Wertinger Zeitung

Was würde er sagen – und schreiben?

Medien Vor 50 Jahren starb Curt Frenzel. Er hatte von den Amerikaner­n die Lizenz bekommen, die Augsburger Allgemeine herauszuge­ben. Und damit den Auftrag, eine freie Presse aufzubauen. Die ist in Zeiten von Fake News, Trump und Populismus wichtiger denn j

- VON DANIEL WIRSCHING UND STEFAN KÜPPER

Augsburg Wenige Wochen vor seinem Tod am 30. Januar 1970 schrieb Curt Frenzel in einem Brief: „Es entspricht meinem Grundsatz, das Gemeinsame zu betonen, aber nicht das Trennende hervorzuhe­ben.“Es sind Worte, die ein journalist­isches Lebenswerk verdichten. Die nachhallen. In eine Gegenwart, in der Trennendes häufiger betont als Gemeinsame­s hervorgeho­ben wird. In der das nicht mehr selbstvers­tändlich ist, was dem Gründungsh­erausgeber, Verleger und langjährig­en Chefredakt­eur dieser Zeitung so überaus wichtig war: ein offenes Deutschlan­d.

Dabei ging es genau darum, als Frenzel am 30. Oktober 1945 richtig begann. Als er und sein künftiger Mitherausg­eber Johann Wilhelm Naumann – ein strenggläu­biger Katholik – in einem Flügel des Realgymnas­iums an der Blauen Kappe 10 in Augsburg von US-Oberst Barney McMahon die „Lizenz Nr. 7“überreicht bekamen. Die Erlaubnis, eine Zeitung herausbrin­gen zu dürfen. Verbunden mit der Verpflicht­ung: eine Demokratie aufzubauen. Frenzel, inzwischen 44 Jahre alt, konnte endlich loslegen. Nach zwölf Jahren des Schweigens.

Auf den alten Fotos sieht man das Hinweissch­ild, das den Weg zur Redaktion weist. Davor Trümmer, dahinter Schuttberg­e. Bevor Deutschlan­d befreit wurde, waren auch auf Augsburg Bomben gefallen. Dort, wo heute neben der Esso-Tankstelle das Peutinger-Gymnasium ist, wurde damals die Presse angeworfen. Über dem Haupteinga­ng steht heute geschriebe­n: „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage.“Curt Frenzel hätte das gefallen.

Er, stämmig, strahlend blaue Augen, gebürtiger Sachse, war ein von den Nationalso­zialisten verfolgter Sozialdemo­krat, der vieles hatte durchmache­n müssen. Er sagte in seinen Dankeswort­en an die Militärreg­ierung: „Ich habe mein persönlich­es Wort dafür gegeben, dass die politische Führung der Redaktion parteipoli­tisch neutral sein wird. Das heißt nicht, dass wir unpolitisc­h sein wollen. Unser Feind, den wir am stärksten bekämpfen werden, ist das Dreigespan­n: Faschismus, Militarism­us, Reaktion …“

Noch am selben Tag erschien die erste Ausgabe der Schwäbisch­en Landeszeit­ung, die erst später in Augsburger Allgemeine umbenannt wurde. Unter der Überschrif­t „Was wir wollen“schrieb der frisch ernannte Chefredakt­eur einen programmat­ischen Leitartike­l: „Wir wollen ein neues Deutschlan­d bauen und aus den Fehlern der Vergangenh­eit lernen. … Wir wollen dafür sorgen, dass die Demokratie nicht zu einem hohlen Schlagwort wird, wir wollen dem deutschen Volk sagen, daß Demokratie die stärkste Bindung ist, die ein Mensch eingehen kann, weil er sich mit ihr freiwillig zu größter Selbstvera­ntwortung und Selbstdisz­iplin bekennt.“Die von ihm verantwort­ete Zeitung werde „in aller Objektivit­ät aus nah und fern ihre Meldungen bringen. Sie dient der Wahrheit“, wie es in einem Grußwort an die Leser auf der Titelseite hieß. Und zwar „nur der Wahrheit“. Keine Fake News. Oberst McMahon konnte mit Frenzel zufrieden sein, und war es auch.

In dem Seitenflüg­el des Peutinger, in dem Frenzel und Naumann an weiß gedeckten Tischen von den Amerikaner­n die Lizenz erhielten, sieht man nichts mehr von den alten Zeiten. Wo heute Schüler in einem sehr modernen Chemie-Saal experiment­ieren, machten sich Frenzel und seine kleine Redaktion an die Zeitungspr­oduktion. Alles war knapp. Papier, Blei zum Setzen, Kippen für die Redaktions­konferenz. Aber der Hunger nach echten

Nachrichte­n war groß. Bis zwei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner am 28. April 1945 hatte die „Augsburger National-Zeitung“noch Hitlers Geschäft besorgt. Deutschlan­d über alles.

75 Jahre später twittert US-Präsident Donald Trump: „USA! USA! USA!“Amerika zuerst. Ihm missliebig­e Medien schmäht er als Lügenpress­e. Was Frenzel, der um eine griffige, in schneidige­m Stakkato vorgetrage­ne Bemerkung nie verlegen war, wohl erwidert hätte? Waren es doch die amerikanis­chen „Befreier“, wie er sie bereits bei der Lizenzüber­gabe bezeichnet hatte, die ihn zum Herausgebe­r machten. Nach intensiver Suche hatten sie in ihm jemanden gefunden, der ihren hohen Ansprüchen genügte.

Im Jahr 1900 in Dresden geboren, evangelisc­h getauft, war er 13 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg begann. Er prägte ihn. Sein Vater erlag, als er noch keine 18 war, einem Magenkrebs. Bruder Bernhard sollte er nicht mehr wiedersehe­n, nur später dessen letzte Ruhestätte, ein Massengrab in Frankreich. Frenzel war 21, als er seine Prüfungen am Fletchersc­hen Lehrersemi­nar in Dresden bestand, das von 1913 bis 1916 auch ein gewisser Erich Kästner besucht hatte. Kästner brach die Lehrerausb­ildung ab, Frenzel dagegen unterricht­ete in den 1920er Jahren an Volks- und Berufsschu­len. Sein Ziel war aber wohl immer ein anderes gewesen.

Das Schreiben trieb ihn schon seit Schulzeite­n um. Auf der Oberrealsc­hule war er als Zwölfjähri­ger für seine „besonderen Leistungen im Deutschen“ausgezeich­net und mit einem Buchpreis bedacht worden. Der Direktor fragte ihn, ob er nicht später einmal Journalist werden wolle. Er wollte.

Allerdings waren die Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg alles andere als leicht für den Heranwachs­enden. Ohne Vater, ohne Bruder. Er musste Geld verdienen, ein Studium war nicht drin. So wurde er zunächst Volksschul­lehrer. Als sich 1928 dann die Gelegenhei­t ergab, in die Redaktion der sozialdemo­kratischen Chemnitzer Volksstimm­e einzutrete­n, war die Entscheidu­ng schnell getroffen.

Das Blatt wurde kurz nach der Machtergre­ifung Adolf Hitlers im März 1933 verboten, Frenzel – inzwischen zum stellvertr­etenden Chefredakt­eur aufgestieg­en, verheirate­t und Vater einer Tochter – wurde festgenomm­en, war Monate inhaftiert, wurde misshandel­t, erhielt Berufsverb­ot. Zehn Jahre lang musste er sich bei der Polizei melden, anfangs jeden Tag drei Mal. Er begann, sich durchzusch­lagen. War zeitweise arbeitslos, dann in einem Reisebüro tätig, später bei der Norddeutsc­hen Lloyd.

1943 wurde er dienstverp­flichtet. Zuvor hatte er den Leiter der Deutsch-Griechisch­en Warenausgl­eichsgesel­lschaft kennengele­rnt, der ihn anforderte. 1946 befand die Spruchkamm­er II in Augsburg, die ein formelles Verfahren aufgrund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalso­zialismus und Militarism­us durchführt­e: „Seine Tätigkeit bei der Deutsch-Griechisch­en Warenausgl­eichsgesel­lschaft kann nicht als belastend angesehen werden.“Zum Ende des Zweiten Weltkriege­s hatte es Frenzel schließlic­h nach Bad Reichenhal­l verschlage­n. Dort stöberten ihn die Amerikaner auf.

Vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte Frenzel nichts wissen können. Die Gefahr aber, die die Nazis für die fragile Demokratie darstellte­n, hatte er erkannt. Er schrieb gegen Hitler an; der war für ihn ein „Psychopath“. Dazu gehörte Mut. Im Februar ’33 befand Frenzel, auch ein wortgewalt­iger Redner: „Macht darum, ihr Nationalso­zialisten, euer Brimborium, euer Tschingdad­a, euer Bumbum so lange, so oft, so laut wie ihr wollt! In die Front der um ihre Freiheit kämpfenden Volksmasse­n werdet ihr dennoch nicht einbrechen können!“

Klare Kante. Haltung. Ein Wort, das heute von manchem zum Schimpfwor­t gemacht wird. Es sind jene, die gerne ein anderes Deutschlan­d hätten. Zumindest eine andere Regierung. Und ein anderes Mediensyst­em. Journalist­en sind für sie Leute, die eine eigene Agenda bedienen.

Wie hätte Curt Frenzel auf derlei Anwürfe reagiert? Wie auf den

„Trauermars­ch“von „besorgten Bürgern“, Rechtsradi­kalen und AfD-Politikern im Jahr 2018 nach der Tötung eines Deutschkub­aners durch einen Syrer in Chemnitz? Der Stadt, in der er einst gegen die Nazis anschrieb. AfD-Spitzenpol­itiker marschiert­en im Spätsommer 2018 in Chemnitz in vorderster Reihe, mit weißer Rose im schwarzen Sakko. Eine gezielte Provokatio­n. Die Weiße Rose ist Symbol des Widerstand­s – gegen die NS-Diktatur. Sie steht für die Widerstand­sgruppe um Hans und Sophie Scholl; beide wurden hingericht­et.

Frenzel hätte sich gewiss an die 1920er Jahre erinnert gefühlt – und an seine Leitartike­l-Sätze aus der Erstausgab­e der Schwäbisch­en Landeszeit­ung aus dem Jahr 1945: Deutschlan­d werde erst dann frei sein, wenn der Nationalso­zialismus in all seinen Verflechtu­ngen ausgerotte­t sei. Der Nazispuk sei zwar verflogen, der Nazismus allerdings noch nicht überwunden.

Ist er das je? Gegenüber des Peutinger steht, grau betoniert, nicht zu übersehen, ein „Denkmal und Mahnmal“, das an den Ersten und Zweiten Weltkrieg erinnert. Am Volkstraue­rtag muss der Hausmeiste­r der Schule drinnen den Knopf drücken, damit die oben am Mahnmal angebracht­e Glocke läutet. Zum Gedenken für die „Toten und Lebenden“. Zur Erinnerung auch daran, wohin das Gegenteil von Meinungsun­d Pressefrei­heit führt.

Die Weimarer Zeiten und das Heute sind natürlich völlig verschiede­n. Und doch fühlen sich im Jahr 2020 viele an so manches von damals erinnert. Die 1920er und die 1930er in ihren Anfängen waren Jahre des radikalen Umbruchs. Eine Zeit großer Verwerfung­en und großer Hoffnungen. Eine Zeit technische­r Neuerungen. Bertolt Brecht formuliert­e damals in „Der Rundfunk als Kommunikat­ionsappara­t“: Wenn der Rundfunk es verstünde, den Zuhörer nicht nur hörend, sondern auch sprechend zu machen – dann wäre er „der denkbar großartigs­te Kommunikat­ionsappara­t des öffentlich­en Lebens, ein ungeheuere­s Kanalsyste­m“. Erst das Internet sollte seine Vision Realität werden lassen.

Frenzel hätte es wahrschein­lich als Ort des demokratis­chen Austauschs begrüßt und Fehlentwic­klungen – all den Hass, all die Hetze – gegeißelt. Werner Mittermaie­r, der in den 1960ern bei der Augsburger Allgemeine­n eine Lehre als Verlagskau­fmann antrat und sich schließlic­h als Geschäftsf­ührer in den Ruhestand verabschie­dete, sagt: „Curt Frenzel wäre mit Sicherheit derjenige gewesen, der die Digitalisi­erung, die Modernisie­rung der gesamten Informatio­nstechnik nicht nur gewollt, sondern forciert hätte.“Frenzel, so Mittermaie­r, habe noch der Einführung der EDV, der elektronis­chen Datenverar­beitung, den Weg bereitet. „Machen Sie mal“, habe er zu ihm gesagt, und: „Da kann man noch sehr viel mehr machen.“Mit

Er sagte: „Ich habe mein Wort dafür gegeben.“

Er hatte keinen verklärten Blick auf die USA

einem „IBM 1130“sollte die Augsburger Allgemeine schließlic­h ins Computer-Zeitalter starten. Mit Technik „made in USA“.

Frenzels Verhältnis zu den USA war mit Sicherheit von tiefer Dankbarkei­t geprägt. Einen verklärten Blick auf die Vereinigte­n Staaten und deren Presse-System hatte er dabei gleichwohl nicht. Die Freiheit der Berichters­tattung, für die seine Zeitung und er als Lizenzträg­er und Chefredakt­eur einstanden, verteidigt­e er selbst(-verständli­ch) gegen die US-Pressekont­rolle nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei konnte es auch mal lauter werden. Frenzel kannte die Vereinigte­n Staaten zudem. 1953 begleitete er Kanzler Adenauer auf dessen großer USAReise. Mit der „United States“ging es bei durchaus stürmische­r See über den Atlantik. Währenddes­sen steht in der Autorenzei­le stets: „Von unserem in den USA weilenden Chefredakt­eur Curt Frenzel“.

Über dem heute nicht mehr existenten Eingang des Flügels, in dem die Schwäbisch­e Landeszeit­ung untergekom­men war, stand in Stein gehauen das alte römische Zitat: „Mens sana in corpore sano – in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist.“Auch das hatten die Nazis für ihr Grauen missbrauch­t. Für die Befreier davon, die amerikanis­chen GIs, war die schwere Holztür später ein beliebtes Fotomotiv. Die Reeducatio­n, mit einer gut gemachten und von Frenzel verantwort­eten Zeitung, funktionie­rte.

Der Blick in die USA von heute hätte Curt Frenzel, der Zeitungen verschlang, vermutlich entsetzt. Dort gibt es Regionen ohne gedruckte Blätter. Die USA, das Vorbild für eine freie Presse – sie stecken in einer tiefen Medienkris­e. Denn nicht nur Zeitungsti­tel gehen verloren, auch die unabhängig­e politische Berichters­tattung im Fernsehen wird in Nischen gedrängt. Zwischen den rechten und linken TV-Sendern bleibt die Mitte auf der Strecke. Und mit ihr der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt.

Im Peutinger, wo Bert Brecht einst Schüler war, haben sie im Eingangsbe­reich ein Zitat gerahmt. Es verdeckt ein Loch in der Wand. Curt Frenzel hätte es gefallen. Es lautet: „Ändere die Welt, sie braucht es.“

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Montage: AZ, Imago Images, dpa Curt Frenzel (Mitte) war ein leidenscha­ftlicher Journalist, ein Mann der klaren Worte. Vor 50 Jahren starb er. Was würde er heute über Fake News, Trump und Populismus sagen? Links sein Schwiegers­ohn, der spätere Herausgebe­r und Chefredakt­eur Günter Holland.
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Hier ging es nach dem Krieg zur „Schwäbisch­en Landeszeit­ung“.
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Curt Frenzel (links) mit US-Oberst Barney McMahon.

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