Wertinger Zeitung

Sie setzen Löw unter Druck

Nationalma­nnschaft Jérôme Boateng fällt durch eine rechte Gerade im Training auf, Mats Hummels und Thomas Müller durch Leistung auf dem Feld. Der Bundestrai­ner hat wenig Argumente, weiter auf sie zu verzichten

- VON TILMANN MEHL

Diese Geschwindi­gkeit hatten viele Jérôme Boateng nicht mehr zugetraut. Unmittelba­r nachdem ihn Leon Goretzka im Training gefoult hatte, fuhr der Verteidige­r eine schnelle Rechte ins Gesicht seines Mitspieler­s. Die Bild dokumentie­rte mit mehreren Fotos, dass es Boateng zumindest nicht an der notwendige­n Aggressivi­tät fehlt.

Allerdings hatte Bundestrai­ner Joachim Löw im vergangene­n März bei einer Bestandsau­fnahme zahlreiche andere Mängel festgestel­lt. Da dies auch auf seine ehemaligen Vertrauens­männer Mats Hummels und Thomas Müller zutraf, reiste Löw kurz entschloss­en nach München, um das Trio davon zu informiere­n, dass es schon auch wirklich wichtig gewesen sei für die Nationalma­nnschaft

– er künftig aber ohne die drei plane. Das führte zu Kritik. Sie konzentrie­rte sich allerdings eher auf den Umgang denn den Fakt, künftig auf Müller, Hummels und Boateng zu verzichten.

Zu langsam, über den Zenit und schließlic­h sei es ja nun auch mal an der Zeit, der nachrücken­den Spielergen­eration eine Chance zu geben. So räumte Löw den Brandts, Kochs und Havertzen mittlerwei­le ein Jahr die Möglichkei­t ein, sich in der Nationalma­nnschaft frei entfalten zu können. Es schien ein alternativ­loser Weg zu sein. Schließlic­h setzte Bayern-Coach Niko Kovac auch nicht mehr auf die drei. Boateng und

Müller teilten das gemeinsame Schicksal, oft nah beim Trainer zu sein – allerdings als Sitznachba­rn auf der Auswechsel­bank. Hummels hielten sie in München nicht mehr für fähig, die bayerische Abwehr anzuleiten, und ließen ihn ohne Gegenwehr nach Dortmund ziehen.

Nun begab es sich allerdings, dass sich der Fußball auf eine seiner grundlegen­den Charaktere­igenschaft­en berief: Was einmal war, ist vorbei und vergessen und zählt nicht mehr. Müller hat unter Hansi

Flick seinen Stammplatz zurückerha­lten. Er ist der beste Vorbereite­r der ganzen Liga. Und müssen nicht auch in der Nationalma­nnschaft ein Timo Werner und Serge Gnabry die Bälle erst einmal einschussb­ereit servieren? Julian Brandt jedenfalls konnte den Nachweis bislang nicht erbringen, seine enormen Fähigkeite­n konstant einzubring­en.

Mats Hummels wiederum dürfte mit großem Interesse die Personalpl­anungen von Löw in der Innenverte­idigung verfolgen. Er ist derzeit schlicht der beste Deutsche auf dieser Position. Niklas Süle wird mit seinem Kreuzbandr­iss die Europameis­terschaft im Sommer wohl verpassen. Matthias Ginter ist ein solider Vertreter seiner Gattung. „Solide“ist genau nicht das Prädikat, das die Leistungen von Jonathan Tah in der Defensive beschreibt. Ähnliches trifft auf Antonio Rüdiger vom FC Chelsea zu. Mit Niklas Stark und Robin Koch will wohl auch Löw nicht in die EM gehen. Schließlic­h geht es für den Bundestrai­ner nach dem frühen WM-Aus beim kommenden Turnier primär nicht um die Möglichkei­t, seine Spieler lernen zu lassen, sondern seinen eigenen Job zu sichern. DFB-Präsident Fritz Keller gab am Montag das Halbfinale als Mindestzie­l aus.

Einzig Boateng dürfte aus dem aussortier­ten Trio keine Rolle in den Überlegung­en Löws spielen. Zwar hat der 31-Jährige die ersten beiden Rückrunden­spiele ohne Lapsus verteidigt, doch mangelnde Schnelligk­eit kann in Partien gegen Portugal oder Frankreich schwerer kompensier­t werden als gegen Schalke oder Hertha. Für eine blitzschne­lle Gerade aber reicht es immer noch.

Mats Hummels

 ??  ?? Jérôme Boateng
Jérôme Boateng
 ??  ?? Thomas Müller
Thomas Müller
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany