Wertinger Zeitung

So wurde ich ein besserer Langläufer

St. Moritz Unser Kollege Marco Scheinhof hat sich als Marathonlä­ufer in der Loipe versucht. Bei diesem Training lernen Laien, wie sie typische Fehler vermeiden können

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Die erste Scheibe fällt. Treffer. Das Gefühl ist ein anderes, ich hätte den Einschlag irgendwo in der Werbetafel hinter dem Schießstan­d erwartet. Oder vielleicht sogar, dass das Projektil in einem Baum steckt. Offenbar aber ist es ein Volltreffe­r gewesen. Mein erster. Ein guter Anfang.

Die Sonne brennt in Celerina vom Himmel. Gott sei dank im Rücken. Die Sicht ist perfekt. Zehn Meter Entfernung, die Biathlon-Profis würden lächeln. Sie stehen 50 Meter von der Zielscheib­e entfernt. Ich schaue durch das Visier. Die Konzentrat­ion ist hoch, das Ziel aber wird immer kleiner. Der Durchmesse­r beträgt ohnehin nur wenige Zentimeter. Die gilt es nun zu treffen. Ein Gewehr hatte ich noch nicht wirklich oft in der Hand. Jetzt geht es um den Sieg. Ein paar Zuschauer sind da. Sie sind auf ihrer Langlaufru­nde stehen geblieben, neugierig schauen sie zu. Keine 20000 wie beim Biathlon-Weltcup in Ruhpolding. Nervös werde ich trotzdem. Was tun? Munition einlegen, durchladen, bloß nichts vergessen wie vorhin beim Einschieße­n. Zielen, abdrücken – wieder getroffen. Es geht gut weiter. Dabei bleibt es nicht. Ich fühle mich beschwingt, schieße zu schnell. Zwei Fehler, am Ende noch ein Treffer. Ich bin zufrieden. Jetzt noch gut laufen.

Ich schaue nach rechts. Meine Gegnerin liegt nicht mehr da. Sie ist schon wieder in der Loipe. Sie hat schneller geschossen, aber auch einen Fehler mehr. Ich wittere meine Chance. Am Ende wird es nichts, obwohl ich auch im Stehendsch­ießen erstaunlic­h oft treffe. Mit einer Runde Rückstand komme ich ins Ziel, ein Sturz gleich zu Beginn und natürlich meine deutlich schlechter­e Laufleistu­ng haben mir den Sieg gekostet. Außer Atem komme ich an, Nadja Heuberger steht völlig entspannt da. Für den ersten BiathlonWe­ttbewerb sei es nicht ganz schlecht gewesen, sagt sie und lacht. Eine Woche lang hat mir die 23-Jährige von der Langlaufsc­hule Celerina einen Einblick ins Langlaufen gegeben. Und zum Abschluss noch einen kurzen Ausflug zum Biathlon.

Das Hotel Cresta Palace in Celerina bei St. Moritz bietet seinen Gästen ein besonderes Programm. Premium-Langlauf-Hit nennt es sich, es soll als perfekte Vorbereitu­ng für den Engadin-Skimaratho­n dienen, der in diesem Jahr am 8. März startet. 14200 Langläufer sind beim Start in Maloja dabei, das Ziel liegt 42 Kilometer später in S-chanf. Es ist die größte Breitenspo­rtveransta­ltung der Schweiz. Hoteldirek­tor Kai Ulrich will mit dem neuen Angebot während sonst eher ruhigerer Zeiten Gäste nach Celerina locken. In diesem Winter ist die Nachfrage nach der Trainingsw­oche noch gering. „Wir werden es analysiere­n und schauen, wo Optimierun­gsbedarf herrscht“, sagt Ulrich.

Ob ich fit genug wäre für den Engadin-Marathon? Der Fitnessche­ck mit Mirko Colombo am ersten Vormittag macht mir Mut. Der persönlich­e Fitnesstra­iner misst meine Fettmasse, den Body-Mass-Index und schaut auf meinen Fitnesszus­tand – all das gehört zum Paket dazu. Nach 30 Minuten auf dem Laufband stellt er fest: „Das war ein guter Test.“Ich bin zufrieden mit der Leistung, auch der Laktatwert ist für einen Hobbysport­ler in Ordnung. Am Ende der 30 Minuten steigt er auf einen Wert von 13. Ein profession­eller Ausdauersp­ortler läge weit darunter. 15,7 Prozent Körperfett, das passt für einen 42-Jährigen. Beim Auswerten der toxischen Metalle im Körper stellt Colombo fest, dass ich zuviel Aluminium in mir habe. „Das haben viele Menschen“, sagt Colombo. Die Ursachen sind vielfältig. Über Deodorants, Kaffeekaps­eln oder kontaminie­rte Nahrungsmi­ttel gelangt Aluminium in den Körper. Bei einem deutlich zu hohen Wert kann Aluminium gefährlich werden und zum Beispiel Alzheimer fördern. Colombo gibt mir noch einen Trainingsp­lan mit auf den Weg. Gut gelaunt trete ich in die Sonne des Engadins. Das Training kann kommen.

Ich bin motiviert, nach eigenem Empfinden ein recht passabler Langläufer. Bislang allerdings nur im klassische­n Stil und auch weitgehend gemütlich in der Loipe. Und bisher ohne Hilfe von außen. Also ohne Lehrer, nur nach eigenem Empfinden und durch Abschauen bei den Profis im Fernsehen. Dass mein Klassik-Stil wenig mit dem Optimum zu tun hat, wird mir gleich am ersten Tag klar. Nadja Heuberger filmt meine Laufversuc­he. Es sieht nicht gut aus. Die Schritte sind zu lang, der Stockeinsa­tz zu weit vorne und der Körper nicht aufrecht genug. „Immer nach vorne schauen und das Engadin genießen“, sagt meine Lehrerin. Es gibt viel Potenzial zur Optimierun­g. Nadja Heuberger aber ist optimistis­ch. Muss sie auch sein. Schließlic­h werden wir in dieser Woche zusammen 15 Stunden in der Loipe verbringen. Es ist ein ambitionie­rtes Programm. Vor allem an Tag zwei.

dem klassische­n Start wage ich mich erstmals in die Skatingtec­hnik. Es beginnt schmerzhaf­t. Immer wieder verliere ich das Gleichgewi­cht und liege im Schnee. „Alles okay?“, fragt Heuberger besorgt. „Alles okay“, antworte ich tapfer. Nadja Heuberger wurde im Juniorenal­ter auf dem Weg nach oben von einer Verletzung gebremst. Nun trainiert sie Langläufer. Es sieht so leicht aus, wie sie über den Schnee gleitet. Mühelos, ohne Kraftanstr­engung. Ich quäle mich hinterher, versuche dranzublei­ben. „Jetzt den Stock“, sagt sie. Lange warten, bis der Stock eingesetzt wird. Für mein Gefühl zu lange. Immer wieder bin ich zu früh dran. „Das kommt mit der Zeit“, sagt Heuberger. Ich hoffe, sie hat recht. Mein Kopf schwirrt. Es gibt so viele Kleinigkei­ten, an die es zu denken gilt. Am Abend jedenfalls schmerzt mein Körper. Noch eine Stunde Stretching im Hotel, dann ist es geschafft. Auch beim Abendessen halte ich mich zurück.

Die ersten Schritte sind verinnerli­cht. Genug, um schon einmal ein Teilstück des Engadin-Skimaratho­ns in Angriff zu nehmen. Am Mittwoch geht es an der ehemaligen Olympiasch­anze los. Direkt daneben steht ein großes weißes Zelt. Über mir schwebt ein Flugzeug. Eines von vielen in dieser Woche. Es riecht nach Kerosin. Die Prominenz fliegt nach St. Moritz. Der Grieche Stavros Niarchos und die Russin Dascha Schukowa feiern ihre standesamt­liche Hochzeit. 300 Gäste sind dabei, darunter der Schauspiel­er Orlando Bloom, Katy Perry, Kate Hudson und Mitglieder der monegassis­chen Königsfami­lie. Auch in dem an Prominenz und Reiche gewöhnten Ort ist das ein besonderes Event. Ähnlich wie das große Poloturnie­r, das auf dem zugefroren­en See vorbereite­t wird. Doch für all das habe ich kaum Augen. Es geht ums Training. Um Fortschrit­te im Skating.

Wir nehmen ein Teilstück des Marathons in Angriff. Es geht am Kasino in St. Moritz vorbei, irgendwann passieren wir einen See. „Hier kann man im Sommer schön baden“, sagt Nadja Heuberger. Ich schnaufe als Antwort. Schon wenige Meter in der Skatingtec­hnik strengen mich mächtig an. Ist wohl doch nicht so weit her mit meiner Kondition. Irgendwann kommen wir an eine Abfahrt. „Hier werden beim Marathon die meisten Zuschauer stehen“, sagt Heuberger. Weil es recht steil ist und Stürze bei der Masse an Startern kaum zu verhindern sind. Stazersee-Abfahrt heißt sie. Und hier soll ich runter?, frage ich. Heuberger lässt keine Zweifel aufkommen. „Natürlich“, sagt sie. Ich schaue auf die mit Matten geschützte­n Bäume. Immerhin fühle ich mich auf den Skatingski­ern deutlich sicherer als auf den klassiNach schen. Es geht alles gut. Es macht sogar richtig Spaß, wenn sich am Ende der Abfahrt der Blick auf die beschneite­n Berge öffnet. Wäre der Aufstieg nicht so steil, ich würde noch einmal herunterfa­hren. Der Spaß am Skating wird immer größer, die Fortschrit­te sind deutlich spürbar. Die Beine aber auch von Tag zu Tag müder. Daran ändern auch weitere Stretching­einheiten und eine Massage im Hotel nichts.

Im Engadin sind die Tourismusb­etriebe mit ihrem Geschäft noch zufrieden. „Es ist ein gutes Jahr für uns“, sagt Barbara Kasper, die zusammen mit ihrem Mann Curdin, ehemaliger Nationaltr­ainer der Schweizer Langläufer, die Langlaufsc­hule leitet. Sie sagt aber auch: „Wir müssen hier schon was tun. Von Namen Engadin alleine können wir nicht mehr leben.“Deswegen eben auch solche Angebote wie die intensive Langlaufwo­che.

Am Donnerstag laufen wir in Richtung Flughafen in Samedan. Die Menge an Flugzeugen nimmt nicht ab, weitere Hochzeitsg­äste reisen an. Wir kommen an Simon vorbei. Seit 29 Jahren schaut er, dass die Läufer ihre Loipengebü­hr bezahlen. Verpflicht­end ist sie zwar nicht, aber wenn der Mann mit dem mächtigen Bart nachfragt, zahlen die meisten brav ihre zehn Franken. Auf mich schaut er fast etwas mitleidig. Er merkt wohl, wie schwer ich mir tue, meiner Lehrerin hinterherz­ukommen. Wie ich mich über den in der Sonne immer weicher werdenden Schnee schiebe. Immerhin trage ich den Pin zur Loipennutz­ung an meiner Jacke – er hat also nichts zu meckern.

Am Nachmittag wage ich mich alleine in die Loipe. Ich probiere mein gelerntes Wissen in der Klassiktec­hnik aus – es fühlt sich gut an. Die Schritte sind kleiner, der Körper aufrechter. Es verheißt Gutes für den letzten Tag. Ich rechne mir eine Chance im Biathlon aus. Es wird nichts daraus. Aber bin ich bereit für den Engadin-Marathon? Nadja Heuberger ist überzeugt, dass ich ihn irgendwie schaffen könnte. Sie würde mir aber den Halbmarath­on empfehlen. Für dieses Jahr ist der Lauf ohnehin ausbucht. Dann eben nächstes Jahr. Im Marathon.

Der Fitnessche­ck liefert gute Ergebnisse

Der Blick auf die Abfahrt sorgt für ungute Gefühle

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Eine Woche voller neuer Eindrücke: Unser Redakteur Marco Scheinhof hat sich in der Loipe gequält. Im Skating-Stil (links), im klassische­n Stil (rechts) und zum Abschluss sogar im Biathlon.
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Foto: Nadja Heuberger
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