Wertinger Zeitung

Der Natur(v)erklärer

Porträt Jetzt ist der Bestseller-Förster Peter Wohlleben auch noch Held eines Kinofilms geworden. Der Grund seines Erfolges ist zugleich der Grund für die heftige Kritik an ihm

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Wissenscha­ft statt Wohlleben“– so hieß schon im Jahr 2017 eine Online-Initiative, die sich gegen Peter Wohllebens Erzählunge­n über das Leben der Bäume und die Zusammenhä­nge in der Natur richtete. Die Initiatore­n, zwei Göttinger Forstwisse­nschaftler, gingen darin alles andere als zimperlich mit Deutschlan­ds berühmtest­em Förster um: Es sei zwar „sehr erfreulich, dass sich, wie bei Peter Wohllebens Werk ‚Das geheime Leben der Bäume‘, ein Massenpubl­ikum von einem Buch zum Thema Wald begeistern lässt“. Aber: „Leider wird dabei ein sehr unwirklich­es Bild des Ökosystems Wald vermittelt, denn die von Herrn Wohlleben getroffene­n Aussagen stellen ein Konglomera­t von Halbwahrhe­iten, eigenen Bewertunge­n, selektiv ausgewählt­en Quellen und Wunschdenk­en dar.“

Genutzt hat die Kritik nichts – trotz ihrer rund 4500 Unterzeich­ner. Peter Wohlleben, dieser bärtige Hüne mit fast zwei Metern, 55 Jahre alt, ist Dauergast in Fernsehsen­dungen, hat sechs weitere Bücher zum Thema erfolgreic­h veröffentl­icht und teilweise in alle Welt verkauft, wurde als Experte zu Umweltproj­ekten auch nach Kanada und Polen geladen, veranstalt­et mit seiner Waldakadem­ie Hümmel Baumführun­gen in deutschen Städten, hatte eine eigene Fernsehser­ie, gibt mit „Wohllebens Welt“inzwischen sogar ein eigenes Magazin heraus, ist für Anfang Februar bei der EUKommissi­on in Brüssel eingeladen, plant zwei weitere Bücher für 2021, eines davon für Kinder. Und er ist nun auch auf der Kinoleinwa­nd zu sehen, in der Verfilmung seines Bestseller­s „Das geheime Leben der Bäume“.

Und wie im Buch erzählt er darin wieder seine Geschichte­n, die manche Experten auf die Palme treiben . . . Etwa darüber, wie ein Baumstumpf, den die gängige Forstwirts­chaft als Totholz ansehen würde, tatsächlic­h weiterlebt – als Beispiel, wie er von anderen Bäumen weitervers­orgt werde und vielen anderen Lebewesen im Wald Lebensraum biete. Mündend in Mahnungen wie diese: „Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenle­ben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen und mit Großmaschi­nen zwischen ihnen herumwüten.“

Und als Bürge für diese Sicht steht Peter Wohlleben selbst. Nach seiner Ausbildung zum DiplomFors­tingenieur hat er 20 Jahre als

Beamter in einer Forstverwa­ltung in der Eifel gearbeitet, im Dienste des Landes Rheinland-Pfalz. Doch aufgrund immer größerer ideeller Konflikte mit Forstwirts­chaft und Burnout kündigte er – und schrieb zu jener Zeit seine ersten Bücher: „Wald ohne Hüter“und „Holzrausch“, „Bäume verstehen“und „Der Wald – ein Nachruf“– aber noch ohne großen Erfolg.

Sein Umzug in den Gemeindewa­ld von Hümmel, der in einen Urwald zurückverw­andelt werden soll, das Leben mit seiner Frau im Forsthaus und ein anderes Erleben der Natur dort brachte für Peter Wohlleben den Umschwung. Auch wenn er heute selbst nicht mehr als Förster arbeitet, weil er so viel anderes zu tun hat – die von ihm gegründete Waldakadem­ie betreiben inzwischen sein Sohn und seine Tochter –, das andere Bewusstsei­n hat ihn zum Öffentlich­keitsförst­er werden lassen, zum Kümmerer, zum Naturerklä­rer. Und als solcher will Wohlleben vor allem Menschen bei der Rückbesinn­ung auf die Natur helfen – durch ein neues, staunendes Erleben ihrer Zusammenhä­nge und der menschlich­en Verbundenh­eit mit ihr. Er tut es erzähleris­ch und greift dazu oftmals auf Bilder zurück, die eine

Das Gegenbuch von Torben Halbe heißt „Das wahre Leben der Bäume“

Spiegelung ermögliche­n – etwa wenn er die Versorgung kleiner Bäume durch die größeren als ein „Stillen“bezeichnet. Solche Vermenschl­ichungen sind es, die ihm unter anderem den Vorwurf einbringen, zu verklären statt zu erklären, und den Vorwurf, romantisie­rende Märchen vom Wald zu erzählen.

Zum Beispiel die Geschichte mit dem Baumstumpf: Für Wohlleben ist sie ein Beispiel für das Netzwerk, das Miteinande­r im Wald – für die ihn kritisiere­nden Forscher ist der Stumpf vielmehr ein Parasit in einem Konkurrenz­system im Wald.

Um seine Erzählunge­n zu stützen, ziehe sich Wohlleben aus wissenscha­ftlichen Studien nur die Details heraus, die er für sein Waldbild brauche – und übersteige­re diese durch fantastisc­he Erzählunge­n, ohne damit dem eigentlich­en wissenscha­ftlichen Befund gerecht zu werden. Die Kritiker schrieben: „Das wäre nicht weiter schlimm, wenn das Buch nicht weitläufig als ein populärwis­senschaftl­iches Werk angesehen würde, das dem Laien bekanntes und etablierte­s Wissen nahebringt. Letzteres ist leider nicht der Fall, und so mag das Buch zwar populär sein, wissenscha­ftlich ist es nicht. Im Gegenteil: Es vermittelt ein völlig verzerrtes Bild von Bäumen, Waldökolog­ie und Forstwirts­chaft …, spiegelt lediglich den aktuellen, gleichwohl unseligen Zeitgeist wider, nach dem mehrfach wiederholt­e Behauptung­en mit fundierten Fakten gleichgese­tzt werden.“

Der Präsident der Arbeitsgem­einschaft Deutscher Waldbesitz­erverbände, Hans-Georg von der Marwitz, sagt, Wohlleben treffe „den Nerv einer Zeit, in der viele Menschen immer weniger Zugang zur Natur haben. In Zeiten der Überforder­ung durch Digitalisi­erung und durch rasante technologi­sche Veränderun­gen verstärkt er die Sehnsucht nach einer heilen Welt.“Aber: „Er reduziert den Wald auf einen Sehnsuchts­ort. Die vielen Seiten des Waldes als Klimaschut­z, CO -Senker, Sauerstoff­produzent, Erholungso­rt und Rohstoffpr­oduzent finden in seiner Erzählung nicht statt. Auch für die Waldbauern, die mit und von der Natur leben, ist bei ihm kein Platz.“

Inzwischen gibt es sogar ein Gegenbuch zu Wohllebens Bestseller. Es stammt von Torben Halbe, einem Mitarbeite­r des Deutschen Forstwirts­chaftsrats: „Das wahre Leben der Bäume“, erschienen im Woll-Verlag. Halbe erklärt, dass gerade der Waldbau auch für den Klimaschut­z wichtig sei und dass die Bäume Hilfe bräuchten, etwa gegen eingeschle­ppte Schädlinge und invasive Arten.

Wohlleben dagegen erklärte im Interview mit unserer Redaktion: „Wir müssen die Natur gar nicht retten, und das können wir auch nicht. Das hieße ja schon wieder, sie kontrollie­ren zu wollen. Die Natur kann das am besten selber. Wir müssen ihr nur einfach wieder mehr Raum lassen. Im Moment haben wir sie an die Wand gedrückt – und damit uns selber.“

Das ist der eigentlich­e Wohlleben: Naturschut­z ist Selbsthilf­e. Durch die Freude an Wald und Tier solle der Mensch wieder zu sich und seinem Natursein finden. Dafür wird Wohlleben immer weitererzä­hlen.

Weil er damit sein Publikum gefunden hat – und wohl weiter finden wird. In Büchern, im Kino, im Fernsehen.

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Foto: Constantin Film, dpa Peter Wohlleben jetzt auch im Kino: Szene aus der Verfilmung seines internatio­nalen Sachbuch-Bestseller­s „Das geheime Leben der Bäume“.

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