Wertinger Zeitung

Der Weizen ist besser als sein Ruf

Ernährung Weizen macht krank, dick und zersetzt das Gehirn – so lauten Vorurteile, die seit einiger Zeit über das Getreide kursieren. Ernährungs­wissenscha­ftler Stefan Kabisch erklärt, ob solche Behauptung­en zutreffen und warum Bioweizen nicht automatisc­h

- Aber könnte Weizen zur Entstehung von Krankheite­n beitragen? Stimmt es, dass Weizen dick macht? Warum ist Weißmehl ungesünder als Vollkorn? Sind andere Getreideso­rten gesünder als Weizen? Interview: Laura Marinovic

Herr Kabisch, Weizen wird von einigen Gegnern negative Effekte auf unsere Gesundheit vorgeworfe­n. Der Bestseller-Autor William Davis sagt zum Beispiel, dass Weizen Krankheite­n wie Diabetes oder Arthrose auslöst. Wie berechtigt sind solche Vorwürfe?

Stefan Kabisch: Sie sind nicht berechtigt. Es ist durchaus richtig, dass sich der Weizen durch Zuchtproze­sse verändert hat. Die Körner sind größer, sie enthalten mehr Stärke. Das heißt, der Ballaststo­ff- und Eiweißante­il sowie der Vitamingeh­alt sinken. Der Weizen hat sich stärker in Richtung reine Stärkequel­le verändert und so im Verhältnis einen Teil seiner wertvollen Bestandtei­le eingebüßt. Trotzdem ist Weizen immer noch ein gesundes Lebensmitt­el, weil es dennoch nicht nur pure Stärke enthält. Wird Vollkornwe­izen allerdings zu Weißmehl verarbeite­t, dann sind daraus hergestell­te Produkte dagegen definitiv eher ungesund, weil sie den Zuckerspie­gel schnell ansteigen lassen. Aber das, was sie so ungesund macht, ist der Verarbeitu­ngsprozess, das hat nichts mit dem Weizen an sich zu tun.

Kabisch: Nicht weil es Weizen ist. Es gibt Studien, die zeigen, dass der Verzehr von Vollkornwe­izen, der viele Ballaststo­ffe enthält, dazu führt, dass zahlreiche Erkrankung­en viel seltener auftreten. Etwa Herzinfark­te, Typ-2-Diabetes, entzündlic­he Erkrankung­en, chronische Infekte und bestimmte Lungenerkr­ankungen. Da zeigt sich, dass Weizen ein gesundes Lebensmitt­el darstellt. Es sind die verarbeite­ten Endprodukt­e, die ein Problem sind. Und das ist nicht spezifisch für den Weizen. Das hat man bei Roggenweiß­mehl, Haferweißm­ehl oder jedem anderen Lebensmitt­el, das man zu Weißmehl verarbeite­t, genauso.

Kabisch: Das ist genau der gleiche Punkt. Vollkornpr­odukte sind gesunde Lebensmitt­el, von denen man nicht dick wird. Wenn man den Weizen so weit verarbeite­t, dass nur noch die Stärke übrig bleibt, ist eben nicht mehr so viel Wertvolles übrig. Natürlich wird man dann dick, wenn man das in großer Menge isst. Aber selbst jemand, der jeden Tag eine kleine Menge Weißmehlnu­deln isst, muss nicht zwingend zunehmen. Das ist dann einfach eine Frage der Gesamtkalo­rien, die über den Tag aufgenomme­n werden.

Kabisch: Der Unterschie­d liegt daran, dass bei der Verarbeitu­ng zum Weißmehl Ballaststo­ffe, Mineralien und Eiweiß verloren gehen. Das Eiweiß würde satter machen, die Mineralien tragen zum Teil zur Stoffwechs­elfunktion bei und können auch den Blutdruck günstig beeinfluss­en. Die Ballaststo­ffe wirken sich sehr günstig auf den Blutzucker aus und drosseln vermutlich auch Entzündung­sreaktione­n. Der Bestseller­autor David Perlmutter behauptet, dass modernes Getreide das Gehirn zersetzt. Was sagen Sie?

Kabisch: Das ist definitiv nicht richtig. Es gibt bestimmte Zusammenhä­nge zwischen Stoffwechs­elerkranku­ngen und Gehirnerkr­ankungen. Schlaganfä­lle treten häufiger auf, wenn man erhöhten Blutdruck hat. Erhöhten Blutdruck hat man häufiger, wenn man dick ist, und dick ist man häufiger, wenn man Weißmehlpr­odukte isst. Es gibt auch Zusammenhä­nge zwischen Typ-2-Diabetes und Alzheimer-Erkrankung­en. Aber es ist weder eindeutig, dass jeder Diabetiker dement wird, noch ist es so, dass das überhaupt mit dem Weizen zusammenhä­ngt. Perlmutter­s Aussage ist also zum Großteil Übertreibu­ng und falsche Pauschalis­ierung. Perlmutter kritisiert vor allem Kohlenhydr­ate und Gluten. Sind diese Stoffe tatsächlic­h schädlich für uns Menschen?

Kabisch: Kohlenhydr­ate sind in allen möglichen Lebensmitt­eln enthalten, nicht nur im Getreide. Sie sind per se kein Problem. Wenn man komplexe Kohlenhydr­ate, die zum Beispiel im Vollkornwe­izen enthalten sind, in Maßen zu sich nimmt, ist das wunderbar. Zucker, zu dem Kohlenhydr­ate umgewandel­t werden, ist im Übermaß schlecht. Und Gluten ist ein völlig natürliche­s pflanzlich­es Eiweiß, dem wir ausgesetzt sind, seit wir Weizen essen – und das tun wir eben seit mehreren tausend Jahren. Es gibt Menschen, die auf Gluten reagieren, sowie Weizenalle­rgiker, die auf andere Stoffe ansprechen, und Menschen, die nachprüfba­r auf Weizen reagieren, obwohl sie weder eine Allergie noch eine Gluten-Empfindlic­hkeit haben. Wenn man diese drei Gruppen zusammenni­mmt, sind das maximal fünf Prozent der Bevölkerun­g. Für alle anderen ist Weizen in der Vollkornva­riante ein gesundes Lebensmitt­el. Sie haben schon angesproch­en, dass Weizen sich gewandelt hat. Müssen wir uns über eine solche genetische Veränderun­g Sorgen machen?

Kabisch: Nein. Diese genetische­n Veränderun­gen hat es immer gegeben, das macht die Natur seit tausenden von Jahren. Wir sind heute mit bestimmten gentechnis­chen Vorgängen schneller, aber das Grundprinz­ip ist gleich: Das Korn, das besonders stärkereic­h ist, wird ausgewählt und weiterverm­ehrt. Das heißt, es gibt keine negativen Auswirkung­en, die auf den Weizen an sich zurückzufü­hren sind?

Kabisch: Wenn man von diesen fünf Prozent absieht, die mit dem Weizen aus gesundheit­lichen Gründen wirklich ein Problem haben, dann ist für den Rest Weizen etwas ganz Fantastisc­hes. Es gibt eher Daten dazu, dass Menschen, die Weizen vermeiden, obwohl sie nicht empfindlic­h reagieren, ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Herzinfark­te haben. Also sollte man, sofern man es aus gesundheit­lichen Gründen nicht muss, nicht auf Weizen verzichten?

Kabisch:

Richtig. Grund kann eine Mischung aus Faktoren sein: Zum einen, dass eben gute Inhaltssto­ffe des Weizens, zum Beispiel Ballaststo­ffe, fehlen. Und es kann sein, dass die Leute als Ersatz etwas anderes essen, was einfach ungesünder ist.

Kabisch: Das ist nirgendwo sinnvoll erforscht worden. Aber die Getreideso­rten sind sich zu ähnlich, als dass ich überhaupt einen Unterschie­d erwarten würde. Wenn es einen gesundheit­lichen Unterschie­d gibt, würde man den in der Menge der Ballaststo­ffe oder des Eiweißes vermuten. Und in der Hinsicht liegt jeweils der Weizen meist vor den anderen Getreideso­rten. Ist Bioweizen gesünder als Weizen, der nicht ökologisch angebaut wird?

Kabisch: Bio bedeutet, dass es keine künstliche­n Giftstoffe gibt, die das Getreide vor Unkräutern oder Schädlinge­n schützen sollen. Aber in Bioprodukt­en können natürliche Gifte enthalten sein, etwa aus Unkräutern, die in der Umgebung wachsen – auch, wenn das den Weizen nicht so sehr betrifft. Und zum anderen sind etwa Schimmelgi­fte ein Problem, die bei Bioprodukt­en häufiger auftreten. Nach natürliche­n Giftstoffe­n wird aus Sicht der Lebensmitt­elsicherhe­it nicht so regelmäßig geschaut. Also kann man nicht sagen, dass Bioprodukt­e schlechter oder besser sind. Es gibt Dinge, die dafür sprechen und welche, die dagegen sprechen.

 ?? Foto: Friso Gentsch, dpa ?? Nicht der Weizen ist ungesund, sondern das, was man mit ihm macht.
Foto: Friso Gentsch, dpa Nicht der Weizen ist ungesund, sondern das, was man mit ihm macht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany