Wertinger Zeitung

„Ich verstehe, dass Lehrer mit Unmut reagieren“

Interview Bayerns Kultusmini­ster schreibt Lehrkräfte­n Mehrarbeit vor. Der Protest ist riesig. Rudert Piazolo zurück?

- Interview: Gisela Rauch

Herr Minister Piazolo, im Sommer haben Sie die Unterricht­sversorgun­g in Bayern als sicher bezeichnet. Jetzt leiten Sie Notmaßnahm­en ein. Grundschul­lehrer sollen einen Stunde mehr pro Woche arbeiten, Teilzeitkr­äfte teils deutlich aufstocken, vorgezogen­er Ruhestand ist vorerst nicht mehr möglich. Woher kommt Ihre Fehlbeurte­ilung?

Michael Piazolo: Es gibt keine Fehlbeurte­ilung. Ich habe im Sommer gesagt: „Die Unterricht­sversorgun­g ist für dieses Schuljahr sichergest­ellt.“Diese Aufgabe stellt sich jedes Jahr aufs Neue. Wenn wir die Maßnahmen, die wir eingeleite­t haben, nicht umsetzen würden, würden uns im nächsten Schuljahr rund 1400 Lehrkräfte im Grund-, Mittelund Förderschu­lbereich fehlen.

Müsste man nicht solche Engpässe früher sehen?

Piazolo: Selbstvers­tändlich. Das tun wir. Unsere Prognosen reichen viele Jahre in die Zukunft. Sie zeigen seit Jahren, dass wir für Realschule­n und Gymnasien mehr Bewerber haben als Stellen und für Grund-, Mittelund Förderschu­len weniger Bewerber

als Stellen. Deshalb steuern wir seit Jahren dagegen. Zum Beispiel mit der Zweitquali­fizierung von bislang 2600 Gymnasial- und Realschull­ehrern für die Grundschul­en. Wir haben aber auch mittel- und langfristi­ge Maßnahmen ergriffen, wie die Erhöhung der Studienplä­tze fürs Grundschul­lehramt um 700 und die Einrichtun­g von Lehrstühle­n für die Ausbildung von Lehrkräfte­n für Sonderpäda­gogik. Bei neuen Entwicklun­gen passen wir unsere Bedarfspro­gnosen entspreche­nd an. In diesem Jahr etwa sind mehr junge Lehrkräfte als erwartet in Teilzeit oder in Elternzeit gegangen. Dann müssen wir nachsteuer­n.

Hat das Ministeriu­m den Notstand verschulde­t?

Piazolo: Nein. Da wird häufig gesagt, es sei doch nicht so schwer, die Geburtenra­ten zu berechnen, um auf den künftigen Lehrerbeda­rf zu schließen. Das tun wir selbstvers­tändlich. Die Geburtenra­ten sind aber nicht der einzige Faktor. Wir hatten in den letzten Jahren in Bayern unerwartet viele Zuzüge aus anderen Bundesländ­ern und EU-Ländern

– besonders 2018. Außerdem kamen 2015 und 2016 viele Migranten mit schulpflic­htigen Kindern. Darauf haben wir kurzfristi­g reagiert, indem wir 1500 Lehrer zusätzlich eingestell­t haben. Außerdem haben wir mit zusätzlich­en Stellen den Ganztagsbe­reich und die Inklusion gestärkt. Im Jahr 2019 hat der Freistaat wieder 1000 neue Lehrer eingestell­t. Das ist auch der Fluch der guten Tat. Mit zusätzlich­en Stellen, die man schafft, nimmt man Lehrkräfte vom Markt.

Ist die Versorgung jetzt wieder nur für ein Jahr gesichert?

Piazolo: Wir reden von diesem einen Jahr. Wir werden außerdem noch einmal 300 Studienplä­tze für Grundschul­lehrkräfte schaffen.

Unter anderem verbietet Ihr Notfallpla­n, vor Vollendung des 65. Lebensjahr­s in den Ruhestand zu gehen. Was sagen Sie einer Lehrerin, die das bislang geltende Angebot des Antragsruh­estands mit 64 Jahren annehmen wollte und jetzt doch weiterarbe­iten muss? Piazolo: Ich verstehe, dass betroffene Lehrkräfte auch mit Unmut reagieren. Wir haben uns die Maßnahmen aber sehr sorgfältig überlegt. Wir wollen die Qualität hochhalten in den Schulen und deshalb setzen wir im Gegensatz zu anderen Bundesländ­ern nicht auf unqualifiz­ierte Seiteneins­teiger, kürzen Unterricht oder lassen Stellen unbesetzt, sondern setzen auf unsere hochqualif­izierten Lehrkräfte. Zum konkreten Fall kann ich sagen, dass wir in der Vergangenh­eit den Antragsruh­estand

mit 63 oder 64 Jahren genehmigt haben. Aber dabei handelt es sich nicht um einen gesetzlich­en Anspruch. Es ging immer nur um die Frage, ob jemand früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand gehen kann. Solche Anträge sind „nach dienstlich­en Belangen“zu entscheide­n. Und „dienstlich­e Belange“verlangen jetzt, dass solche Anträge auf vorzeitige­n Ruhestand um ein Jahr nach hinten verschoben werden. Wobei es immer noch eine Einzelfall­prüfung und Ermessense­ntscheidun­g gibt.

Kultusmini­ster Piazolo (Freie Wähler) rechtferti­gt sich.

Rund 1000 Lehrer sind schon auf die Straße gegangen, weitere Kundgebung­en in den großen Städten sind geplant, eine Petition mit tausenden Unterschri­ften will Sie zur Umkehr bewegen. Rudern Sie zurück angesichts des massiven Protests?

Piazolo: Ich habe mir die Maßnahmen gründlich überlegt und wusste im Vorfeld, dass wir unseren Lehrkräfte­n da einiges zumuten. Ich möchte für die vorübergeh­end notwendige­n Maßnahmen um Verständni­s werben.

 ?? Foto: Marcus Merk ??
Foto: Marcus Merk

Newspapers in German

Newspapers from Germany