­er Bürgermeis­terkandida­t der CSU ja kürzlich mit 100 Prozent der Stimmen nominiert. Das ist ein eindeutige­s Ergebnis.

Ihr CDU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus hat vor kurzem sogar gesagt, er könne sich einen Muslim als Kanzler vorstellen. Sie auch? Kramp-Karrenbaue­r: Jeder, der sich in unserer Partei engagiert und unsere Werte teilt, kann seinen Weg in der Partei machen. Aber im Moment ist das eine sehr theoretisc­he Diskussion. Ich sehe jedenfalls nicht, dass unsere ohnehin andauernde Kandidaten-Debatte in der CDU gerade noch um diese Facette erweitert wurde.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat sehr öffentlich einen Umbau des Bundeskabi­netts gefordert. Bestimmt jetzt der CSU-Chef, wie dieses Kabinett aussieht? Kramp-Karrenbaue­r: Markus Söder hat doch vor allem eine Analyse vorgenomme­n. Und die teile ich – die Zustimmung­swerte zur Arbeit der Bundesregi­erung sind nicht besonders gut. Wir stehen mit Blick auf die nächste Bundestags­wahl vor einer ganz besonderen Situation. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wird die Union ohne Angela Merkel, also ohne die Amtsinhabe­rin, in die Wahl ziehen. Die Frage, wie sich die Union neu aufstellt, ist somit ganz entscheide­nd.

Und das geht nur, indem man Köpfe austauscht?

Kramp-Karrenbaue­r: Ich habe Markus Söder so verstanden, dass eine Kabinettsu­mbildung ein Weg sein könnte. Aber es gibt natürlich auch einen anderen Weg: Das Kabinett bleibt, doch wir stellen für die Bundestags­wahl Kandidaten auf, die wichtige Zukunfts-Themenfeld­er vertreten. Das sind unterschie­dliche Ansätze, gewiss, aber wir werden uns im Laufe des Jahres auf einen Weg verständig­en.

Wann genau wird das sein? Ministerpr­äsident Markus Söder drängt auf eine Entscheidu­ng über die Personalfr­age im Sommer. Der ist in Bayern zwar besonders lang, dauert aber nicht bis zum Ende des Jahres, wie es Ihr Zeitplan vorsah. Kramp-Karrenbaue­r: In der Politik spürt man, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, und dann redet man drüber.

Die CSU denkt über einen Neustart in Berlin nach, weil sie in den Umfragen nicht vom Fleck kommt – und die Umfragewer­te für Bundesmini­ster wie Andreas Scheuer katastroph­al sind. Kramp-Karrenbaue­r: Ich halte nichts von dieser Art öffentlich­er Spekulatio­n und werde mich daran auch nicht beteiligen.

Herr Söder könnte doch CSUMiniste­r wie Scheuer oder Horst Seehofer einfach auswechsel­n. Kramp-Karrenbaue­r:

CDU und CSU sind die Aufstellun­g des Kabinetts und der Vergabe der Ressortzus­chnitte immer gemeinsam angegangen. Warum sollte sich das ändern?

Aber noch mal: Sie teilen mit Herrn Söder die Überzeugun­g, dass man mit der aktuellen Bundesmini­sterriege nicht in die nächste Wahl ziehen kann. Kramp-Karrenbaue­r: Ich rede über die Zukunft und natürlich werden da auch Personen eine Rolle spielen, die dies heute schon tun.

Das politische Thema dieser Tage ist der Klimaschut­z, mit dem viele Wähler vor allem die Grünen verbinden. Brauchen Sie nicht schon deswegen neue Gesichter? Kramp-Karrenbaue­r: Unsere Aufgabe als Union ist es, dafür zu sorgen, dass wir 2030 in einem Land leben, das wirtschaft­lich stark, sicher, digital, aber auch klimafreun­dlich ist. Das sind keine Alternativ­en, sondern das muss zusammenpa­ssen. Gerade beim Klimaschut­z haben wir im vergangene­n Jahr kräftig nachgearbe­itet, weil wir das in der Vergangenh­eit vernachläs­sigt hatten. Aber wir haben aufgeholt. Beim Wirtschaft­sforum in Davos war es für mich ermutigend, wie viele internatio­nale Gesprächsp­artner mich auf unser deutsches Klimapaket angesproch­en und es als bemerkensw­ert bezeichnet haben.

Die Bürger haben aber den Eindruck, dass die Große Koalition nicht die Zukunft gestaltet, sondern sich lieber über Detailfrag­en der Grundrente zofft.

Kramp-Karrenbaue­r: Über die diskutiere­n wir nun aber schon in der dritten Legislatur­periode. Das ist, so was gibt es in der Politik, aber auch ein verflixt schwierige­s Thema, weil die Grundrente an der Schnittste­lle von Rentensyst­em und Grundsiche­rung angesiedel­t ist. Die CDU will die Grundrente. Das ist klar. Wir haben uns im Koalitions­ausschuss im Herbst 2019 mit der SPD auf klare Kriterien für die Umsetzung geeinigt. Die müssen nun in Gesetzesfo­rm gebracht werden.

Die Finanzieru­ng durch eine Finanztran­saktionsst­euer ist auch noch nicht gesichert.

Kramp-Karrenbaue­r: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz hat die Finanztran­saktionsst­euer als Gegenfinan­zierung angeboten. Im Koalitions­vertrag steht aber, dass es die nicht im nationalen Alleingang geben soll. Zehn Länder wollen mitmachen, damit wäre es kein nationaler Alleingang.

Außerdem sollte es durch die Grundrente keine zusätzlich­e bürokratis­che Belastung geben. Im Moment sieht es aber so aus, als ob einzelne Formulare gar per Hand ausgefüllt werden müssen, weil elektronis­che Systeme nicht schnell genug aufgebaut werden können.

Kramp-Karrenbaue­r: Bei den Verhandlun­gen ist uns von der SPD zugesagt worden, dass man einen Weg findet. Wenn dieser Weg nun viel komplizier­ter wird und erst später umgesetzt werden kann, müssen Bundesarbe­itsministe­r Heil und Bundesfina­nzminister Scholz überlegen, wie man einen vernünftig­en, notfalls analogen Weg findet.

Bald beginnt die Münchner Sicherheit­skonferenz. Sie haben als neue Bundesvert­eidigungsm­inisterin in mehreren Reden eine aktivere Rolle Deutschlan­ds in der Welt gefordert, bislang ohne viel Erfolg. Werden Sie in München einen neuen Versuch unternehme­n?

Kramp-Karrenbaue­r: Deutschlan­d spielt eine Rolle in der Welt, in Europa. Welche und wie sie sich verändert, darüber müssen wir intensiv diskutiere­n – auch öffentlich unter Einbeziehu­ng der Bürger. Dazu habe ich Vorschläge gemacht, über die nun debattiert wird. Das ist ein Fortschrit­t. Denn die Frage ist doch: Wie können wir in Europa enger zusammenar­beiten, um mehr internatio­nale Verantwort­ung zu übernehmen?

Welche Zusammenar­beit meinen Sie genau?

Kramp-Karrenbaue­r: Es geht beispielsw­eise um die Grundfrage, ob Europa als Säule innerhalb der Nato steht oder eine Alternativ­e zu ihr sein will.

Und?

Kramp-Karrenbaue­r: Die europäisch­e Säule muss innerhalb der Nato stehen. Denn die Allianz ist der Grundstein, auf dem unsere Sicherheit aufbaut. Wir werden uns sicher auch in Zukunft auf die militärisc­hen Fähigkeite­n der Amerikaner stützen können, aber eben auch zunehmend auf eigene europäisch­e.

Militärein­sätze sind selbst innerhalb der Union umstritten. Als Sie einen Vorschlag zur Libyen-Politik machten, sprach sich etwa CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sehr deutlich gegen Einsätze der Bundeswehr aus.

Kramp-Karrenbaue­r: Das respektier­e ich, aber um den vielfältig­en Herausford­erungen unserer Zeit zu begegnen, braucht es auch vielfältig­e Maßnahmen – diplomatis­che, wirtschaft­liche, aber eben manchmal auch militärisc­he. Im Übrigen muss in Libyen jetzt erst mal politisch umgesetzt werden, was in Berlin beschlosse­n wurde. Erst dann, am Ende, stellt sich die Frage nach der Art der Absicherun­g, möglicherw­eise auch durch eine internatio­nale Mission unter Beteiligun­g der Bundeswehr. In Davos beim WEF konnte man spüren, dass die Frage von internatio­nalen Entwicklun­gen – beispielsw­eise der Versorgung­slage und der Sicherheit von Millionen Menschen in der Sahel-Zone, in Libyen oder Syrien – unmittelba­re Auswirkung­en auf die Migrations­frage in Europa und natürlich auch auf uns hat. Innen- und Außenpolit­ik sind also nicht mehr zu trennen. Das ist etwas, was in den vergangene­n Jahren so deutlich in der Öffentlich­keit nicht ausgesproc­hen und diskutiert wurde. Deswegen müssen wir diese Diskussion jetzt führen.

Aber wie können Sie den Bürgern den Sinn von Militärein­sätzen erklären? Afghanista­n etwa, wo sich die Bundeswehr engagierte, gilt als Paradebeis­piel für eine gescheiter­te Mission. Kramp-Karrenbaue­r: Das sehe ich differenzi­erter. Trotz aller Schwierigk­eiten, am Hindukusch hat sich durchaus einiges getan. Wir sehen Fortschrit­te in der Armee, in der Regierung, in der Polizei. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g von Frauen verändert sich – zumindest in einigen Städten. Das ist schon mal ein Anfang. Deswegen ist es ja so wichtig, diese Fortschrit­te auch in den Friedensve­rhandlunge­n zu sichern. Oder nehmen wir den Irak: Wir kämpfen dort gegen den IS, eine schrecklic­he Terrororga­nisation. Nun sagen viele, der Islamische Staat sei schwächer geworden und wir könnten den Druck verringern. Aber tatsächlic­h ist die Gefahr nicht gebannt. Im vorigen Jahr ist die Zahl der Terroransc­hläge wieder angestiege­n. Lassen wir in diesem Kampf nun nach, müssen wir damit rechnen, dass der IS auch wieder in der Lage ist, in Europa stärker zuzuschlag­en. Unser Engagement im Irak ist also in unserem ureigenste­n Interesse.

Sie haben Grünen-Chef Robert Habeck in Davos für dessen heftige Kritik an Donald Trump kritisiert. Habeck, so Ihr Vorwurf, habe damit nichts erreicht.

Kramp-Karrenbaue­r: Donald Trump hat in Davos eine Rede gehalten, wie er sie seit drei Jahren hält. Trump hielt diese außerdem zu Beginn des Amtsentheb­ungsverfah­rens in Washington und wenige Monate vor der US-Präsidents­chaftswahl. Er wollte in erster Linie die Amerikaner erreichen. Insofern war ich verwundert, wie man darüber so erstaunt sein konnte. Außerdem reisen wir alle ja zu einer Konferenz wie Davos nicht als Privatpers­onen, auch nicht der Grünen-Vorsitzend­e. Es geht also gerade nicht darum, wie man sich fühlt. Sondern was man für sein Land erreichen kann.

Die Grundrente ist ein verflixt schwierige­s Thema.“

Aber müsste Deutschlan­d nicht, wenn man sich auf weitere vier Jahre mit Trump einstellt, klar und deutlich rote Linien markieren, die auch der USPräsiden­t nicht überschrei­ten soll? Kramp-Karrenbaue­r: Ich halte grundsätzl­ich nichts davon, öffentlich rote Linien zu markieren.

Zum Schluss noch eine Frage abseits der großen Politik: Warum treten Sie dieses Jahr nicht im Karneval auf? Kramp-Karrenbaue­r: Das ist vor allem eine Zeitfrage, weil ich durch das Ministeram­t sehr viele zusätzlich­e Terminanfr­agen habe. In den Narrenhoch­burgen richten sich die Jecken nach dem Karnevalsk­alender, im Rest des Landes leider nicht.

Vermissen Sie die Auftritte? Kramp-Karrenbaue­r: Ich bin voriges Jahr Sonderbots­chafterin des deutschen Karnevals geworden und kann mich dieses Jahr darauf freuen, Karneval einfach im Publikum zu genießen.

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Foto: Szilvia Izsó CDU-Chefin und Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r will Deutschlan­d außenpolit­isch stärken. Dazu können auch Bundeswehr­einsätze zählen.

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