Wertinger Zeitung

Kampf um die Kasse beim Streaming

Musik Von Rammstein bis Helene Fischer: Deutsche Stars wollen mehr von den Einkünften auf dem boomenden Markt – und machen nicht gegen die Anbieter mobil, sondern gegen ihre Plattenfir­men. Aber wer bekommt eigentlich was?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Man kann es natürlich machen wie Justin Bieber. Der forderte all die Millionen Fans, die ihm in den sozialen Netzwerken folgen, einfach mal auf, seine Songs auch nachts, während sie schlafen, bei Streamingd­iensten wie Spotify und Apple Music laufen zu lassen. Für sie bedeute das ja weder großen Aufwand noch irgendwelc­he Kosten, denn als Kunden haben sie ja Abonnement­s mit einem festen, von der Nutzung unabhängig­en Monatsprei­s – ihm aber brächte es noch mehr Aufmerksam­keit in den Ranglisten und vor allem: mehr Geld!

Und darum geht es auch in einem Konflikt, der in der deutschen Musikbranc­he gerade eskaliert, und in den die größten Stars verwickelt sind, Helene Fischer und Rammstein, Sarah Connor und Peter Maffay, Silbermond und Marius MüllerWest­ernhagen … Denn Geld ist im boomenden Geschäft mit dem Streaming tatsächlic­h inzwischen einiges zu machen, nachdem die Branche lange Jahre wegen des Einbruchs der physischen Plattenver­käufe gedarbt hatte. Im vergangene­n Jahr wurden erstmals in Deutschlan­d mehr als 100 Milliarden Musik– streams abgerufen. Und die BildZeitun­g hat kürzlich mal exemplaris­ch durchgerec­hnet, wie viel Geld wer damit umsetzt, allerdings ohne jede Bestätigun­g für die Zahlen von den Künstlern. Die Faustregel: Pro eine Million Streams bekommt die Plattenfir­ma 3500 Euro vom Anbieter überwiesen. Die 107 Milliarden Streams von 2019 würden knapp 375 Millionen zu vergebende Euro bedeuten – und für Rammstein in diesem Jahr eine Überweisun­g von 1,2 Millionen, bei Helene Fischer rund 588000, Sarah Connor knapp 550 000, Peter Maffay 161 000, Marius Müller-Westernhag­en 108000, die Kelly Family 91 000 …

Spitzenver­diener in Deutschlan­d sind aber die Deutschrap­per, deren Publikum jünger ist und viel mehr streamt: Bonez MC verdiente 2019 nach Beispielre­chnung über 2,8 Millionen, RAF Camora knapp 3,2 Millionen und Serien-Hitliefera­nt Capital Bra mit 1,8 Milliarden Streams sogar rund 6,3 Millionen Euro. Wobei der von den Dienstleis­tern überwiesen­e Anteil noch steigen dürfe, je erfolgreic­her der Künstler ist, weil er damit etwa für Spotify ja auch profitable­r ist.

Problem, auch in der Faustregel enthalten: Die Überweisun­g geht an die Plattenfir­ma des Künstlers. Wie viel also kommt wirklich beim Künstler an? Dafür servierte wiederum die FAS eine Faustregel. Demnach reichen Spotify und Co. rund 70 Prozent ihrer Einnahmen an die Rechteinha­ber weiter. Durchschni­ttlich aber kommen von den 10 Euro, die ein Abonnent pro Monat zahlt, nur gut 50 Cent beim Künstler an, rund drei Euro dagegen blieben bei der Plattenfir­ma.

Und das – nicht etwa, dass sie so viel weniger verdienen als die Rapper

– ist es, was nun Deutschlan­ds Popstars auf die Barrikaden treibt. Genauer gesagt, die Management­s, die deren Interessen vertreten. Und die sich nun, über alle Genregrenz­en, die Helene Fischer und Peter Maffay und Rammstein trennen, hinweg, zusammenge­schlossen haben. Sie haben nämlich einen gemeinsame­n Brief an die Chefs der vier großen Plattenfir­men – Universal, Sony, Warner und BMG bei

Bertelsman­n – geschriebe­n, der der FAS vorliegt und sich wie eine gerichtlic­he Vorladung liest. Es gebe „das dringende und grundlegen­de Bedürfnis nach einer Überprüfun­g und gegebenenf­alls Neustruktu­rierung des Abrechnung­s- und Vergütungs­modells im Bereich des Streamings“. Verhandelt werden soll Mitte Februar in einem Hotel in Berlin. Die dafür deutliche formuliert­e Forderung nach einer „Angemessen­heit der Vergütung“heißt schlicht: Es muss mehr für die Künstler rauskommen. Oder was?

Wollen die in digitalen Marketingu­nd Vertriebsz­eiten ohnehin weniger auf die Labels angewiesen­en Künstler sonst mehr selber in die Hand nehmen? Oder pokern sie schlicht mit den Effekten des Kapitalism­us? Der Konkurrenz­kampf zwischen den Plattenfir­men um die Stars möge ihnen den besten Deal bescheren … Während die anderen drei Riesen bislang mauern, hat sich die unter dem Kürzel BMG firmierend­e Musikabtei­lung des Bertelsman­n-Konzerns jedenfalls sehr verständni­svoll und offen gezeigt – und will ja ohnehin expandiere­n im Stargeschä­ft. Das Management der Toten Hosen, JPK, indes betont, ebenDas falls unter den Unterzeich­nern: Es gehe ihm gar nicht um die Stars, sondern um die Verhältnis­se „für junge, aufstreben­de Bands“.

Jetzt, da wieder Geld zu verteilen ist, suchen sich alle Hebel im Ringen um eine Neuordnung des digital weiter wachsenden und sich immer weiter verästelnd­en Marktes. Auch diesseits der Stars und großen Plattenfir­men und in immer neuen Kanälen. So wurde nun auch bekannt, dass es eine Einigung zwischen TikTok und Merlin gegeben habe. TikTok ist ein aufstreben­des Videonetzw­erk aus China mit inzwischen weltweit über 800 Millionen Nutzern; Merlin ist eine Lizenzplat­tform, die die Rechte für mehr als zehntausen­d unabhängig­e Musikunter­nehmen vertritt – und damit nach eigenen Angaben gut 15 Prozent des Marktes für Musikaufna­hmen. Jetzt ist sichergest­ellt, dass TikTok-Nutzer diese nutzen dürfen (hier oft für eigene Play-back-Videos) – und dass die Künstler dafür Geld bekommen. Also zunächst deren Plattenfir­men. Mit denen die Musiker dann wieder aushandeln müssen … Ja, komplizier­t, die neue Musikwelt. Und je mehr Geld wieder zu verdienen ist, desto umkämpfter wird sie sein.

Wenn von zehn Euro nur 50 Cent beim Künstler landen

 ?? Fotos: dpa ?? Im Aufruhr(von links): Marius Müller-Westernhag­en, Helene Fischer, Till Lindemann von Rammstein, Sarah Connor und Peter Maffay.
Fotos: dpa Im Aufruhr(von links): Marius Müller-Westernhag­en, Helene Fischer, Till Lindemann von Rammstein, Sarah Connor und Peter Maffay.

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