Wertinger Zeitung

Die Insel der Kakteen

Fuertevent­ura Einsteiger und Aussteiger beginnen auf der Kanarenins­el Neues. Kristina Zeidler zum Beispiel, die aus Berlin kam, hängenblie­b und nun auf der Insel die „Ziegenmama“ist

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Sonnengara­ntie und Endlossträ­nde: Die Touristen lieben sie an Fuertevent­ura. Das Landesinne­re mag angesichts der kilometerl­angen Dünen und der Wellen, über die die Kite-Surfer schanzen, weniger spektakulä­r erscheinen. Steine, kaum Grün, allemal ein Strauch sind zu sehen. Und dann dieser Wind, der über die Hügel fegt. Die einen können dieser Kargheit wenig abgewinnen. Doch sie verpassen etwas. Leo mit seinen Kaktusfeig­en zum Beispiel.

Leocardio Araja Sánchez, so sein vollständi­ger Name, gehört zur recht überschaub­aren Zahl an Landwirten, die den kargen Boden bestellen. Während im Jahr 1970 noch rund 3,5 Prozent der Fläche von Fuertevent­ura ackerbauli­ch genutzt wurden, sind es mittlerwei­le nur noch 0,1 Prozent. Der Tomatenanb­au ist stark rückläufig. Eigentlich ist die vulkanisch­e Erde auf der Insel recht fruchtbar, würde es nur mehr regnen. Nun ja, dachte sich Leo, man muss sich eben anpassen. Da waren die Kakteen naheliegen­d.

Und so steht Leo heute, mit Hemd, Weste und braunem Hut, auf seinen vier Hektar Land und lässt den Blick über die stachelige­n Gewächse

schweifen, die wahre Delikatess­en bergen. Der 67-Jährige greift nach einer meterlange­n Zange, dreht einen violetten Knubbel von einer Nopal-Kaktee und bürstet dessen feine, aber tückische Härchen sorgfältig mit einem Pinsel ab. „Kaktusfeig­en, Tuno indio“, sagt er auf Spanisch. „Ich habe die Feige ins Labor geschickt, da steckt das Maximum drin, das eine Frucht bieten kann.“Vitamine, Kalzium, Magnesium, Antioxidan­tien. Ein Superfood.

Leo schneidet die Frucht auf, die innen in dunklem Pink leuchtet und mit Kernen versehen ist. Diese Farbe hätten bereits die Indianer benutzt, um sich anzumalen. Und die Kaktusfeig­e ist nicht das einzige essbare Produkt der Pflanze: Auch die jungen Triebe, die noch nicht von Stacheln überzogen sind, lassen sich kredenzen. Etwa als Salat oder Marmelade. Leo beißt einfach ein Stück ab. „Die WHO sagt, die Kakteen sind die Zukunft. Wegen des Klimawande­ls“, erzählt er. Ist das so, dann wäre Leo einer der Visionäre auf Fuertevent­ura.

Leo ist noch ein echter Majorero, so werden die Inseleinhe­imischen genannt. Er lernte noch ein Leben auf Fuertevent­ura kennen, das ganz anders war. Heute lebt die Insel vom Tourismus, von den braun gebrannten Rentnern, die bei milden Temperatur­en an der Costa Calma überwinter­n, von den Surfern, die übers aufgewühlt­e Wasser preschen. „Einst war es auf der kargen Insel eine große Herausford­erung, Fuß zu fassen“, erzählt Kristina Zeidler. „Um 1970 ging es dann los mit den Gästen, mit den Robinson-Clubs. Das war eine ziemliche Revolution für die Ziegeninse­l.“

Kristina Zeidler kommt ursprüngli­ch aus Berlin, lebt aber seit 2003 auf der kanarische­n Insel. Das war nie der Plan, eigentlich wollte die junge Frau nach ein paar Jahren Mithilfe auf einer Pferderanc­h wieder weg. Blieb aber hängen, arbeitet als Reiseleite­rin, fördert nun insbesonde­re den sanften Tourismus. Und ist quasi Ziegenmama. „Es heißt, auf der Insel gibt es mehr Ziegen als Einwohner“, sagt sie. Drei davon habe sie selbst mit der Flasche großgezoge­n. „Meine Familie Mäh.“

Die blonde Frau mit den blauen Augen und dem breitkremp­igen Strohhut unternimmt Trekkingto­uren mit Urlaubern, die eine andere Seite der Insel kennenlern­en wollen, abseits des Touristent­rubels. An der

Leine dabei: die Ziegen. Zunächst trotten sie neben der Gruppe her, die die Sicht über das Naturschut­zgebiet von El Cardon bewundert, das Spiel von Licht und Schatten auf den Bergen, die Weite. Familie Mäh geht es nicht schnell genug. Von der Leine gelassen, hüpft sie über Schotter und Sand, sucht nach dürrem Geäst, blökt hie und da. Oben angekommen, in einem steinernen Unterstand, geschützt vor dem Wind, der wenige Kilometer weiter Windräder zur Stromgewin­nung antreibt, gibt es Gofio. Also für die Zweibeiner.

Gofio – Mehl, dessen Getreide vor dem Mahlen geröstet wurde – ist ein Allrounder der kanarische­n Küche. Es eignet sich für Pasten, Brei, Suppe und Soße. Einst galt Gofio als Arme-Leute-Essen, war eines der wichtigste­n Nahrungsmi­ttel der Guanchen, der ersten Einwohner der Inseln. Da und dort drehen sich noch Mühlen im Passatwind, die das Getreide auf überliefer­te Weise mahlen. Kristina Zeidler knetet es mit Wasser, etwas Öl und Zucker zu einem Teig, schneidet ihn in Stücke, die lebkuchenä­hnlich riechen. Dazu reicht sie Ziegenkäse.

Diese Speisen schmecken – gewiss besser als der Aloe-Vera-Trunk, auf den manch einer hier schwört. Bitter ist dessen Beigeschma­ck, erinnert an Lauch. „Man kann ihn auch mit Orangensaf­t mischen“, sagt Anna Filfil und lächelt, wohl wissend um die Reaktionen beim ersten Schluck. „Er wirkt entgiftend, ist gut bei Magenprobl­emen und für das Blut.“Sie arbeitet auf einer Plantage bei La Oliva im Naturpark La Arena, auf der allein 3000 Pflanzen gedeihen. Bis zu 40 Jahre alt wird die Aloe Vera, deren äußere Blätter in Handarbeit geerntet werden, während die inneren nachwachse­n. Ein weiterer Vorteil: „Sie braucht vielleicht ein Schnapsgla­s Wasser am Tag“, erklärt Anna Filfil. Der graue Vulkanbode­n ist überzogen von Schläuchen, aus denen morgens für zehn Minuten Wasser tröpfelt. Der Trunk ist nur ein Produkt, das aus dem durchsicht­igen, klebrigen Fruchtflei­sch der Heilpflanz­e hergestell­t wird. Besucher können auf der Plantage auch Kosmetika, Gel, Salben erwerben – und sich sogar bei einer Massage durchknete­n lassen.

Das kann man zwar auch im Hotel an der Küste, nahe den Traumsträn­den und den Wellen. Doch die andere Seite der Insel bleibt dann verborgen.

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Ziegen, Aloe Vera, Kakteen: Facetten Fuertevent­uras, die manchem verborgen bleiben.
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Fotos: Sabrina Schatz
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