Der Grüne aus dem Norden
Kochen Grünkohl kannte man lange als Teil der einfachen Bauernküche Norddeutschlands. Doch mittlerweile hat das gesunde Powergemüse seinen festen Platz in der leichten Küche
Schon mit seiner Form tanzt er aus der Reihe: Grünkohl bildet keinen geschlossenen Kopf, sondern gleicht mit Stamm und ausladender Blätterkrone eher einer kleinen Palme. Dieser Form verdankt er auch Namen wie Friesische oder Oldenburger Palme. In der Schweiz heißt er Federkohl. Insgesamt gibt es wohl über 80 Sorten. Lange wurde Grünkohl vor allem im Norden angebaut, etwa in Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo die Fans in der kalten Jahreszeit regelrecht einen Kult mit ihm treiben.
Das macht durchaus Sinn: Grünkohl ist eine Vitaminbombe und schließt im Winter eine Versorgungslücke. In seinen krausen Blättern steckt doppelt so viel Vitamin C wie in Orangen, außerdem Vitamin B und K, Folsäure, Kalium, Kalzium für die Knochen und Eisen. Nicht nur Vegetarier und Veganer schätzen ihn daher als „Superfood“.
Inzwischen hat sich das auch in Süddeutschland herumgesprochen. „Seit drei Jahren wächst die Nachfrage nach Grünkohl bei uns stetig“, bestätigt Angelika Börkey vom Ökoring in Mammendorf im Landkreis
Fürstenfeldbruck. Der Großhändler, der Augsburger Bioläden und Restaurants beliefert, bezieht das Wintergemüse hauptsächlich aus Bayern und Italien.
Wenn die dunkelgrünen festen Blätter beim Aneinanderreiben quietschen, ist der Kohl frisch. Er bleibt im Kühlschrank, einem kühlen Keller oder bei Kälte auch auf dem Balkon bis zu eine Woche lang knackig. Immer wieder heißt es, Grünkohl brauche Frost, um weniger bitter zu schmecken. Tatsächlich wird das Gemüse vor allem durch Photosynthese, also wenn man ihm ausreichend Zeit zum Reifen lässt, milder im Geschmack. Dieser Vorgang findet nur bei der lebenden Pflanze statt. Er lässt sich nicht nachahmen, indem man den Kohl nach der Ernte in die Kühltruhe legt.
Traditionalisten essen Grünkohl bevorzugt deftig, mit (leicht gezuckerten!) Bratkartoffeln, Würsten und Kassler. Hobbyköchin Maren Dümmler bereitet ihn einmal im Jahr so für die Boßelrunde ihrer Freunde zu. Sie gibt beim Kochen immer etwas Rauchsalz („wie schon meine Mutter“) sowie eine ordentliche Portion Senf dazu: „Keine Sorge, das schmeckt am Ende nicht scharf, sondern würzig.“Dümmler kennt sich gut aus: Was für andere Kohlarten der Kümmel, sei für Grünkohl der Senf. Senföle regten die Verdauung an und machten den Kohl, der mit Kümmel nicht schmecken würde, bekömmlicher.
Dass „kale“, wie Grünkohl auf Englisch heißt, kulinarisch noch weit wandelbarer ist, haben die Amerikaner vor uns erkannt und ebenso leichte wie raffinierte Rezepte dazu entwickelt, von Suppen über Pasta und Salate bis hin zu asiatischem Wok-Gemüse. Sehr beliebt sind außerdem getrocknete Grünkohlblätter als Chips, wie Ex-FirstLady Michelle Obama sie angeblich gerne knabbert.
Auch bei Münir Kusanc, Geschäftsführer des preisgekrönten Vital-Restaurants „Mom’s Table“in Augsburg, ist Grünkohl nicht aus der Küche wegzudenken. Er startet selbst gern mit einem grünen „Detox“-Saft oder Smoothie in den Tag: „Ein Glas davon liefert mehr an Vitaminen, wie sie viele Menschen sonst in drei Mahlzeiten essen.“Ansonsten kommt der chlorophylreiche Kohl bei ihm als Rohkost auf
Grünkohl muss lange reifen, sonst schmeckt er bitter
Durch das Blanchieren behält der Kohl seine Vitamine
den Tisch, weil das die Vitamine schont. Bereitet Kusanc Grünkohlsalat zu, pflückt er die krausen Blätter von den harten Rippen und knetet sie anschließend ein paar Minuten lang kräftig durch, damit sie etwas weicher und damit angenehmer für den Gaumen werden.
Was man sonst wissen muss, ist relativ wenig. Man sollte Grünkohl vor der Lagerung nicht waschen, sonst wird er matschig. Vor dem Kochen schneidet man am besten erst die einzelnen Blätter vom Strunk und entfernt dabei auch gleich grobe Blattrippen mit einem scharfen Messer. Weil sich in den krausen Blättern leicht Erde, Sand oder Steinchen festsetzen, muss man sie gründlich waschen. Anschließend taucht man sie für fünf Minuten in sprudelnd kochendes Salzwasser. Danach mit einer Schaumkelle herausheben und in eiskaltem Wasser abschrecken. Durch das Blanchieren behält das Gemüse seine kräftig grüne Farbe, man verkürzt die Garzeit und erhält wertvolle Vitamine. Grünkohl ist außerdem ganzjährig kochfertig im Glas oder tiefgefroren erhältlich – aber jetzt noch ganz frisch.