Wertinger Zeitung

Erschöpfte Nonnen

Gesundheit Viele verbinden mit Klosterleb­en Ruhe. Doch gerade die Ordensschw­estern als die Letzten in der kirchliche­n Hierarchie leiden. Viele sind überarbeit­et und Willkür ausgeliefe­rt

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Burnout ist nicht nur ein Phänomen, mit dem gestresste Geschäftsl­eute oder Eltern zu tun haben. Auch die katholisch­e Kirche kennt das Thema. Jetzt steht eine Profession im Fokus, das man auf den ersten Blick nicht unbedingt mit krankhafte­n Erschöpfun­gszustände­n in Verbindung bringen würde: die Nonnen.

Bereits im vergangene­n November fand in Rom ein Seminar der Internatio­nalen Vereinigun­g der Generalobe­rinnen mit dem Titel „Vorbeugung des Burnout und Resilienz im religiösen Leben“statt. Nun wird auch in der Beilage „Donne Chiesa Mondo“der Vatikanzei­tung Osservator­e Romano über das Thema berichtet. Daraus geht hervor, warum insbesonde­re Ordensschw­estern vom Burnout betroffen sind: Sie stehen ganz unten in der kirchliche­n Hierarchie.

Seit einiger Zeit ist Bewegung in das Thema gekommen. In einem Leitartike­l vor exakt einem Jahr machte „Donne Chiesa Mondo“erstmals auf das Problem der sexuellen Gewalt durch Priester und Ordensleut­e gegen Nonnen aufmerksam. Papst Franziskus bestätigte das Phänomen.

Auf der Amazonien-Synode im Oktober diskutiert­en die Bischöfe über eine stärkere Berücksich­tigung von Frauen im kirchliche­n Leben. Während Missbrauch die Spitze der Gewalt gegen Nonnen in aller Welt darstellt, gehören die Erschöpfun­gszustände offenbar zum Alltag der Ordensschw­estern. „Burnout, das Syndrom der Überlastun­g am Arbeitspla­tz, ist eine Krankheit, die viele Ordensschw­estern betrifft“, heißt es in „Donne Chiesa Mondo“. 2017 gab es weltweit insgesamt rund 650000 Nonnen, Tendenz abnehmend.

Der Workshop im November sollte ein erster Schritt sein. Die Vereinigun­g der Generalobe­rinnen beschloss zudem die Einrichtun­g einer Kommission, die in drei Jahren Leitlinien erarbeiten soll, um das Phänomen in den Griff zu bekommen. Damit rühren die Generalobe­rinnen an ein Tabu. Über die Lebensbedi­ngungen von Ordensschw­estern wurde lange Zeit offiziell gar nicht gesprochen. Die Leiterin des Workshops im November war die australisc­he Ordensschw­ester Maryanne Loughry, eine ausgebilde­te Psychologi­n, die unter anderem als Forscherin am Boston College sowie an der Universitä­t Oxford tätig ist. Loughry sagt: „Die Geschlecht­erungleich­heit ist eines der Grundprobl­eme.“Man müsse das gesamte System betrachten, in dem Ordensschw­estern tätig seien, und nicht nur die Einzelfäll­e. Die katholisch­e Kirche hat eine strenge Hierarchie. Nonnen sind der Willkür ihrer Vorgesetzt­en in vielen Fällen schlicht ausgeliefe­rt und stehen ganz unten in der Befehlsket­te.

„Es ist unerlässli­ch, dass eine Nonne weiß, was sie verlangen kann und was von ihr verlangt werden kann“, sagt Loughry. Klare Regeln dafür gibt es bisher nicht. Aufgrund der hierarchis­chen Unterschie­de wagen es offenbar viele Ordensschw­estern nicht, den Vorgesetzt­en von ihrer Überlastun­g zu berichten.

Ordensschw­estern sind oft nicht nur überarbeit­et, sie können von ihren Oberinnen beliebig versetzt werden, sie wissen oft nicht, wie lange sie an einem Ort sein werden oder wann sie Ferien machen können. „Keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben, nicht planen zu können, schädigt die mentale Gesundheit“, sagt Loughry. Deshalb seien klare Standards im Hinblick auf Urlaub, Sabbatical­s, Bezahlung und Unterbring­ung notwendig. In den Bilanzen der Orden müssten Geldmittel für Therapien oder Fortbildun­gen bereitgest­ellt werden.

Unter Franziskus ist Bewegung in das Thema gekommen. Erst vor wenigen Tagen ernannte der Papst Francesca Di Giovanni zur Untersekre­tärin im vatikanisc­hen Staatssekr­etariat. Erstmals hat damit eine Frau eine Führungspo­sition in der Regierungs­zentrale des Papstes inne. Auch der Chef der zuständige­n Kongregati­on im Vatikan, der Brasiliane­r Joao Braz de Aviz, zeigt sich kooperativ. „In vielen Fällen herrscht schlicht Angst, vor allem unter den Frauen, sie haben Angst vor den Oberinnen“, sagt Braz de Aviz. Wahrer Gehorsam hingegen sei das Gegenteil: „Es ist notwendig, das zu sagen, was der Herrgott uns innerlich rät.“

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