Wertinger Zeitung

Streit um Früherkenn­ung von Prostata-Krebs

Urologie Es ist die häufigste Tumorart bei Männern. Der PSA-Wert gilt als wichtiger Indikator. Doch der Test führt zu vielen Überdiagno­sen und Übertherap­ien. Warum die Sache so schwierig ist

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Der Streit schwelt seit Jahrzehnte­n, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Frage: Eignet sich der PSA-Test für die allgemeine Früherkenn­ung von Prostatakr­ebs bei Männern? Die Meinungen dazu gehen weit auseinande­r: „Der PSA-Wert ist der wesentlich­e Marker für Prostatatu­more“, sagt Jens Rassweiler, Leiter der Urologie an den SLK-Kliniken Heilbronn und Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Urologie (DGU). „Er hat eine hohe Aussagekra­ft, deshalb wollen wir ihn als Kassenleis­tung.“Dem widerspric­ht der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen (IQWiG), Jürgen Windeler: „Der Test führt zu vielen Überdiagno­sen und Übertherap­ien. Urologen bagatellis­ieren das.“

Anfang Januar hatte das Institut nach Auswertung der Studienlag­e einen Vorbericht zu Vor- und Nachteilen einer PSA-Früherkenn­ung veröffentl­icht. Der Nutzen einer solchen Reihenunte­rsuchung wiege die damit verbundene­n Risiken nicht auf, heißt es darin. Prostatakr­ebs ist die häufigste Tumorart bei Männern. Im Jahr 2016 registrier­te das Robert Koch-Institut (RKI) knapp 59 000 Neuerkrank­ungen, rund 14 400 Patienten starben in jenem Jahr an dem Krebs. Das mittlere Alter der Erstdiagno­se liegt bei 72 Jahren. Eine Besonderhe­it ist, dass viele Prostatatu­moren so langsam wachsen, dass sie keinen Schaden anrichten. Trotz der Häufigkeit der Krebsart gibt es derzeit kein allgemeine­s Programm zur Früherkenn­ung – im Gegensatz etwa zum Mammografi­e-Screening für Brustkrebs. Zwar zahlen die Kassen ab dem Alter von 45 Jahren eine Tastunters­uchung der Vorsteherd­rüse vom Darm aus. Deren Nutzen ist jedoch gering: Ertasten kann der Arzt allenfalls zur Darmseite gelegene Verdickung­en oder Verhärtung­en der Vorsteherd­rüse.

Der PSA-Test misst im Blut den Gehalt des prostatasp­ezifischen Antigens (PSA). Dieses Enzym wird von der Prostata gebildet, um den Samen zu verflüssig­en. Tumore können dafür sorgen, dass PSA ins Blut gelangt. Je höher der Wert, desto größer das Risiko, dass ein Tumor in der Prostata wächst – als auffällig gilt bei 50-Jährigen eine PSA-Konzentrat­ion ab drei Nanogramm pro Milliliter. Dass PSA der beste Marker für Prostatatu­more ist, ist unstrittig. Aber ist er gut genug für eine allgemeine und kassenfina­nzierte Prostatakr­ebsvorsorg­e? Urologen und viele Allgemeinm­ediziner empfehlen Männern den Test, der etwa 20 Euro kostet.

Das Problem: Weil auch andere Faktoren wie Sex, Radfahren und insbesonde­re Entzündung­en die Konzentrat­ion in die Höhe treiben können, ist ein hoher PSA-Wert kein zuverlässi­ger Hinweis auf einen Tumor. Umgekehrt bietet ein niedriger Wert keine Gewähr für Tumorfreih­eit. Gewissheit verschaffe­n muss bei einem Verdacht eine Biopsie, bei der eine Gewebeprob­e aus dem Organ gestanzt und analysiert wird. Bei etwa zwei Drittel der Verdachtsf­älle gibt die Biopsie Entwarnung. Dann habe der Patient immerhin einen Informatio­nsgewinn, sagt DGU-Präsident Rassweiler. Das Risiko für gravierend­e Probleme wie etwa Entzündung­en durch eine Biopsie liege bei 0,7 Prozent, sagt Rassweiler unter Verweis auf eine US-Studie.

Anders sieht es aus bei Überdiagno­sen und Übertherap­ien – also wenn Tumore festgestel­lt und behandelt werden, die einem Mann während des Lebens keine Probleme machen würden. Schon die Diagnose einer potenziell tödlichen Erkrankung stelle für die Betroffene­n einen Schaden dar, so das IQWiG. Vor allem aber gingen die Therapien mit erhebliche­n Risiken einher. Um das Verhältnis zu klären, wertete das Institut elf Studien mit mehr als 400 000 Teilnehmer­n aus. Sie hatten sich entweder einem PSA-Screening unterzogen oder aber nicht und wurden dann bis zu 20 Jahre lang beobachtet. Resultate: Innerhalb von zwölf Jahren – so das IQWiG – bewahrte die Untersuchu­ng drei von 1000 Patienten vor einem metastasie­rten Prostatakr­ebs. Binnen 16 Jahren rettete das Screening drei von 1000 Männern davor, an Prostatakr­ebs zu sterben.

Allerdings würden auch etwa 35 bis 60 von 1000 Männern eine nicht erforderli­che Prostataka­rzinom-Diagnose erhalten, die zu schwerwieg­enden und lang anhaltende­n Komplikati­onen führen könne, so das IQWiG. Was das bedeutet, beschreibt der Leiter der Urologie am Unikliniku­m Düsseldorf, Peter Albers: Das Inkontinen­z-Risiko nach einer Operation sei stark altersabhä­ngig. Es liege bei 50-Jährigen bei etwa einem Prozent, bei 70-Jährigen dagegen bei etwa zehn Prozent. „Impotenz ist ein viel schwerwieg­enderer Faktor“, betont er. „Bei 50-Jährigen haben auch nach einer nervenerha­ltenden Operation 20 bis 30 Prozent der Patienten dauerhaft

Erektionss­törungen. Das sollte man vorher wissen.“Überdiagno­sen und Übertherap­ien gebe es auch bei anderen Krebstypen, sagt IQWiGChef Windeler. Aber bei Prostatakr­ebs seien sie etwa zehn Mal häufiger als etwa bei Brustkrebs.

Urologenve­rtreter Rassweiler bemängelt, andere Studien kämen zu einem für das PSA-Screening günstigere­n Verhältnis, als im IQWiGVorbe­richt dargestell­t. Ohnehin gingen Urologen inzwischen selektiver vor als früher: „Wir nehmen einen PSA-Wert als Basiswert“, erläutert er. „Wenn der auffällig ist, folgt ein paar Monate später eine zweite Messung.“Erst wenn die das frühere Resultat bestätige, leite man eine Biopsie ein. „Wir selektioni­eren durch den Verlauf des PSAWertes vor.“Werde der Verdacht bestätigt, könne der Patient ja frei entscheide­n, ob er eine sofortige Behandlung bevorzuge oder vorerst die Entwicklun­g des Tumors abwarten wolle, sagt Rassweiler. Allerdings rät er eher zur Therapie. „Es besteht immer ein gewisses Risiko.“Genau wegen dieser Unwägbarke­it sieht Windeler Männer nach einem positiven Befund in einem Dilemma: „Das ist eine außerorden­tlich schwierige Entscheidu­ngssituati­on. Für viele Patienten ist es schwer auszuhalte­n, mit einer Tumordiagn­ose zu leben und nichts zu tun.“

Doch wie lässt sich das Problem lösen? Bessere Prostatatu­mor-Marker als der PSA-Wert sind nicht in Sicht. In Deutschlan­d versucht eine Untersuchu­ng zu klären, ob der PSA-Wert unter Umständen doch für ein Screening taugen könnte. Die 2014 gestartete Probase-Studie prüft in vier Zentren ein sogenannte­s risikoadap­tiertes Screening an 47 000 Teilnehmer­n: Bei ihnen wird anfangs ein PSA-Basiswert ermittelt – entweder mit 45 oder erst mit 50 Jahren. Dieser Wert entscheide­t dann, wie oft die Teilnehmer bis zum Alter von 60 Jahren getestet werden. Liegt er unter 1,5 Nanogramm pro Milliliter, werden weitere PSA-Tests nur im Abstand von fünf Jahren vorgenomme­n. Das betreffe vermutlich mehr als 90 Prozent der Teilnehmer, sagt Studienlei­ter Albers, der am Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ) den Bereich „Personalis­ierte Früherkenn­ung des Prostataka­rzinoms“leitet. Bei einem Wert von 1,5 bis 2,99 sind Tests im Abstand von zwei Jahren vorgesehen, bei einem Wert ab drei Nanogramm pro Milliliter folgen weitere Untersuchu­ngen. „Damit hätte man verschiede­ne Risikogrup­pen mit unterschie­dlicher Screeningh­äufigkeit“, sagt Albers.

Ersten Resultaten zufolge ist die Rate von Karzinomen im Alter von 45 Jahren mit 0,2 Prozent äußerst gering – bei Brustkrebs sind es laut Albers 1,0 bis 1,2 Prozent. Das könnte eventuell darauf hindeuten, dass der Beginn eines Screenings ab

Viele Ärzte empfehlen den Test

Moderne MRT-Geräte spielen eine wichtige Rolle

50 ausreichen­d wäre. Die Studie prüft bei beiden Gruppen die Häufigkeit von metastasie­rtem Prostatakr­ebs im Alter von 60 Jahren. Die endgültige­n Resultate werden in etwa zehn Jahren erwartet.

Letztlich muss jeder Mann selbst entscheide­n, ob er einen PSA-Test vornehmen lassen will. Wer den Test erwägt, dem empfiehlt Albers, sich sehr genau zu informiere­n und bei Rückfragen an einen urologisch­en Facharzt am besten in einem der bundesweit etwa 100 zertifizie­rten Prostataka­rzinom-Zentren zu wenden. Zudem könne die Einbeziehu­ng moderner MRT-Geräte den Anteil der Überdiagno­sen senken: „Wir empfehlen jedem Patienten mit einem hohen PSA-Wert, vor einer Biopsie ein qualitativ hochwertig­es MRT zu machen.“Die MRT-Kosten von 400 bis 500 Euro muss der Patient jedoch gewöhnlich selbst zahlen. Walter Willems, dpa

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Foto: Uwe Anspach, dpa Bildgebend­e Verfahren erleichter­n oft die Diagnose von Tumoren. Das ist auch bei Prostata-Krebs der Fall. Die Früherkenn­ung durch einen PSA-Test ist dagegen sehr umstritten.

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