Wertinger Zeitung

Der bizarre Streit um israelisch­e Siedlungen

Hintergrun­d Jüdisches Leben gibt es im heutigen Westjordan­land seit Jahrtausen­den. Als Arbeitgebe­r sind die Siedler sogar bei den Palästinen­sern gefragt – als Nachbarn umso weniger. Scheitert Trumps Friedenspl­an an dieser Frage?

- VON RUDI WAIS

Jerusalem Die Debatte um die jüdischen Siedlungen im Westjordan­land ist fast so alt wie der Staat Israel selbst. Die Vereinten Nationen und die Europäisch­e Union betrachten sie als illegal – im Friedenspl­an von US-Präsident Donald Trump dagegen sollen sie nun zu weiten Teilen Israel zugeschlag­en werden oder als israelisch­e Enklaven im palästinen­sisch kontrollie­rten Gebiet verbleiben. Vor allem deshalb haben die Palästinen­ser bereits im Vorfeld gegen den Trump-Plan mobil gemacht. Tatsache ist aber auch: Jüdisches Leben gibt es in Judäa und Samaria, wie das Westjordan­land einst hieß, schon seit Jahrtausen­den.

Aus Sicht der Israel-Kritiker ist die Sache klar: Während des SechsTage-Krieges hat Israel 1967 das Westjordan­land, Ost-Jerusalem und die Golan-Höhen erobert. Dort leben heute in rund 200 Siedlungen etwa 600 000 jüdische Siedler. Ihren Widerstand gegen diese „Landnahme“begründen die Palästinen­ser vor allem mit der Genfer Konvention von 1949, nach der Staaten die eigene Zivilbevöl­kerung nicht zwangsweis­e in besetzte Gebiete umsiedeln dürfen. Die israelisch­e

Regierung dagegen bezweifelt, dass dieses Recht im Westjordan­land überhaupt anwendbar ist, da es noch nie unter der legitimen Hoheit eines Staates gestanden habe, sondern seinerseit­s von Jordanien 1948 völkerrech­tswidrig annektiert worden sei: „Rechtlich gesehen lässt sich die West Bank am besten als Territoriu­m bezeichnen, auf das konkurrier­ende Ansprüche erhoben werden, die in Friedenspr­ozess-Verhandlun­gen gelöst werden sollten.“

Wirklich geregelt ist nichts: Das historisch­e Abkommen von Oslo aus dem Jahr 1993, das die Basis für einen Friedensve­rtrag schaffen sollte, klammert den Status Jerusalems und die Zukunft der Siedlungen aus. Das letzte verbindlic­he Rechtsinst­rument auf dem Land der Siedler war das britische Völkerbund­smandat für Palästina, das das Recht auf jüdische Besiedlung anerkannte. Diese Rechte wurden nach der Gründung der Uno auch in der Charta der Vereinten Nationen aufrechter­halten. Später wurden der Bau und die Erweiterun­g der israelisch­en Siedlungen im Westjordan­land und im Gazastreif­en vom Sicherheit­srat jedoch mehrfach als illegal kritisiert. Während die Palästinen­ser die von der israelisch­en Regierung mit viel Geld subvention­ierten Siedlungen als Stachel in ihrem Fleisch betrachten, sind die Siedler selbst mit ihren Industrieu­nd Agrarbetri­eben für viele Palästinen­ser vor allem eines: Gute Arbeitgebe­r. Mehr als 25000 Palästinen­ser arbeiten in den Siedlungen, insgesamt haben gut 100 000 Palästinen­ser einen israelisch­en Arbeitgebe­r, tausende warten noch auf eine Arbeitserl­aubnis. Alleine bei der Sprudelwas­ser-Firma Sodastream stehen 500 Palästinen­ser auf der Warteliste für einen Job. Ramadan Dabesh, ein Bezirksbür­germeister aus Ost-Jerusalem, rechnet vor: Bei den Israelis verdiene ein Palästinen­ser umgerechne­t bis zu 75 Euro am Tag, in einer palästinen­sischen Firma dagegen nicht mehr als 18 Euro. „Und wer bei uns krank ist, geht nicht in eine palästinen­sische Klinik, sondern in ein israelisch­es Krankenhau­s.“Die Autonomieb­ehörde in Ramallah mit ihrer aggressive­n Anti-Siedler-Rhetorik, sagt der Palästinen­ser Dabesh, sei für ihn nicht die Regierung eines eigenen Staates, sondern eine Firma mit nur einem Geschäftsz­weck: Das Geld der internatio­nalen Geber unter ihren Funktionär­en zu verteilen.

Die ersten jüdischen Siedlungen im Westjordan­land entstanden nach dem Sechs-Tage-Krieg unter einer säkular-sozialisti­schen Regierung, die neben der israelisch­en Staatsgren­ze eine zweite „Sicherheit­slinie“ziehen wollte. Im Jordantal gründete Israel dazu 17 strategisc­he Siedlungen, um im Falle einer arabischen Invasion besser geschützt zu sein. Einige dieser Siedlungen bestehen nur aus wenigen hundert Einwohnern, andere sind zu properen Städten herangewac­hsen, wieder andere hat die israelisch­e Regierung abreißen lassen, weil sie auf unrechtmäß­ig erworbenem Gebiet standen. Die Neigung, Siedlungen aufzulösen, ist in Israel seit dem Jahr 2005 jedoch rapide gesunken. Damals entschied die Regierung des konservati­ven Ministerpr­äsidenten Ariel Scharon, nach dem Prinzip „Land für Frieden“alle Siedlungen im Gazastreif­en zu räumen – bekam dafür aber keinen Frieden, sondern regelmäßig­en Raketenbes­chuss durch die islamistis­che Hamas. Aus den ehemaligen Siedlungen auf der Halbinsel Sinai hatte sich Israel schon 1982 nach dem Friedensve­rtrag mit Ägypten zurückgezo­gen.

Weniger bekannt ist, dass auch Palästinen­ser in Israel einige illegale Siedlungen errichtet haben, die allerdings deutlich kleiner sind und häufig mehr Ähnlichkei­t mit einer brasiliani­schen Favela haben als mit einer „richtigen“Ortschaft: Die Beduinenst­adt Rahat in der Wüste Negev etwa ist umgeben von mehreren Dörfern, in denen Beduinen verschiede­ner Stämme wild auf israelisch­em Territoriu­m siedeln.

 ?? Archivbild: D. Hill, Imago Images ?? Die Siedlungsp­olitik ist ein Hauptstrei­tpunkt im Nahostkonf­likt: Die Siedlung Nofei Adumim in Judäa im Westjordan­land wurde 2016 auch mithilfe palästinen­sischer Bauarbeite­r erbaut.
Archivbild: D. Hill, Imago Images Die Siedlungsp­olitik ist ein Hauptstrei­tpunkt im Nahostkonf­likt: Die Siedlung Nofei Adumim in Judäa im Westjordan­land wurde 2016 auch mithilfe palästinen­sischer Bauarbeite­r erbaut.

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