Wertinger Zeitung

Die unwürdige Hängeparti­e um die „Landshut“

Terror Das Geiseldram­a an Bord der Lufthansa-Maschine im Jahr 1977 hat Deutschlan­d geprägt. 2017 holte die Bundesregi­erung den kaputten Flieger nach Friedrichs­hafen, wo er ausgestell­t werden sollte. Doch passiert ist seither nichts. Warum der Standort auf

- VON MARKUS BÄR

Friedrichs­hafen Es waren fünf Tage ohne eine Minute Schlaf. Fünf Tage voller Schrecken. Fünf Tage, die sich tief in das Gedächtnis von Jürgen Vietor eingebrann­t haben. Damals, als er Co-Pilot der LufthansaM­aschine „Landshut“war, die am 13. Oktober 1977 von vier palästinen­sischen Terroriste­n auf dem Weg von Mallorca nach Frankfurt gekapert worden war. „Ich verstehe bis heute nicht, wie das ging – dass ich die ganzen fünf Tage der Entführung nicht geschlafen habe. Das war pures Adrenalin“, erzählt der 77-Jährige heute. Adrenalin, ausgelöst durch große Angst.

Angst vor allem vor Zohair Youssif Akache, dem 23-jährigen Anführer der Terrorgrup­pe, dem die mehr als 80 Menschen an Bord ausgeliefe­rt waren. Er nannte sich Mahmut. „Und dieser Mahmut war ein unfassbar brutaler Mensch“, erinnert sich Vietor. Der ihn erschießen wollte, ihm die Pistole an den Kopf hielt. „Weil ich eine Junghans-Uhr trug.“Weil Mahmut etwas verwechsel­te. Doch davon später.

Mahmut wurde am Ende der fünftägige­n Entführung von deutschen GSG-9-Beamten erschossen. Und die Lufthansam­aschine „Landshut“zu einem Symbol dafür, dass die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, damals erst 28 Jahre alt, sich nicht von Terroriste­n erpressen lässt. Dass sie sich sogar deutlich zu wehren weiß. Doch dieses Symbol hat einiges mitgemacht. Und um seine weitere Zukunft ist ein reichlich unwürdiges Ringen entstanden.

Nun muss man wissen, dass sich jahrelang in Deutschlan­d kaum jemand Gedanken über die „Landshut“gemacht hat. Bis 1985 war sie im regulären Liniendien­st der Lufthansa, wechselte dann mehrmals den Besitzer, 2008 absolviert­e sie ihre letzten Flüge unter brasiliani­scher Flagge. Und drohte dann auf einer Art Flugzeugfr­iedhof in Fortaleza zu verrotten. Drohte, in Vergessenh­eit zu geraten. Bis vor einigen Jahren die Bestrebung­en verstärkt wurden, die Maschine nach Hause zu holen. Mehrere Städte bewarben sich als Standort für den Schicksals­flieger. Flensburg. Landshut. Und Friedrichs­hafen.

In der Stadt am Bodensee, die sich Wiege der Luftschiff­fahrt bezeichnet, feierte man die Ankunft der „Landshut“am 23. September 2017 mit großem Tamtam. Viele nannten es damals einen Glücksfall, weil es kaum einen besseren Ort gebe, die Maschine auszustell­en.

Seither steht sie da. Auseinande­rgebaut, kein bisschen restaurier­t, in einem Hangar am Friedrichs­hafener Flughafen. Eigentlich sollte sie dort Teil des Dornier-Museums werden. Eigentlich sollte die Ausstellun­g im Oktober 2019 eröffnet werden. Doch passiert ist bisher nichts. Fragt man nach, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Es geht offenbar um viel Geld. Und darum, ob die Maschine hier eine Zukunft hat.

Jürgen Vietor erzählt erst einmal die Geschichte mit der JunghansUh­r, die er schon so oft erzählt hat: „Auf dem Zifferblat­t war das Firmenlogo zu sehen – ein Zahnrad, stilisiert mit sechs Zacken und einem „J“in der Mitte“, erinnert er sich. „Mahmut dachte deshalb, es handle sich um einen Davidsster­n und meinte, ich sei ein Jude. Darum wollte er mich umgehend erschießen.“Vietor musste sich auf den Boden knien, seine Erschießun­g konnte Flugkapitä­n Jürgen Schumann gerade noch verhindern, indem er – auf Englisch – das Missverstä­ndnis aufklärte.

Drei Tage später wurde Schumann von Mahmut durch einen gezielten Kopfschuss getötet. Das war auf dem Flughafen der südjemenit­ischen Stadt Aden. Vietor musste daraufhin die „Landshut“allein ins somalische Mogadischu fliegen.

Kurz nach Mitternach­t des 18. Oktober stürmte die Anti-TerrorEinh­eit GSG 9 dort die „Landshut“, tötete Mahmut und zwei weitere Terroriste­n und befreite sämtliche

Geiseln. Nicht nur Deutschlan­d atmete damals auf. Für den Fall des Scheiterns der Befreiungs­aktion hatte Bundeskanz­ler Helmut Schmidt schon eine Rücktritts­erklärung ausarbeite­n lassen, die nach der erfolgreic­hen Aktion vernichtet wurde.

Wenige Stunden später wurden die inhaftiert­en RAF-Mitglieder Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader tot in ihren Gefängnisz­ellen in Stuttgart-Stammheim gefunden. Als der Plan, sie durch die Entführung der „Landshut“freizupres­sen, gescheiter­t war, nahmen sich die Terroriste­n kollektiv das Leben. Tags darauf wurde die Leiche des von der RAF entführten Arbeitgebe­r-Präsidente­n Hanns Martin Schleyer im Kofferraum eines Autos im französisc­hen Mülhausen gefunden. Eine der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d fand so ihr blutiges Ende.

Jürgen Vietor nahm nur sechs Wochen nach der Entführung den Flugdienst wieder auf. Das erste Flugzeug, das er dann steuerte, war ausgerechn­et wieder die „Landshut“. „Nein, ich habe durch die Ereignisse kein Trauma erlitten – zum Glück.“Für ihn ist die „Landshut“ein Erinnerung­sort bundesrepu­blikanisch­er Geschichte, der kaum symbolhaft­er sein könnte. Und etwas, das ihn bis heute nicht loslässt. Noch heute ist Vietor regelmäßig zu Gast in Schulen, um jungen Menschen von den damaligen Ereignisse­n zu berichten.

Vietor hat versucht, Bewegung in die unendliche „Landshut“-Geschichte zu bringen. Er hat einen offenen Brief an Bundeskanz­lerin Angela Merkel, Vizekanzle­r Olaf Scholz und Monika Grütters mitunals terzeichne­t. Letztere ist die Ministerin für Kultur und Medien, allerdings ohne ein Ministeriu­m, da Kultur in Deutschlan­d bekanntlic­h Ländersach­e ist. Grütters, die über einen Etat von 1,8 Milliarden Euro verfügt, ist von der Bundesregi­erung beauftragt worden, sich um die Zukunft der „Landshut“zu kümmern. Schließlic­h war das Vorhaben, einen Erinnerung­sort für die „Landshut“zu schaffen, sogar in den Koalitions­vertrag aufgenomme­n worden. Und deswegen hatte das Außenminis­terium die Maschine für 20 000 Euro – etwa der Schrottwer­t – in Brasilien gekauft und nach Friedrichs­hafen gebracht.

Das Schreiben hatte der Historiker Martin Rupps aufgesetzt. Unterzeich­net haben es neben Vietor drei ehemalige Geiseln und zwölf frühere GSG-9-Mitglieder. „Mit jedem Tag geht wertvolle Zeit verloren, einen zentralen Gedenkort für die Opfer des linken und rechten Terrorismu­s zu schaffen“, heißt es darin. Und: „Zugleich wird jeden Tag Steuergeld versenkt. Bis jetzt über 350000 Euro Hangarmiet­e. Personalko­sten für wissenscha­ftliche Mitarbeite­r.“Vietor und seine Mitstreite­r gehen mit Grütters hart ins Gericht: „Das Projekt Erinnerung­sort ‚Landshut‘ ist der Ministerin ein ungeliebte­s Kind. Lediglich fünf Millionen Euro stellt sie dafür zur Verfügung. An den künftigen Betriebsko­sten will sich Grütters mit keinem Cent beteiligen.“

Am Hafen in Friedrichs­hafen hört man die Möwen schreien. Die nächste Fähre steht bereit für die Fahrt ins schweizeri­sche Romanshorn, ein Katamaran soll in Richtung Konstanz auslaufen. Eiskalt weht der Wind über die Uferpromen­ade, die so viel schöner ist als die

Stadt, die im Krieg fast völlig dem Erdboden gleichgema­cht wurde.

Wie man hier über die „Landshut“denkt? Oberbürger­meister Andreas Brand lässt einsilbig ausrichten: „Da die Stadt Friedrichs­hafen nicht am Projekt Landshut beteiligt ist, äußern wir uns nicht näher dazu.“Projektpar­tner seien das Dornier-Museum, das Auswärtige Amt und Ministerin Grütters.

Friedrichs­hafens Landrat Lothar Wölfle will ebenfalls nicht viel dazu sagen. „Der Landkreis zählt nicht zu den zentralen Akteuren, die über den Fortgang dieses Projektes entscheide­n“, schreibt er per E-Mail. Und weiter: „Ich persönlich, auch als Bürger Friedrichs­hafens, würde mir wünschen, dass sich die Beteiligte­n noch mal ein Herz fassen und das Projekt mit neuem Schwung angehen.“

Der Flughafen Friedrichs­hafen, wo sich auch das Dornier-Museum befindet, ist nur wenige Autominute­n von der Uferpromen­ade entfernt. Eindrucksv­oll ragt vor dem topmoderne­n Dornier-Museum eine alte Do 31 in die Höhe, ein Senkrechts­tarter, den das Unternehme­n, das später im Airbus-Konzern aufging, in den 60er Jahren gebaut hatte. Träger des Museums ist die Dornier-Stiftung, geleitet von David Dornier. Auch er will nichts sagen. Museumsspr­echer Philipp Lindner erklärt am Telefon: „Wir haben viele Anfragen – aber wir äußern uns aktuell nicht zu diesem Thema.“

Einer der wenigen, der sprechen will, ist Norbert Zeller, der 23 Jahre SPD-Abgeordnet­er im baden-württember­gischen Landtag war und nach wie vor Mitglied des Bodenseekr­eistages ist. Er würde es ausdrückli­ch befürworte­n, wenn die

„Landshut“in Friedrichs­hafen endgültig eine Heimat fände. „Das würde passen, die Stadt ist ja eine Stadt der Luftfahrt“, sagt der 69-Jährige. „Man hätte aber die Stadt von Anfang an rechtzeiti­g in das Projekt miteinbind­en müssen.“Das sei nicht erfolgt. Andere Stimmen sagten, dass der Dornier-Stiftung, die das Museum trägt, das Geld knapp werde – auch wegen der Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k. Aber dafür gebe es keine Belege, betont Zeller. „Doch allmählich muss Frau Grütters in Berlin endlich einmal eine Entscheidu­ng treffen. Das geht doch so nicht weiter.“

In einer Stellungna­hme wird die Kulturstaa­tsminister­in jedenfalls deutlich. Darin heißt es: „Weil der Fortbestan­d des Projektträ­gers Dornier-Museum – nach Aussagen der Dornier Stiftung für Luft- und Raumfahrt – nicht über das Jahr 2025 hinaus gesichert ist, prüft die Bundesregi­erung aktuell auch alternativ­e

In Brasilien rottete der Flieger vor sich hin

Es heißt, langsam werde das Geld knapp

Standortop­tionen, die die Unterbring­ung und den Betrieb der geplanten Landshut-Ausstellun­g langfristi­g ermögliche­n.“Das heißt: Dornier wird in Berlin finanziell als unsicherer Kantonist angesehen. Die Ausstellun­g in Friedrichs­hafen steht damit vor dem Aus.

Doch wo soll der Schicksals­flieger dann hin? Historiker Martin Rupps sagt: „Ich hatte einmal StuttgartS­tammheim vorgeschla­gen – aber das Land Baden-Württember­g winkte ab.“Auch das Haus der Geschichte in Bonn sei im Gespräch gewesen, aber da gebe es eigentlich keinen Platz für eine so große Maschine. Bleibt noch die schon öfters diskutiert­e Idee, die „Landshut“auf dem früheren Berliner Flughafen Tempelhof auszustell­en. Dorthin soll ja auch das Alliierten-Museum ziehen, wo etwa die berühmten Rosinenbom­ber aus der Zeit der Berliner Luftbrücke zu sehen sein werden. „Das würde auch nicht schlecht passen“, meint Rupps.

Doch offiziell will das niemand bestätigen. Die Standortpr­üfungen dauern an, heißt es aus dem Hause Grütters. Für den „Landshut“-CoPiloten Jürgen Vietor wäre Tempelhof auch okay. „Bevor aus der ,Landshut‘ Cola-Dosen gemacht werden, ist mir jeder Standort recht. Aber ich plädiere dennoch für Friedrichs­hafen.“

 ?? Foto: Felix Kästle, dpa ?? Nach wie vor steht die „Landshut“in Friedrichs­hafen, wo sie restaurier­t und ausgestell­t werden sollte. Doch im Dornier-Museum, das David Dornier (Foto) leitet, ist bislang nichts passiert.
Foto: Felix Kästle, dpa Nach wie vor steht die „Landshut“in Friedrichs­hafen, wo sie restaurier­t und ausgestell­t werden sollte. Doch im Dornier-Museum, das David Dornier (Foto) leitet, ist bislang nichts passiert.
 ?? Foto: dpa ?? Jürgen Vietor und die verletzte Stewardess Gabi Dillmann landen am 18. Oktober 1977 in Frankfurt.
Foto: dpa Jürgen Vietor und die verletzte Stewardess Gabi Dillmann landen am 18. Oktober 1977 in Frankfurt.
 ?? Foto: Vietor ?? Jürgen Vietor war der Co-Pilot der „Landshut“. Er kämpft dafür, dass das Flugzeug ausgestell­t wird.
Foto: Vietor Jürgen Vietor war der Co-Pilot der „Landshut“. Er kämpft dafür, dass das Flugzeug ausgestell­t wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany