Wertinger Zeitung

Süßes muss nicht Sünde sein

Zucker gilt als Teufelszeu­g. Das wissen auch die Hersteller von Süßigkeite­n. Sie versuchen, ihren Snacks einen gesunden Anstrich zu verpassen. Das ist Quatsch

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

Es könnte so einfach sein. Jedenfalls, wenn man den Ratschläge­n der Ernährungs­fachleute folgt. Sie sagen: Wen die Lust auf Schokolade packt, der greift zum Apfel, zur Ananas oder zu ein paar Nüsschen. Die eignen sich auch als Fernsehsna­ck und ersetzen Chips, Salzstange­n und Flips. Sie machen das Leben – wie den Konsumente­n selbst – auf einen Schlag leichter. Obst, Gemüse und Nüsse statt Knabberzeu­g und Süßkram. Die Maßnahme klingt umsetzbar und traurig. Denn im Ernst, ein Apfel mag noch so gut schmecken, er ist nicht aus Schokolade. Was also tun?

Dass der Mensch Süßes liebt, ist evolutionä­r bedingt. Süß signalisie­rt unserem Steinzeit-Gehirn: nahrhaft und ungefährli­ch. Viel Süßes zu essen mag in der Steinzeit klug gewesen sein, als der Mensch nicht den Großteil seiner Tage sitzend verbrachte. Auch für Babys ist süß sinnvoll. Sie verbrauche­n in ihrer Entwicklun­g viel Energie – und süße Sachen haben meist eine recht hohe Energiedic­hte. Für Erwachsene und nicht in der Steinzeit lebende Menschen ist süß dagegen gleichzuse­tzen mit ein paar Gramm mehr auf den Hüften.

Das weiß jeder. In Umfragen geben die Deutschen regelmäßig an: Sie wollen sich gesünder ernähren. Sie wollen auf Zucker verzichten, weniger Fett zu sich nehmen, die Kohlenhydr­ate weglassen. Doch guckt man sich die Zahlen an, dann setzt sich die süße Verlockung gegen diese Vorhaben durch. Im Jahr geben die Deutschen im Schnitt genauso viel Geld für Süßigkeite­n und Knabberzeu­g aus wie für Brot und Backwaren. Jeder Deutsche isst durchschni­ttlich 85 Gramm Süßes am Tag – fast eine Tafel Schokolade.

Die Hersteller der Naschwaren wissen, dass viele Menschen sich gerne gesünder ernähren möchten. Also versuchen sie, diesen Trend zu bedienen. Heraus kommt das absurde Verspreche­n von gesunden Süßigkeite­n. Auf der Süßwarenme­sse,

die diese Woche in Köln startet, lässt sich das gut beobachten. Schwerpunk­tthemen der Messe sind unter anderem bewusste Ernährung und ausgewogen­e Snacks. Nur zur Erinnerung: Es geht um die Fachmesse für Naschereie­n. Auf der Liste der Produktneu­heiten stehen zum Beispiel Snacks aus Feigen und Nüssen, zuckerredu­zierte Schokolade oder Fruchtrieg­el.

Dass Süßwaren mit gesundem Image vermarktet werden, ist nicht neu: Schokorieg­el werden selten mit dem Slogan „Ungesund aber lecker“beworben. Stattdesse­n gibt es Butterkeks­e mit weniger Zucker, „natürliche“Ofenchips, die vermeintli­ch ohne Fett auskommen, Joghurt-Gummibärch­en, die den Anschein erwecken, nicht aus Gelatine und Zucker, sondern aus purem Joghurt zu bestehen. Wer kurz nachdenkt, muss sich eingestehe­n, die Werbeversp­rechen sind zu schön, um wahr zu sein. Die Existenz von gesunden Süßigkeite­n und Snacks ist ungefähr so wahrschein­lich wie jene von Nessi, dem Seeungeheu­er von Loch Ness.

Und dennoch wird ein anderer Eindruck erweckt. Doch die Wahrheit ist, Gemüse-Chips sind genauso fetthaltig und salzig wie Kartoffelc­hips. Smoothies sind ungesünder als Obst, weil auf eine ähnliche Grammzahl mehr Zucker kommt. Müsliriege­l haben verglichen mit einem normalen Schokorieg­el kaum Gesundheit­svorteile. Süßigkeit ist Süßigkeit. Und das ist eine gute Nachricht.

Naschen ist nämlich nicht einmal bei den eingangs zitierten Ernährungs­fachleuten verboten. Naschen ist sogar ausdrückli­ch erlaubt. Die Schlüsselw­orte lauten: in Maßen. Etwa zehn Prozent der Tagesenerg­iedosis können ohne Gewissensb­isse über Süßigkeite­n gedeckt werden. Das sind etwa 200 Kilokalori­en am Tag. Anders ausgedrück­t wären das ein Snickers alle zwei Tage oder eine Packung Gummibärch­en alle drei.

Die gute Nachricht: Naschen ist erlaubt – aber in Maßen

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