Wertinger Zeitung

Spurlos verschwund­en

Ermittlung­en In Bayern gibt es immer mehr Vermisste. Oft tauchen die Verschwund­enen wieder auf, manchmal steht die Polizei aber auch vor einem großen Rätsel

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Der Tag, an dem Kadir Karabulut verschwind­et, ist ein Montag. An jenem 4. März im Jahr 2013 besucht der Mann aus Dillingen Bekannte in Augsburg. Dann verliert sich seine Spur. Sein Auto taucht zwar Wochen später im Augsburger Stadtteil Lechhausen auf, die Ermittler tappen aber weiter im Dunkeln. Bis heute – fast sieben Jahre nach dem mysteriöse­n Verschwind­en des Dillinger Pokerspiel­ers.

2021 ungelöste Fälle sind beim Bayerische­n Landeskrim­inalamt (LKA) gelistet. Die Menschen verschwand­en zwischen 1962 und 2018. Jedes Jahr gibt es zudem tausende neue Vermissten­meldungen. 2019 etwa waren es 12 695. Davon tauchten 9889 Menschen innerhalb von drei Tagen wieder auf. Der Rest – 2806 Personen – war länger verschwund­en oder ist es noch immer. Die Zahl der Vermissten­meldungen steige seit Jahren, berichtet Ludwig Waldinger, Erster Kriminalha­uptkommiss­ar beim LKA. Allein von 2018 auf 2019 gab es eine Zunahme um etwa fünf Prozent.

Gründe dafür gibt es viele. Der wichtigste ist der: Die Menschen sind Waldinger zufolge sensibler geworden. „Früher hat man versucht, die Sache selbst aufzukläre­n. Jetzt rufen die Menschen schneller bei der Polizei an.“Und es gibt noch eine Ursache für die gestiegene­n Zahlen: die Flüchtling­swelle von 2015. „Es kamen viele junge Männer nach Bayern. Sie wurden hier registrier­t, verschwand­en dann aber aus ihren Einrichtun­gen und wurden als vermisst gemeldet“, berichtet Waldinger.

Die Zahlen, mit denen das LKA da agiert, sind komplizier­t. Denn es geht längst nicht nur um klassische Vermissten­fälle, sondern auch um Kindesentz­iehungen. Beispiel: Wenn sich ein Elternteil mit einem Kind ins Ausland absetzt, wird das als Vermissten­fall gewertet – auch wenn bekannt ist, wo sich das Kind aufhält. 144 Kinder waren im vergangene­n Jahr länger als drei Tage vermisst gemeldet – in mehr als der Hälfte der Fälle handelte es sich um eine Kindesentz­iehung, meist im Rahmen eines Sorgerecht­sstreits.

Auch Senioren verschwind­en immer wieder, sie verlassen ihr Pflegeheim und finden einfach nicht mehr zurück. Auch diese Fälle haben dem

LKA zufolge zugenommen. „Wir werden schließlic­h älter als früher, es gibt immer mehr Senioren“, sagt Waldinger.

Die größte Gruppe bilden aber weder Senioren noch Kinder. Die meisten, die länger als drei Tage vermisst werden, sind junge Männer, erklärt Waldinger. Junge Männer wie ein 22-Jähriger aus Augsburg, der Ende November 2019 plötzlich spurlos verschwind­et. Am Abend verlässt er die Wohnung seiner Eltern und kehrt nicht mehr zurück. Seine Mutter hofft wochenlang, ihren Sohn lebend wiederzuse­hen, Freunde hängen Plakate in der Stadt auf, der kleine Bruder des Verschwund­enen fleht ihn in einer Handynachr­icht an, doch bitte wieder nach Hause zu kommen – alles vergebens. Anfang Januar entdeckt ein Mitarbeite­r eines Wasserkraf­twerks die Leiche des jungen Mannes im Lech.

Dieser Vermissten­fall ist für die Beamten abgeschlos­sen. Viele andere indes sind es noch längst nicht. Etwa dieser: Im vergangene­n Juli verlassen eine Frau und ihre 16-jährige Tochter ihre Wohnung in München. Sie wollen ins Einkaufsze­ntrum. Doch seither sind sie wie vom Erdboden verschluck­t. Der Ehemann der Frau und Stiefvater des Mädchens meldet die beiden als vermisst – doch kurz darauf gerät er selbst ins Visier der Ermittler und wird zum Tatverdäch­tigen in einem Mordfall. Das Problem an der Sache ist aber: Es gibt keine Leichen. Lediglich Blutspuren werden an einer Fußmatte und an einem Teppich entdeckt. Derzeit geht die Polizei davon aus, dass der Mann zuerst seine Frau und danach das Mädchen tötete, um die erste Tat zu verschleie­rn. Was genau passiert ist, wird aber vielleicht immer ein Rätsel bleiben.

So wie das Verschwind­en des Pokerspiel­ers Kadir Karabulut im Jahr 2013. Einiges deutet darauf hin, dass er Opfer eines Verbrechen­s wurde. Denn Karabulut war offenbar in kriminelle Machenscha­ften involviert, soll in zum Teil illegalen Pokerrunde­n andere Spieler mit gezinkten Karten und versteckte­n Magnetstre­ifen über den Tisch gezogen haben. Gut möglich, dass er sich dabei gefährlich­e Feinde gemacht hat. Eine Gewissheit aber, die gibt es nicht. Wie bei so vielen anderen Vermissten­fällen in Bayern.

 ?? Foto: Peter Kneffel ?? Seit Monaten werden eine Frau und ihre Tochter aus München vermisst. Taucher der Polizei suchten im vergangene­n Sommer in einem Baggersee nach ihren Leichen. Bisher aber fehlt von den beiden jede Spur.
Foto: Peter Kneffel Seit Monaten werden eine Frau und ihre Tochter aus München vermisst. Taucher der Polizei suchten im vergangene­n Sommer in einem Baggersee nach ihren Leichen. Bisher aber fehlt von den beiden jede Spur.

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