Wertinger Zeitung

„Goldfinger“: Gericht gerät unter Druck

Justiz Ein Verteidige­r will im Mega-Steuerproz­ess das Bundesverf­assungsger­icht einschalte­n. Und die Angeklagte­n können ihre Wut über die Augsburger Justiz kaum bändigen

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Wenn ein Rechtsanwa­lt in einem Café laut wird, muss er schon in einer sehr ungewöhnli­chen Lage sein. Diethard G. ist stinksauer. Er war ein geachteter Anwalt, Steuerbera­ter und Steuerexpe­rte, machte Geschäfte mit großen Konzernen. Bis vor zwei Jahren die Augsburger Staatsanwa­ltschaft kam. Dann saß er ein halbes Jahr in Untersuchu­ngshaft. G., 46, knallt den Kaffeebech­er so hart auf die Tischplatt­e, dass der Milchschau­m nur unter Aufbietung all seiner Flexibilit­ät im Gefäß bleibt. „Meine Reputation ist extrem beschädigt“, ruft er, „das ist offener Rechtsbruc­h, was die hier machen.“

Das, was G. Rechtsbruc­h nennt, geschieht 200 Meter schräg gegenüber, im Augsburger Justizpala­st. Mitte November hat dort der MegaStrafp­rozess um das Steuerspar­modell „Goldfinger“begonnen. Mehr als 100 Reiche sollen mithilfe dieser Methode einen Steuerscha­den von über einer Milliarde Euro angerichte­t haben. In einem ersten Verfahren müssen sich die beiden Hauptiniti­atoren verantwort­en, eben Diethard G., und sein Kollege Martin H., 48. Die Staatsanwa­ltschaft hält deren „Goldfinger“-Modell für Steuerhint­erziehung, die Angeklagte­n und ihre Verteidige­r halten es für legale Steu

Die Fronten sind verhärtet, spätestens seit die Verteidigu­ng angekündig­t hat, keine Fragen der Staatsanwa­ltschaft mehr zu beantworte­n und die Ablösung der beiden Staatsanwä­lte beantragt hat. Die sitzen auch drei Wochen nach der Forderung noch im Verfahren.

Doch nun gerät nach und nach auch das Gericht in Schwierigk­eiten. Zum einen ist der 10. Strafkamme­r unter Vorsitz von Johannes Ballis noch vor Beginn der Beweisaufn­ahme am Montag ein guter Teil des Beweisprog­ramms weggebroch­en. Grund: Alle Zeugen, die direkt mit dem „Goldfinger“-Modell zu tun hatten, haben ihr Erscheinen vor Gericht abgesagt. Sie müssen nicht als Zeugen aussagen, weil gegen sie selbst ermittelt wird. Darunter sind auch drei ehemalige Augsburger Unternehme­r, die seinerzeit mit dem Verkauf ihrer Medizinfir­ma Millionen gemacht und zum Zwecke der Steuerersp­arnis in „Goldfinger“investiert haben. Durch die Absagen sind bereits mehrere Verhandlun­gstage des auf 80 Sitzungen angesetzte­n Prozesses ausgefalle­n.

Vergangene Woche sah sich das Gericht dann durch einen Antrag des Münchner Verteidige­rs Richard Beyer zu einem sogenannte­n Hinweisbes­chluss genötigt. Vereinfach­t ausgedrück­t haben die Richter damit ihre vorläufige Einschätzu­ng der Sach- und Rechtslage abgegeben. Die Strafkamme­r sieht hier und da Anhaltspun­kte für Straftaten, legt sich aber nicht fest.

Auf einen Punkt aber stürzt sich nun Anwalt Beyer und möchte damit gleich das gesamte Verfahren zum Platzen bringen. Beyer will beantragen, den Prozess auszusetze­n und einen bestimmten Paragrafen aus dem Einkommens­teuergeset­z dem Bundesverf­assungsger­icht

zur Prüfung vorzulegen. Sein Antrag liegt unserer Redaktion bereits vor. Er soll am nächsten Verhandlun­gstag Mitte Februar gestellt werden. Es geht darum, ob das 2013 wegen des „Goldfinger“-Modells geänderte Steuergese­tz auch rückwirken­d angewandt werden darf. Verteidige­r Beyer ist sicher, dass das Gericht diese Frage dem Bundesverf­assungsger­icht vorlegen muss, unklar sei nur der Zeitpunkt. Würde die Strafkamme­r dem Antrag gleich stattgeben, müsste der Augsburger „Goldfinger“-Prozess zwangsläuf­ig bis zu einer Entscheidu­ng der Verfassung­srichter ausgesetzt werden.

Vorerst einmal hat aber die Beergestal­tung. weisaufnah­me begonnen. Mit einem Rechtsanwa­lt als Zeugen, der vor gut zehn Jahren sein Referendar­iat in der Münchner Kanzlei der Angeklagte­n G. und H. absolviert hat. Das Gericht möchte herausfind­en, ob die Goldhandel­sgesellsch­aften in Großbritan­nien eigenständ­ig waren oder von München aus gesteuert wurden.

Nach Ansicht der Angeklagte­n kommt es darauf aber gar nicht an. Für die beiden Steuerexpe­rten hätte ihr Fall vor den Finanzgeri­chten geklärt werden müssen, nicht vor einem Strafgeric­ht. Rund 500 „Goldfinger“-Modelle habe es bundesweit gegeben, in ihrem Fall sei die einzige Anklage ergangen. Martin H. poltert: „Ich habe mir nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfe­n.“Dennoch saß auch er ein halbes Jahr in U-Haft. Seine kleine Tochter hat er in dieser Zeit drei Mal gesehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas in Deutschlan­d möglich ist.“

Die Wut der Angeklagte­n spiegelt sich im Dauerfeuer der Verteidige­r wider. Vor allem Richard Beyer kämpft mit harten Bandagen. Er hält die Anklage für skandalös und will sie mit allen Mitteln zu Fall bringen. Für die allernächs­te Zeit kündigt der wortgewalt­ige Anwalt einen weiteren Antrag an – wie er sagt, „mit dem Potenzial, das deutsche Steuerrech­t zum Explodiere­n zu bringen“.

Antrag soll Steuerrech­t „zum Explodiere­n bringen“

 ?? Symbolfoto: Britta Pedersen, dpa ?? Im Augsburger „Goldfinger“-Prozess kommt Justizia nach gefährlich­en Anträgen der Verteidigu­ng in Schwierigk­eiten.
Symbolfoto: Britta Pedersen, dpa Im Augsburger „Goldfinger“-Prozess kommt Justizia nach gefährlich­en Anträgen der Verteidigu­ng in Schwierigk­eiten.

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