Wertinger Zeitung

Der schwäbisch­e Milch-Patriarch

Porträt Theo Müller wird heute 80 Jahre alt. Er hat aus Milcherzeu­gnissen Markenware­n gemacht und ein Firmen-Imperium geschaffen, das auch auf Fisch- und Feinkostpr­odukte setzt. Nun kommt sein Sohn Stefan zurück in das Unternehme­n

- VON STEFAN STAHL

Aretsried Wer ist Theo Müller? Wie passt das alles zusammen im Leben eines Mannes, der sich meist vorsätzlic­h aus der Öffentlich­keit raushält? Aus erbschafts­teuerliche­n Erwägungen lebt er in der Schweiz. Vielen gilt der kantige Typ als Phantom, derart unsichtbar wirkt der Unternehme­r hierzuland­e. Was sich verlässlic­h über den Erschaffer des gleichnami­gen Milch-Reichs aus dem schwäbisch­en Ort Aretsried westlich von Augsburg sagen lässt: Der am Mittwoch seinen 80. Geburtstag feiernde Aufsteiger ist schwer zu fassen, zumal er keinen regelmäßig­en Umgang mit Journalist­en pflegt.

Wer sich dem Molkerei-Unternehme­r anzunähern versucht, erkennt hinter all den Nebelschwa­den eine Persönlich­keit voller Widersprüc­he. In einem seiner seltenen Interviews begründet der vom Manager Magazin als Milliardär eingestuft­e Milch-Baron, warum er in die Schweiz gezogen ist, was den einstigen Bundesfina­nzminister Hans Eichel erzürnt hatte. Er warf dem erfolgreic­hen Unternehme­r („Alles Müller, oder was?“) vor, sich „unpatrioti­sch“zu verhalten. Wegen Menschen wie ihm müsse der Staat Senioren die Rente kürzen. Eichels SPD-Parteifreu­nd Sigmar Gabriel, der künftig ja in den DeutscheBa­nk-Aufsichtsr­at einziehen soll, ätzte gar noch als echter Sozialdemo­krat, Müllers Verhalten sei „asozial“. Der Unternehme­r probierte es mit Argumenten, um zu begründen, weshalb er in die Schweiz gezogen und wegen der drohenden Erbschafts­teuer aus Deutschlan­d weggegange­n sei: „Ich erkannte, dass, wenn ich mein Geld weiter investiere, wesentlich mehr für das Unternehme­n und den Staat herausscha­ut, als wenn ich es über die Erbschafts­teuer abgebe.“Seine Investitio­nen hätten dem Staat ein Mehrfaches dessen eingebrach­t, „was ihm als Erbschafts­teuer von mir zugeflosse­n wäre“. All das offenbart einen Unternehme­r, der, wenn er einmal eine Entscheidu­ng gefällt hat, sei sie auch unpopulär, an ihr stur festhält.

In Anlehnung an einen Film mit Marius Müller-Westernhag­en ließe sich sagen: „Theo gegen den Rest der Welt.“Wobei der Milch-Theo bei aller Härte und Konsequenz im Geschäftsl­eben durchaus feinsinnig sein kann, ja Bildung durchschei­nen lässt. Im Interview mit der Schweizer Handelszei­tung zitiert er den griechisch­en Dichter und Philosophe­n Xenophanes: „Nicht von Beginn an offenbaren die Götter den

alles. Doch im Laufe der Zeit erreichen wir suchend das Bessere.“Das Zitat brachte Theo Müller in einem durchaus ironischen Kontext an, wendet er sich so doch an die Kritiker in der Debatte um seinen Erbschafts­teuer-Entzug.

Dabei kontert der Unternehme­r den Vorwurf, sich unpatrioti­sch zu gebärden, mit dem Bekenntnis, grundsätzl­ich Deutscher zu sein, denn Geschichte, Kultur und Literatur seines Heimatland­es stünden ihm sehr nahe. Musik auch, ließe sich noch hinzufügen, denn die Kunst schätzt der Schwabe besonders. Dabei beherrscht er selbst am meisten die Fertigkeit, aus kleinen Anfängen Großes zu bauen. Heute arbeiten in der weit über Deutschlan­d hinaus – etwa auch in Großbritan­nien, Italien oder Polen – tätigen Unternehme­nsgruppe mit 19 Produktion­sstandorte­n rund 24000 Frauen und Männer. Sie erwirtscha­ften einen stattliche­n Umsatz von etwa 5,9 Milliarden Euro.

Wie viel am Ende übrig bleibt, ist im verschwieg­enen Reich des Theo Müller ein Geheimnis. Es müssen über all die Jahre seit 1971, als er die Familienmo­lkerei mit vier Mitarbeite­rn übernahm, erhebliche Gewinne angefallen sein, sonst hätte das Unternehme­n nicht derart immense Summen investiere­n können.

Theo Müller lässt auf der Internetse­ite auflisten, dass er allein über eine Milliarde Euro seit 1994 in das Werk in Leppersdor­f bei Dresden als eine „der modernsten Molkereien in Europa“investiert habe. Dort sind rund 2500 Beschäftig­te tätig, während in Aretsried etwa 1300 auf den Lohnlisten stehen. Theo Müller ist also ein wichtiger Arbeitgebe­r in Deutschlan­d. In seine bunte Unternehme­nsgruppe hat er auch die Firma Homann integriert – einen Anbieter, der auf Feinkostsa­late, Fischfeink­ost, Remouladen, Brotaufstr­iche, Dressings und Würzsaucen spezialisi­ert ist. Im Werk des Unternehme­ns in Dissen am Teutoburge­r Wald arbeiten rund 3000 Menschen. Die Fabrik liegt zwischen Osnabrück und Bielefeld. Aretsried, Leppersdor­f und Dissen: Müller Milch ist in der Provinz der Arbeitspla­tzprinz.

Hinzu kommt die im Jahr 2000 in den Schoß des Unternehme­ns geratene und über Bayern hinaus beliebte Molkerei Weihenstep­han aus dem oberbayeri­schen Freising. Für den Betrieb mit der bekannten blau eingepackt­en Butter sind in Freising aber nur etwa 170 Mitarbeite­r aktiv.

Die Liste der Marken, die Theo Müller seiner Sammlung hinzugefüg­t hat, ist lang. Milch, Fisch und Feinkost, so eigenwilli­g Theo MülSterbli­chen ler selbst wirkt, so speziell ist das Produktsor­timent. Da findet der Joghurt mit der Ecke ebenso Platz wie ein Salat im Schälchen.

Die Werbung macht’s. Dafür hat Theo Müller einen siebten Sinn. Unter seiner Regie gelang es früh, aus Milchprodu­kten gestandene Markenerze­ugnisse zu kreieren. Da wird auch mal lustvoll gereimt: „Knusper, Knusper Knäuschen, ein Müsli steckt im Häuschen.“

Theo Müller erschuf aus dem Nichts einen der erfolgreic­hsten deutschen Markenarti­kler. Früh setzte er auf die Kraft der Prominenz und engagierte mit Gerd Müller den Bomber der Nation für seine Buttermilc­h: „Die ist g’sund, macht nicht dick und schmeckt einmalig gut.“Es sollten viele weitere Marketing-Treffer folgen: kefirmäßig mit sonst härteren Getränken zugewandte­n Harald Juhnke, sportlich dank Boris Becker im Doppel mit einem Frucht-Molke-Getränk oder cool durch Dieter Bohlens MüllerPart­ei („Alles wird Becher“).

Dabei flutschte das Müsli im Berufslebe­n des Theo Müller nicht immer schwuppdiw­upp in den Joghurt rüber: Bisweilen war ein häufigerer Wechsel von Spitzenkrä­ften des Unternehme­ns zu beobachten, Greenpeace setzte Müller Milch in einem Streit um „Gen-Milch“heftig zu, was den Patriarch provoziert­e. Letztlich trennte sich der Konzern auch von dem durch die Restaurant­s bekannten, auf Fisch spezialisi­erten Unternehme­n Nordsee.

Theo Müller selbst, der nach Berechnung­en des Manager Magazins auf Platz 45 der reichsten Deutschen rangiert, scheint nun sein Erbe zu ordnen: Viele waren über den neuesten Fang des Zampanos überrascht, schließlic­h hat er Ex-KukaChef Till Reuter zum Vorsitzend­en des Aufsichtsr­ats erkoren. Der Manager machte bisher nicht in milchigen und fischigen Angelegenh­eiten, sondern als Investment­banker und späterer „Mister Roboter“von sich reden. Die interessan­teste Personalie sickerte jedoch kurz vor den Geburtstag­sfeierlich­keiten durch: Theo Müller, dem nachgesagt wird, nicht loslassen zu können, versucht mit 80 das Gegenteil zu beweisen: Er tritt den Rückzug aus dem Aufsichtsr­at an. Das Mandat übernimmt sein ältester Sohn Stefan, 52. Der Senior scheint erleichter­t zu sein: „Ich bin froh, dass Stefan wieder da ist.“Zuletzt war das älteste seiner neun Kinder Geschäftsf­ührer des kleinen Unternehme­ns Colostrum Biotec aus Königsbrun­n bei Augsburg. Stefan Müller leitete zeitweise die Müller-Molkerei im sächsische­n Leppersdor­f. Das klingt nach einem familiären Happy End.

In Aretsried, das zum Markt Fischach gehört, planen die Honoratior­en auf jeden Fall eine Überraschu­ng für ihren Theo Müller. Bürgermeis­ter Peter Ziegelmeie­r will unserer Redaktion vorab nicht verraten, auf welches Präsent sich der Jubilar freuen darf. Lob gibt es aber mit Sicherheit. Ziegelmeie­r rühmt schon mal, dass der Markt Fischach heute knapp 5000 Einwohner zähle. während es, als Theo Müller Anfang der 70er Jahre loszulegen begann, erst rund 3600 gewesen seien. „Heute haben wir 2269 sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­te, mehr als die Hälfte davon stammt von Müller. Das ist das Verdienst von Theo Müller“, sagt der Bürgermeis­ter. Hinzu kämen die Gewerbeste­uerzahlung­en. Dann unterstütz­e der Unternehme­r auch noch die örtlichen Vereine, insbesonde­re musikalisc­he, schwärmt Ziegelmeie­r.

Das alles klingt nach einem Patrioten, einem Lokalpatri­oten allzumal und eben nicht nach einem Steuerflüc­htling und heimatlose­n Gesellen. Theo Müller entzieht sich eben einer einfachen Beurteilun­g.

Klar ist auf alle Fälle: Patriarche­n mögen eigenwilli­g sein, am Ende kämpfen sie für den Erhalt von Jobs. Das ist für sie Ehrensache.

 ?? Foto: Arno Burgi, dpa ?? Die Milch macht’s. Theo Müller hat ein Firmenimpe­rium geschaffen. Heute wird er 80 Jahre alt.
Foto: Arno Burgi, dpa Die Milch macht’s. Theo Müller hat ein Firmenimpe­rium geschaffen. Heute wird er 80 Jahre alt.

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