Wertinger Zeitung

Bereit wie nie

Olympia Ein halbes Jahr vor Beginn der Spiele fühlen sich die Japaner bestens gewappnet. Die Vorfreude im Land ist groß und die Sportstätt­en sind bereits fertiggest­ellt. Bei so viel hellem Schein gibt es aber auch Schatten

- VON FELIX LILL

Tokio Ein halbes Jahr vor Beginn der Olympische­n Spiele zeigt sich die Gastgebers­tadt Tokio voller Vorfreude. Das liegt an Patriotism­us und Sportbegei­sterung, aber auch daran, dass Gegner des MegaEvents keine Mikrofone haben.

Es könnten die populärste­n Spiele der Geschichte werden, hört man es in Japan dieser Tage schwärmen. Denn wer will nicht dabei sein, wenn schon bald Olympia nach Tokio kommt? In den ersten zwei Bewerbungs­runden um Eintrittsk­arten meldeten sich allein in Japan rund neun Millionen Personen an. Die Ticketnach­frage ist so groß, dass Händler in den USA schon um ihre internatio­nalen Kontingent­e bangen. Auch bei den Paralympis­chen Spielen, die im August kurz nach Ende der Olympische­n beginnen und meist in deren Schatten stehen, verzeichne­t man Rekorde. Mit drei Millionen Anfragen wollen dreimal so viele Menschen in die Stadien wie noch 2012 in London.

Vieles deutet darauf hin, dass Japan der Welt dieses Jahr zeigt, wie ein perfekt orchestrie­rter Sportsomme­r aussieht. Ein halbes Jahr bleibt noch, bis am 24. Juli im renovierte­n Nationalst­adion von Tokio die größte Sportveran­staltung der Welt beginnt. Schon jetzt sind wohl alle bereit. Während laut einer Umfrage 75 Prozent der Japaner am MegaEvent grundsätzl­ich interessie­rt sind, scheint ein ähnlich hoher Anteil die Veranstalt­ung des Spektakels auch zu unterstütz­en. Denn anders als 2012 in London oder 2016 in Rio ist in Tokio von öffentlich­em Protest gegen die Spiele wenig zu sehen.

Eine patriotisc­he, sportliche Vorfreude ist allgegenwä­rtig. Es wird plakatiert, interviewt, geworben. Von offizielle­r Seite jagt eine gute Nachricht die andere. Schließlic­h verspricht die größte Metropolre­gion der Welt ihren Einwohnern so einiges. Durch Olympia Spiele werde Tokio zur lebenswert­esten Stadt der Welt, wie es seit Jahren heißt. Die Spiele sollen nämlich auch dafür genutzt werden, um die Anwendung autonomer Taxis zu proben, die Nutzung von Wasserstof­f als Energieträ­ger zu testen und neue Assistenzr­oboter ins Feld zu schicken.

Auf sportliche­r Seite werden zudem mehr Wettbewerb­e ausgetrage­n und Medaillen vergeben als in vorigen Jahren. Zu den neuen Sportarten gehören Baseball, Karate, Skateboard, Klettern und Surfen. Japan hofft dabei auf 30 Goldmedail­len, was wiederum ein neuer Rekord wäre. Und als Mitte des Monats schließlic­h fünf große, bunte Kreise an der Bucht von Tokio installier­t wurden, berichtete der öf

Rundfunkse­nder NHK mit deutlichem Stolz: „Die olympische­n Ringe sind angekommen.“Das Asahi Shimbun, die zweitgrößt­e Tageszeitu­ng im Land, nannte diese Baustruktu­r allein schon einen „Touristenm­agnet“.

In Tokio kann es auch deshalb allmählich losgehen, weil schon bald auf nichts mehr gewartet werden muss. Das Nationalst­adion, das in seiner Grundstruk­tur schon für Olympia 1964 der Hauptstand­ort war und für 2020 gründlich erneuert wurde, ist mittlerwei­le eingeweiht. Das olympische Dorf ist fast fertig, ebenso steht es um die Schwimmhal­le und andere noch entstehend­e Anlagen. Viele Wettkampfs­tätten dagegen standen schon vor Tokios Bewerbung für das olympische Austragung­srecht.

Die Organisato­ren freuen sich auch deshalb über die planmäßige­n Vorbereitu­ngen, weil „Tokyo 2020“viel mehr sein soll als nur ein Sportereig­nis. Geht es nach Japans

Shinzo Abe, so werden es auch die „Spiele des Wiederaufb­aus“von der Katastroph­e 2011, als Japans Nordostküs­te von einem Erdbeben erschütter­t und einem Tsunami überschwem­mt wurde. Infolgedes­sen starben fast 20 000 Menschen, in Fukushima havarierte ein Atomkraftw­erk, Hunderttau­sende mussten evakuiert werden. Um der Welt zu zeigen, dass die Refentlich­e gion nun wieder auf eigenen Beinen steht, finden olympische Wettbewerb­e im Baseball und Softball auch in Fukushima statt.

Vor allem deshalb ist das Ausbleiben breit angelegter Proteste in Japan zumindest überrasche­nd. Seit dem Unglück von Fukushima stellt sich eine Mehrheit der Japaner in Umfragen gegen die weitere Nutzung von Atomkraft und damit gegen die Regierung von Shinzo Abe, die diese weiter nutzt. „Die Entscheidu­ng, olympische Wettbewerb­e nach Fukushima zu bringen, bedeutet auch Werbung für Abes Festhalten an der Atomkraft“, sagt Yasuo Goto, ein Ökonomiepr­ofessor der Universitä­t Fukushima.

Schließlic­h lenke das Spektakel von den durch den Atom-Gau entstanden Schäden in der gesamten Region ab und richte stattdesse­n alle Aufmerksam­keit auf ein frisch renovierte­s Baseballst­adion in Fukushima-City, weit entfernt von der weiterhin radioaktiv strahlende­n KraftPremi­erminister werksruine. Goto glaubt zudem, dass die wahre Unterstütz­ung der Menschen für die Olympische­n Spiele weitaus geringer ist, als es Umfragen zeigen. Nur hätten viele aufgegeben, für ihre Interessen auf den Straßen einzustehe­n. Schließlic­h gab es nach der Katastroph­e von 2011 große Proteste, die wirkungslo­s blieben.

So sieht es auch Misako Ichimura, die noch vor der Verleihung des olympische­n Austragung­srechts an Tokio die Vereinigun­g Hangorin ins Leben rief. Hangorin, übersetzt Anti-Olympia, ist die sichtbarst­e Bürgerbewe­gung, die sich zu OlympiaGeg­nern erklärt hat. Sie ist so klein, dass die meisten Japaner vermutlich noch nie von ihr gehört haben. Zu öffentlich­en Protesten werden Banner ausgerollt und die Thesen per Megafon auf die Straße gerufen. Allerdings nehmen daran in der Regel kaum 100 Menschen teil. „Viele Leute sind gegen Olympia, aber sie sagen nichts“, meint Uchimura.

Der soziale Druck, „Tokyo 2020“zu unterstütz­en, sei so groß, dass sich viele nicht trauten, ihre wahre Meinung zu offenbaren. „Wer skeptisch gegenüber Olympia ist, dem wird unterstell­t, dass ihm das Schicksal der Menschen in Fukushima und den anderen beschädigt­en Gebieten egal sei“, so Ichimura. Dabei sei ihr Verein nicht gegen die Unterstütz­ung dieser Regionen, sondern gegen die Verwendung von Steuergeld­ern für Stadien in Tokio. „Wir könnten doch stattdesse­n noch viel mehr an Wiederaufb­au leisten.“Es sind Einschätzu­ngen, die man dieser Tage tatsächlic­h hin und wieder hört, sobald ein Gespräch weiter geht als die Frage, ob man nun für oder gegen Olympia ist.

Nur wird darüber, wie die öffentlich­en Ressourcen am klügsten zu verwenden wären und wie die seit 2011 beschädigt­en Gebiete am besten unterstütz­t werden könnten, kaum diskutiert, sobald es um Olympia geht. Das könnte unter anderem daran liegen, dass zu den Sponsoren von „Tokyo 2020“jede der fünf auflagenst­ärksten Zeitungen im Land zählt. Diese wiederum sind jeweils im Besitz eines TV-Senders mit großer Reichweite. Im Fokus deren Berichters­tattung steht jeweils die Vorfreude auf die Spiele.

Kaum erwähnt wurde etwa, dass in der Präfektur Fukushima sowie im weiter nördlich und durch den Tsunami beschädigt­en Miyagi mehrere Wiederaufb­auprojekte gestoppt werden mussten. Wegen des olympisch bedingten Baubooms in Tokio sind Materialie­n und Arbeitskrä­fte so teuer geworden, dass in einigen entlegener­en Orten bald das Geld fehlte, um dort neue Stadtzentr­en und Sporthalle­n zu bauen.

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Foto: Kyodo, dpa Das neue Nationalst­adion in Tokio kostete rund 1,2 Milliarden Euro. Die Olympische­n Spiele sind ein teurer Spaß – da kann dann auch mal das nötige Kleingeld für notwendige neue Stadtzentr­en fehlen.
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