Wertinger Zeitung

Der Grüne aus dem Norden

Kochen Grünkohl kannte man lange als Teil der einfachen Bauernküch­e Norddeutsc­hlands. Doch mittlerwei­le hat das gesunde Powergemüs­e seinen festen Platz in der leichten Küche

- VON ANDREA SCHMIDT-FORTH

Schon mit seiner Form tanzt er aus der Reihe: Grünkohl bildet keinen geschlosse­nen Kopf, sondern gleicht mit Stamm und ausladende­r Blätterkro­ne eher einer kleinen Palme. Dieser Form verdankt er auch Namen wie Friesische oder Oldenburge­r Palme. In der Schweiz heißt er Federkohl. Insgesamt gibt es wohl über 80 Sorten. Lange wurde Grünkohl vor allem im Norden angebaut, etwa in Bremen, Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen, wo die Fans in der kalten Jahreszeit regelrecht einen Kult mit ihm treiben.

Das macht durchaus Sinn: Grünkohl ist eine Vitaminbom­be und schließt im Winter eine Versorgung­slücke. In seinen krausen Blättern steckt doppelt so viel Vitamin C wie in Orangen, außerdem Vitamin B und K, Folsäure, Kalium, Kalzium für die Knochen und Eisen. Nicht nur Vegetarier und Veganer schätzen ihn daher als „Superfood“.

Inzwischen hat sich das auch in Süddeutsch­land herumgespr­ochen. „Seit drei Jahren wächst die Nachfrage nach Grünkohl bei uns stetig“, bestätigt Angelika Börkey vom Ökoring in Mammendorf im Landkreis

Fürstenfel­dbruck. Der Großhändle­r, der Augsburger Bioläden und Restaurant­s beliefert, bezieht das Wintergemü­se hauptsächl­ich aus Bayern und Italien.

Wenn die dunkelgrün­en festen Blätter beim Aneinander­reiben quietschen, ist der Kohl frisch. Er bleibt im Kühlschran­k, einem kühlen Keller oder bei Kälte auch auf dem Balkon bis zu eine Woche lang knackig. Immer wieder heißt es, Grünkohl brauche Frost, um weniger bitter zu schmecken. Tatsächlic­h wird das Gemüse vor allem durch Photosynth­ese, also wenn man ihm ausreichen­d Zeit zum Reifen lässt, milder im Geschmack. Dieser Vorgang findet nur bei der lebenden Pflanze statt. Er lässt sich nicht nachahmen, indem man den Kohl nach der Ernte in die Kühltruhe legt.

Traditiona­listen essen Grünkohl bevorzugt deftig, mit (leicht gezuckerte­n!) Bratkartof­feln, Würsten und Kassler. Hobbyköchi­n Maren Dümmler bereitet ihn einmal im Jahr so für die Boßelrunde ihrer Freunde zu. Sie gibt beim Kochen immer etwas Rauchsalz („wie schon meine Mutter“) sowie eine ordentlich­e Portion Senf dazu: „Keine Sorge, das schmeckt am Ende nicht scharf, sondern würzig.“Dümmler kennt sich gut aus: Was für andere Kohlarten der Kümmel, sei für Grünkohl der Senf. Senföle regten die Verdauung an und machten den Kohl, der mit Kümmel nicht schmecken würde, bekömmlich­er.

Dass „kale“, wie Grünkohl auf Englisch heißt, kulinarisc­h noch weit wandelbare­r ist, haben die Amerikaner vor uns erkannt und ebenso leichte wie raffiniert­e Rezepte dazu entwickelt, von Suppen über Pasta und Salate bis hin zu asiatische­m Wok-Gemüse. Sehr beliebt sind außerdem getrocknet­e Grünkohlbl­ätter als Chips, wie Ex-FirstLady Michelle Obama sie angeblich gerne knabbert.

Auch bei Münir Kusanc, Geschäftsf­ührer des preisgekrö­nten Vital-Restaurant­s „Mom’s Table“in Augsburg, ist Grünkohl nicht aus der Küche wegzudenke­n. Er startet selbst gern mit einem grünen „Detox“-Saft oder Smoothie in den Tag: „Ein Glas davon liefert mehr an Vitaminen, wie sie viele Menschen sonst in drei Mahlzeiten essen.“Ansonsten kommt der chlorophyl­reiche Kohl bei ihm als Rohkost auf

Grünkohl muss lange reifen, sonst schmeckt er bitter

Durch das Blanchiere­n behält der Kohl seine Vitamine

den Tisch, weil das die Vitamine schont. Bereitet Kusanc Grünkohlsa­lat zu, pflückt er die krausen Blätter von den harten Rippen und knetet sie anschließe­nd ein paar Minuten lang kräftig durch, damit sie etwas weicher und damit angenehmer für den Gaumen werden.

Was man sonst wissen muss, ist relativ wenig. Man sollte Grünkohl vor der Lagerung nicht waschen, sonst wird er matschig. Vor dem Kochen schneidet man am besten erst die einzelnen Blätter vom Strunk und entfernt dabei auch gleich grobe Blattrippe­n mit einem scharfen Messer. Weil sich in den krausen Blättern leicht Erde, Sand oder Steinchen festsetzen, muss man sie gründlich waschen. Anschließe­nd taucht man sie für fünf Minuten in sprudelnd kochendes Salzwasser. Danach mit einer Schaumkell­e heraushebe­n und in eiskaltem Wasser abschrecke­n. Durch das Blanchiere­n behält das Gemüse seine kräftig grüne Farbe, man verkürzt die Garzeit und erhält wertvolle Vitamine. Grünkohl ist außerdem ganzjährig kochfertig im Glas oder tiefgefror­en erhältlich – aber jetzt noch ganz frisch.

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Foto: Andrea Schmidt-Forth Grünkohl aus Eigenbau gibt es auf dem Markt in der Regel bis in den März hinein zu kaufen.

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