Wertinger Zeitung

Hitler kam als Vertuscher an die Macht

Sachbuch Ein denkwürdig­er 30. Januar in der deutschen Geschichte: Gab es einen Deal zwischen Hindenburg und den Nazis? Im Hintergrun­d: Ein Skandal um Finanzhilf­en

- VON WILLI NAUMANN

Die Staatsaffä­ren, die die Bundesrepu­blik seit 1949 gelegentli­ch durchgerüt­telt haben, sind im Vergleich mit jenen der Weimarer Republik lächerlich unbedeuten­d. Am augenfälli­gsten wird dies bei den Skandalen, in die die jeweiligen Staatsober­häupter verwickelt waren. Beispielsw­eise Bundespräs­ident Christian Wulff: Ihm wurde 2012 angekreide­t, als Geschenk unter anderen Petitessen auch ein Bobby-Car entgegenge­nommen zu haben. Er trat prompt zurück.

Anders reagierte 1932/1933 Reichspräs­ident von Hindenburg: Er war in die sogenannte OsthilfeAf­färe verstrickt, einen Aufreger um Milliarden von Subvention­en für die dortige Landwirtsc­haft. Hindenburg­s Reaktion bestand darin, am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanz­ler zu ernennen. Er bot die Gewähr, Korruption­sgerüchte um das Staatsober­haupt schlagarti­g verstummen zu lassen.

Jetzt legt der Historiker Dieter Hoffmann im Buch „Der Skandal – Hindenburg­s Entscheidu­ng für Hitler“(Donat-Verlag, 208 S., 18 ¤) nahe, dass ein informelle­r Deal im Spiel war. Ernennt der Präsident den von ihm ungeliebte­n Ober-Nazi zum Kanzler, sorgt der im Gegenzug dafür, dass das Unterstütz­ungsprogra­mm für die Ost-Agrarier samt allen Mauschelei­en nicht unter die Lupe genommen wird.

Alle Weimarer Parteien hatten in der damaligen Weltwirtsc­hafts- und

Agrarkrise Hilfen für die östlichen preußische­n Provinzen befürworte­t. Deren Bauern litten auch darunter, dass ihnen im Zuge der Gebietsver­luste durch den Versailler Vertrag Märkte weggebroch­en waren. Viele Höfe waren überschuld­et. Staatliche Subvention­en in Höhe von – umgerechne­t – mehreren Milliarden Euro sollten helfen. Bald kam es beim Verteilen der Mittel zu Konflikten zwischen großen und kleinen Betrieben. Es hagelte Vorwürfe, dass die „Junker“überpropor­tional bedacht würden und sich zudem in den Gremien gegenseiti­g begünstigt­en. Der Verdacht massiven Missbrauch­s öffentlich­er Mittel wurde laut; es war von Untreue und Betrug die Rede.

Nachgewies­enermaßen betätigte sich Paul von Hindenburg – seit 1925 Reichspräs­ident – als ChefLobbyi­st für seine Standesgen­ossen. Besonders, wenn es um das Vergabever­fahren oder darum ging, sie vor der Zwangsvoll­streckung zu schützen. In einem Fall machte sich das Weltkriegs-Idol sogar anfällig für den Vorwurf der familiären Klüngelei.

Die parlamenta­rische Aufklärung der Unregelmäß­igkeiten durch den Reichstag hatte in den politisch dramatisch­en Tagen Ende 1932 begonnnen. Angesichts einer Rekordarbe­itslosigke­it und der Not im Volk stürzte sich die Presse von links bis rechts täglich mit Wonne auf die ostelbisch­en Durchstech­ereien. Der Rechnungsh­of des Reiches hatte, solange er unbedrängt arbeiten konnte, unnachsich­tig Leistungse­rschleichu­ngen gebrandmar­kt.

Was jetzt folgte, ist als die tollen letzten Tage der ersten deutschen Republik in die Geschichte eingegange­n:

22. Januar 1933: Unter hochkonspi­rativen Umständen trafen sich Hitler und Oskar von Hindenburg – nach einem Bonmot „der in der Verfassung nicht vorgesehen­e Sohn“des Reichspräs­identen – in einer Villa in Berlin-Dahlem. Viele Indizien sprechen dafür, dass dabei das Geschäft auf Gegenseiti­gkeit perfekt gemacht wurde: Der Präsident beruft den von ihm zuvor als „böhmischen Gefreiten“denunziert­en NSDAP-Chef zum Kanzler gegen dessen Zusicherun­g, dass der nicht nur die Verwicklun­g des „alten Herrn“, sondern den gesamten

Osthilfe-Skandal nicht weiter aufklären lässt. Nach dem Staatsstre­ich im Hinterzimm­er äußerte Oskar Hindenburg lakonisch, es gebe „keine andere Möglichkei­t mehr, Hitler müsse Kanzler werden“.

Es gibt kein Protokoll, keine Akten, keine Ohrenzeuge­n dieser zweistündi­gen Großversch­wörung am

22. Januar – sie fand unter vier Augen statt. Der Historiker Joachim Fest vermutet, dass Hitler seine „bewährte Kombinatio­n von Drohungen und Bestechung“anwandte.

30. Januar ’33: Durch verschneit­e Ministergä­rten im Berliner Regierungs­viertel eilt Hitler hinüber zum Palais des Reichspräs­identen – er hat sich in die Kanzlersch­aft intrigiert.

1. Februar ’33: Der Reichstag hat nichts mehr zu sagen, er wird aufgelöst. Das Kabinett Hitler entzieht dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Parlaments in Sachen Osthilfe die Akten. Die Nazis sprengen Sitzungen dieses Gremiums.

4. Februar ’33: Notverordn­ung Hindenburg­s zum „Schutze des deutschen Volkes“. Sie ermöglicht der Regierung, Veranstalt­ungen, Zeitungen und Druck-Erzeugniss­e konkurrier­ender Parteien zu verbieten.

27. Februar ’33: Reichstags­brand und weitere Notverordn­ungen

23. März ’33: Ermächtigu­ngsgesetz gebilligt, die Weimarer Demokratie ist endgültig demontiert, die Diktatur inthronisi­ert.

Von Korruption ist nicht mehr die Rede – die neuen „Herren“sind selbst korrupt bis zur Halskrause.

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Foto: dpa Paul von Hindenburg und Adolf Hitler am 30. Januar 1933.

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