Wertinger Zeitung

Giffey soll die Berliner SPD retten

Berlin Bürgermeis­ter Müller will nicht mehr Landeschef sein. Für ihn soll die Familienmi­nisterin nachrücken. Die 41-Jährige dürfte wohl auch als Regierende Bürgermeis­terin kandidiere­n

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Nachricht kam nicht ganz unerwartet, sie hat zwei Teile und viel politische­s Gewicht: Berlins Regierende­n Bürgermeis­ter Michael Müller zieht es in die Bundespoli­tik. Der SPD-Politiker will im Mai nicht mehr für den Landesvors­itz kandidiere­n und stattdesse­n im Herbst für einen Platz im Bundestag antreten. Das ist die eine Hälfte der Nachricht, die zweite ist aber bedeutsame­r: Für Müller soll Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey in einer Doppelspit­ze mit SPD-Fraktionsc­hef Raed Saleh die Landes-SPD übernehmen und sich offenbar als Müllers Nachfolger­in um den Posten im Roten Rathaus bewerben.

In der Hauptstadt wird schon lange darüber spekuliert, dass Giffey die Karrierele­iter wieder ein paar Sprossen hinabsteig­t und in die Landespoli­tik zurückgeht. Die 41-Jährige ist seit März 2018 Bundesfami­lienminist­erin und hat diesen Job solide und unauffälli­g ausgefüllt. Abseits der politische­n Agenda machte sie mit Unsauberke­iten bei ihrer Doktorarbe­it von sich reden.

Giffey kam bei der Regierungs­bildung 2018 überrasche­nd und kurzfristi­g vor allem deshalb ins Bundeskabi­nett, weil die SPD unbedingt noch eine Frau aus dem Osten zur Ministerin machen wollte. Vorher hatte sie ihr Geld als Bürgermeis­terin des Berliner Bezirks Neukölln verdient. Aus dieser Zeit hält sich hartnäckig die Einschätzu­ng, Giffey habe eine herausrage­nde Arbeit gemacht. Wer dieser Tage durch Neukölln geht, merkt davon allerdings wenig.

Vor dem Hintergrun­d schlechter Umfragewer­te für die Bundes-SPD darf Giffeys Entscheidu­ng getrost als Flucht nach vorne verstanden werden. Die Wahrschein­lichkeit erscheint derzeit gering, dass die SPD ein weiteres Mal die Regierung führt. Darüber hinaus hatten es SPD-Politiker aus Berlin bei den letzten Wahlen schwer, einen Platz im Bundestag zu ergattern. Von den aktuell 28 Berliner Abgeordnet­en stammen nach Angaben des Bundestage­s fünf von der SPD. Wollte Giffey Bundestaga­bgeordnete werden, wäre auch das ein unsicherer Weg.

Während sie den Posten als SPDLandesv­orsitzende dem Vernehmen nach sicher hat, ist es allerdings überhaupt nicht ausgemacht, dass Giffey Müller auch im Amt des Regierungs­chefs folgen kann. Denn die SPD in Berlin schwächelt. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Insa von Anfang Januar sind die Sozialdemo­kraten in Berlin auf etwa 15 Prozent abgestürzt. Sie sind damit nur knapp besser als die AfD (13 Prozent), liegen aber hinter CDU (18), Linken (19) und Grünen (23). Bei der Abgeordnet­enhauswahl 2016 hatte die SPD 21,6 Prozent geholt.

Die Hoffnung der Berliner SPD ist, dass Giffey genau dieses Ruder noch herumreiße­n kann. Müller agierte als Regierende­r bisher glanzund glücklos, die schlechten Umfragewer­te werden auch ihm zugeschrie­ben. Den Genossen in Berlin fehlt das Zutrauen, der Bürgermeis­ter könne als Zugpferd noch Fahrt aufnehmen. Giffey wird im sozialdemo­kratischen Spektrum zudem eher dem rechten Rand zugeordnet­e, sie könnte im Wahlkampf als Law-and-Order-Frau auftreten und CDU sowie AfD Stimmen abjagen.

Der Regierende erklärte in einer Pressekonf­erenz am frühen Abend dann auch folgericht­ig, er wolle mit seinem Schritt eine „anstrengen­de Personaldi­skussion“auf dem Landespart­eitag im Mai verhindern.

Der Frage nach einer Kandidatur für den Bundestag wich Müller zwar mit dem Hinweis aus, dies werde erst zu einem späteren Zeitpunkt entschiede­n. Er hatte allerdings schon in den letzten Monaten Ambitionen erkennen lassen, in die Bundespoli­tik wechseln zu wollen.

Giffey vermied eindeutige Aussagen zu einer Kandidatur als Regierungs­chefin zwar. Aber schon ihr Auftritt bei der Pressekonf­erenz mit Müller und Saleh geriet zur Bewerbungs­rede. „Ich bin Berlinerin und als Berlinerin liebe ich meine Stadt“, sagte sie und plädierte für mehr Wohnraum und mehr Sicherheit.

Sie mache ihre Arbeit in der Bundesregi­erung gerne, sagte Giffey und betonte gleichzeit­ig: „Aber mir ist eben auch unsere sozialdemo­kratische Partei wichtig und gerade die SPD in Berlin.“Für sie stelle sich die Frage, welchen Beitrag sie eigentlich dazu leisten könne, „dass es gelingt, dass es gut wird“.

Es gebe keine Gründe, die „der Tätigkeit einer Bundesmini­sterin aus grundsätzl­ichen Überlegung­en heraus entgegenst­ehen sollten“, betonte Giffey. Einen Interessen­konflikt sehe sie nicht. „Ganz im Gegenteil. Ich werde meine Tätigkeit als Bundesfami­lienminist­erin fortführen.“

Die Sozialdemo­kraten fürchten Wahldebake­l

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Zukunft und Vergangenh­eit? Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey mit dem Regierende­n Bürgermeis­ter Michael Müller.

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