Vom Zauber des Video-Schiris
Fußball: Das war mal der Sport der Proleten und sozial Schwachen. Wer ein bisschen was auf sich hielt, hat in den 60er Jahren sein Kind auf dem Tennisplatz ausbilden lassen, auf dass es mit dem Nachwuchs anderer Akademiker-Eltern in unschuldiges Weiß gewandet den Ball ein wenig über das Netz hob. Mittlerweile scheut sich kein Intellektueller mehr, seine Vorliebe für das Gebolze offen zu äußern. Wer als Politiker die ersten Sprossen der Karriereleiter problemlos nehmen will, muss entweder mal selbst gegen den Ball getreten haben, oder sich zu seinem Lieblingsverein bekennen (freilich ohne andere Klubs zu diskreditieren). Dass an Frauen andere Kriterien angesetzt werden: Alltags-Sexismus.
Der Fußball hat sich aber auch selbst den bildungsnahen Schichten immer weiter geöffnet. Als Trainer begannen, von „Spielphilosophien“zu reden, hörten plötzlich auch Feingeister zu. Ein letzter der Denk-Elite zugewandter Schritt war die Einführung des Video-Beweises. Wo früher der Linienrichter mit einer Fahne Tor von Abseits schied, greift nun ein fernab sitzender Assistent vor dem Bildschirm ein. Die Einführung ließ den zuvor unbekannten Begriff der „kalibrierten Linie“in den allgemeinen
Sprachgebrauch einfließen. Das war zuvor nur den größten Dichtern und Denkern vergönnt.
Auch die Küchenphilosophen freuen sich über den Kölner Video-Keller. Sie gehen den Fragen nach: Ist denn nun ein Tor, dem die Gültigkeit aberkannt wurde, gefallen? Oder nicht? Darf ich mich an der Schönheit eines Treffers erfreuen, auch wenn er aberkannt wird? Robert Lewandowski beispielsweise erzielte gegen Schalke einen Treffer von derartiger Schönheit, dass er die Einordnung als Kunstwerk verdient hätte. Selbst die gegnerischen Spieler waren von der Vollkommenheit des Tores derart überwältigt, dass sie das ritualisierte Protestieren vergaßen. Köln aber richtete aus: Abseits. Ist das Gesehene deswegen weniger zauberhaft? Der Instinkt-Magister Lewandowski würde sagen: Ja.