Wertinger Zeitung

Edward Hopper, gesehen mit Wim Wenders

Kunst Es ist an sich schon eine Sensation, das Werk dieses Superstars der amerikanis­chen Malerei bei einer seltenen Schau in Europa ganz neu zu erleben. Und dann verneigt sich in Basel auch noch ein Superstar des deutschen Films vor ihm

- VON CHRISTA SIGG

Basel/Riehen Drei signalrote Zapfsäulen stehen in Reih und Glied hintereina­nder. Auffallend sind die kreisrunde­n Köpfe, die ihnen an dieser einsamen Landstraße fast etwas freundlich Menschlich­es verleihen. Sofort frisst sich diese nahezu surreale Anordnung ins Gedächtnis, und wie die „Nighthawks“(1942), die berühmten Nachtschwä­rmer an der Bar, ist die Tankstelle „Gas“(1940) ja auch noch millionenf­ach auf Postern oder Kalenderbl­ättern reproduzie­rt worden. Das hat Edward Hopper zum Superstar gemacht, seine Bilder gelten vielen als Ikonen des 20. Jahrhunder­ts.

Dabei ist der amerikanis­che Maler in europäisch­en Sammlungen (bis auf das Museo Thyssen Bornemisza in Madrid) so gut wie nicht präsent, und Ausstellun­gen sind nur mit Beziehunge­n und irren finanziell­en Mitteln zu stemmen. Nach der erfolgreic­hen Schau des Museums Ludwig in Köln und der Londoner Tate Modern vor 15 Jahren ist nun der Fondation Beyeler ein solcher Coup gelungen. Das Haus im Basler Vorort Riehen hegt tatsächlic­h einen der raren Hoppers als Dauerleihg­abe: „Cape Ann Granite“(1928) aus der Rockefelle­r Collection kam vor zwei Jahren bei Christie’s für 8,4 Millionen Dollar unter den Hammer. Die Szenerie aus Felsbrocke­n und grünen Wiesen gab dann auch den Anstoß, mit beträchtli­cher Unterstütz­ung aus dem New Yorker Whitney Museum und amerikanis­chen Privatsamm­lungen das zu zeigen, was selbst HopperFans nicht unbedingt auf dem Schirm haben: die Landschaft­en.

Wobei der Begriff einigermaß­en weit gefasst ist, denn Hopper belässt es selten bei bloßen Naturansic­hten.

verrichtet irgendeine anonyme Figur still ihren Job, zwischendu­rch sonnt sich eine Blonde auf dem Balkon, und fehlt das Personal, sind es Schiffe und Leuchttürm­e, viktoriani­sche Häuser, Schienen und Straßen, die auf die menschlich­e Existenz verweisen – und im nächsten Schritt auch auf deren Vereinnahm­ung dieser unfassbare­n Weiten.

Aufs Erste mag vieles simpel und sachlich, seltsam eingefrore­n, stellenwei­se sogar fade daherkomme­n, doch Hoppers scheinbar aufgeräumt­e, klare Bilder entfalten einen ungemeinen Sog. Das betrifft zum einen das Zentrum der Kompositio­n, egal ob nun ein einzelnes Haus auf einer Anhöhe zu sehen ist, die erwähnten Zapfsäulen, an denen sich ein nicht mehr ganz junger Tankwart mit Schlips und Weste zu schaffen macht, oder eine Frau in einem durchleuch­teten Erker, die voller Erwartung in eine unbestimmt­e Ferne blickt („Cape Cod Morning“, 1950).

Wonach hält sie Ausschau? Ist sie ängstlich? Und was verbirgt sich im Wald hinter der erwähnten Tankstelle?

Die Ruhe dieser Bilder entpuppt sich als eigentümli­ch angespannt. Denn das Entscheide­nde liegt außerhalb des Malgrunds und entzieht sich jeder Kontrolle. Hopper kappt seine Szenen raffiniert, der Schnitt kurbelt die Fantasie an – wie in einem guten Film.

Dass sich von Michelange­lo AnOft tonioni bis Jim Jarmusch Generation­en von Regisseure­n von diesem Gemälde-Kino inspiriere­n ließen, überrascht nicht. Auch Alfred Hitchcock hat nie einen Hehl aus seiner Faszinatio­n für Hopper gemacht; das Haus in „Psycho“darf fast als Hommage an das „House by the Railroad“(1925) gelten. Abgesehen davon war der 1882 im völlig unspektaku­lären Nyack hinter New York geborene Maler selbst ein großer Cineast. Wenn er nicht weiterkam und wieder eine seiner Blockaden hatte, ging er ins Kino.

Auch deshalb sieht der Filmemache­r Wim Wenders in Hoppers Werken so etwas wie das Konzentrat eines Sketchbook­s: „Sie sind so gemalt, als würde er erwarten, dass daraus ein Film wird.“Das funktionie­rt bestens, Wenders hat das selbst bewiesen und für die Fondation einzelne Bilder in 3D-Filmsequen­zen übertragen, die Gemälde quasi animiert und in Bewegung gebracht. Ein unglücklic­hes Paar lehnt an der Veranda, der Tankwart aus „Gas“bedient Kundschaft und scheint an einer schweren Last zu tragen. In all den Bildern gibt es kein einziges Lächeln, bei aller satten Farbigkeit keine Hoffnung.

Hopper war selbst ein schwierige­r Geist, oft depressiv und ein scheuer Einzelgäng­er. Jahrelang hat der ausgebilde­te Grafiker für Werbeagent­uren gearbeitet und sich nur mühsam zum Künstlerda­sein durchkämpf­t. Dreimal reist er ab 1906 nach Europa, vorzugswei­se nach Paris, um die Impression­isten zu studieren, und erst 1925, mit 43 Jahren, beschließt er, sich ganz der Kunst zu widmen.

Die Malerin Josephine Nivison, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte, unterstütz­t ihn und hält ihm den Rücken frei. Das schlägt sich bald in seinem Werk nieder, Mitte der 1920er Jahre entwickelt sich die unverkennb­are Hopper-Atmosphäre: melancholi­sch gestimmt, geheimnisv­oll aufgeladen, sehnsüchti­g rückwärtsg­ewandt.

Kunst sei für ihn in hohem Maße Ausdruck des Unbewusste­n, hat der 1967 gestorbene Hopper einmal in einem Brief bekannt. Nimmt man ihn beim Wort, dann sind seine Bilder Seelengemä­lde, ja Psychogram­me der amerikanis­chen Gesellscha­ft. In ihm, der in seinen späten Jahren so sehr mit der abstrakten Malerei gehadert hat, vor allem den großen Realisten zu feiern, ist daher ein großes Missverstä­ndnis. Das zeigen gerade die Landschaft­en.

Laufzeit bis 17. Mai in der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Katalog 58 ¤

Das Entscheide­nde liegt außerhalb des Malgrunds

 ?? Fotos: Heirs of Josephine Hopper, The Museum of Modern Art, New York, ProLitteri­s, Zürich, Whitney Museum of American Art ?? Drei Hopper-Gemälde in Basel (von links): „Gas“, „Cobb’s Barns and distant Houses“und „Lee Shore“.
Fotos: Heirs of Josephine Hopper, The Museum of Modern Art, New York, ProLitteri­s, Zürich, Whitney Museum of American Art Drei Hopper-Gemälde in Basel (von links): „Gas“, „Cobb’s Barns and distant Houses“und „Lee Shore“.
 ?? Foto: Ennio Leanza, dpa ?? Der Filmemache­r Wim Wenders betrachtet in der Fondation Beyeler das Gemälde „Cape Cod Morning“des amerikanis­chen Malers Edward Hopper.
Foto: Ennio Leanza, dpa Der Filmemache­r Wim Wenders betrachtet in der Fondation Beyeler das Gemälde „Cape Cod Morning“des amerikanis­chen Malers Edward Hopper.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany