Der unheimliche Aufstieg der E-Autos
Hintergrund Tesla könnte bald der wertvollste Autokonzern der Welt werden. Die Akkutechnik macht immer schnellere Fortschritte. Und Batterieautos könnten in naher Zukunft vielleicht sogar billiger werden als Benziner. Gehört den Stromern wirklich die Zuku
München Elektroautos polarisieren derzeit die Gesellschaft wie eine Batterie mit einem Plus- und einem Minuspol. Obwohl die knapp 65 000 reinen E-Autos immer noch Exoten auf deutschen Straßen sind, investieren die Autobauer gigantische Summen in die Entwicklung von Batteriefahrzeugen: Allein Volkswagen will innerhalb von fünf Jahren 33 Milliarden Euro in die Elektromobilität stecken. Zugleich ist der amerikanische E-Auto-Pionier Tesla auf dem Weg, der wertvollste Automobilkonzern der Welt zu werden.
Selbst Börsenexperten ist der Aufstieg des amerikanischen Autobauers unheimlich: Tesla überholte mit seinem steigenden Aktienkurs 2017 erst Ford beim Unternehmenswert, 2018 trotz Rekordverlust den US-Autoriesen GM und Anfang Januar schließlich VW – den größten Autobauer der Welt. Nur Toyota liegt noch vor Elon Musks kleiner Autoschmiede, die 2019 weltweit gerade mal 367500 Neufahrzeuge auslieferte, eine Menge, die allein die Marke VW innerhalb von nur drei Wochen vom Band schickt.
In Teslas Aktienkurs mögen vor allem die Erwartungen an die Zukunft stecken. Doch wie die Nachrichtenagentur Bloomberg gerade untersucht hat, hat weltweit kein einziger auf die Autobranche spezialisierter Analyst den Kurssprung der Tesla-Aktie vorhergesagt. Lediglich der die Branche Erneuerbarer Energien beobachtende Finanzmann Colin Rusch von der US-Investmentbank Oppenheimer & Co lag mit seinen Kaufempfehlungen richtig: Wer ihm folgte, strich vergangenes Jahr einen Gewinn von 90 Prozent ein. Die meisten anderen Analysten aber wetteten auf einen Absturz der Tesla-Aktie.
VW-Chef Diess warnt bereits davor, dass es den Autobauern ähnlich ergehen könnte, wie dem einst unangefochtenen Handy-Marktführer Nokia: Der zuvor branchenfremde iPhone-Hersteller Apple stürzte die Finnen in den Untergang. „Die Zeit der traditionellen Autohersteller ist vorbei“, begründete Diess jüngst seinen radikalen Umbauplan von VW zum reinen E-Autobauer – und am besten gleich mit zum Softwarekonzern.
Doch wie passt das zur deutschen Wirklichkeit, in der E-Autos ein kleines Nischenprodukt sind und 98 Prozent der zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor unterwegs sind? Ist die Umstellung überhaupt möglich? Und machen die Kunden mit? Der Erfolg von Tesla bei seinen Käufern gründet unabhängig von der Klimadebatte vor allem auf dem
Fahrvergnügen. Kaum jemand brachte es wohl besser auf den Punkt als ein Audi-Manager: „Wer einmal elektrisch gefahren ist, der ist für alle Zeiten für den Verbrenner verloren“, sagte Stefan Niemand, der bei dem Ingolstädter Autobauer die elektrische E-Tron-Reihe leitet, bereits vor Jahren.
Tatsächlich bringen die meisten Batterie-Autos durch den Elektroantrieb von Haus aus Vorteile und Fahreigenschaften mit, die Ingenieure klassischer Autos jahrzehntelange Entwicklungsarbeit kosteten: Etwa bei Beschleunigung, optimales Drehmoment, stufenloser Automatik oder eine ideale Gewichtsverteilung auf das Fahrwerk. Ganz zu schweigen vom entscheidenden Zukunftspotenzial für die Digitalisierung der Antriebs-, Assistenz- und
Unterhaltungssysteme. Entscheidend für den Durchbruch wird aber zweifellos die Klimapolitik sein.
Auch hier liegt der Vorteil der Elektroautos in der Physik: Ein Batterieauto kann dank des Wirkungsgrads von Elektromotor und Akkutechnik von der ursprünglichen Ausgangsenergie bei Ökostrom fast 75 Prozent auf die Straße bringen. Selbst ein moderner Diesel-Verbrennungsmotor schafft es dagegen kaum mehr als 25 Prozent der ursprünglichen Rohstoffenergie in die Fortbewegung umzusetzen. Und da die Erzeugung von Wasserstoff sehr viel Strom braucht, ist der Wirkungsgrad bei Brennstoffzellen unter dem Strich weniger als halb so hoch wie bei Batterie-Autos.
Wissenschaftler des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für Innovationsforschung
haben nun offene Fragen für einen Erfolg von E-Autos untersucht. Eines ihrer erstaunlichen Ergebnisse ist, dass E-Autos, trotz der rasant steigenden Nachfrage nach Akkus, ab 2022 bis 2024 nicht mehr als Benziner kosten könnten, obwohl die im Betrieb billiger seien. Auch die Rohstoffe reichten problemlos für die weltweit steigende Batterieproduktion aus.
Die Forscher leiten ihre Trends aus sinkenden Herstellungskosten und dem Fortschritt bei der Batterietechnik ab. Zugleich werde sich die Batteriekapazität deutlich verbessern: „Für E-Pkw wird sich damit deren Reichweite und die Akzeptanz der Nutzer vergrößern“, erklären die Forscher. Sie gehen von einer Leistungsverdopplung binnen zehn Jahren bei gleichem Gewicht aus, womit sich auch die Reichweite verdoppelt. Auch hier könnte Tesla deutlich früher Fakten schaffen.
Investoren blicken derzeit gespannt auf einen von Musk für Frühjahr angekündigten „Battery-Day“: Das Unternehmen hatte vor einem Jahr den Akkuhersteller Maxwell übernommen, der an einer billiger zu produzierenden TrockenelektrodenTechnologie für Batterien mit deutlich höherer Kapazität forscht. Tesla meldete kürzlich entsprechende Patente an und versprach, dass bereits der neue Tesla-Roadster 2021 eine Reichweite von 1000 Kilometern haben werde.
Auch die Fraunhofer-Forscher gehen von absehbaren Reichweiten von realen 600 Kilometer für Elektroautos aus. Zudem werde der Ausbau des Schnellladenetzes im kommenden Jahrzehnt die Nachfrage decken können und sich die Ladezeiten deutlich reduzieren. Bei einer Ladeleistung von 350 Kilowattstunden könnten darauf ausgelegte Elektrofahrzeuge so binnen einer Viertelstunde leicht über 500 Kilometer Reichweite tanken können.
Würden alle 45 Millionen in Deutschland zugelassenen Autos als Batteriefahrzeuge fahren, müssten nach Prognose der Fraunhofer-Forscher dafür 20 Prozent mehr Strom als heute produziert werden. Für realistisch halten die Wissenschaftler bis 2030 aber einen Anstieg auf sieben bis zehn Millionen Batterieautos, wofür die deutsche Stromproduktion um drei bis 4,5 Prozent steigen müsse.
Der vergleichsweise überschaubare Mehrbedarf an zusätzlicher StromEnergie für Batterie-Autos ist ein Hauptgrund, warum nicht nur VWChef Diess und Musk an die E-AutoZukunft glauben: Würde der deutsche Pkw-Bestand auf WasserstoffBrennstoffzellen oder synthetische Kraftstoffe umgestellt, würde der deutsche Strombedarf um bis zu 60 Prozent steigen.