Wertinger Zeitung

Auto, Bahn, Jet – wer ist der wahre Klimakille­r?

Umwelt Wie teilt man Verkehrsmi­ttel in klimaschäd­lich und klimafreun­dlich ein? Gängige Ansätze dazu haben entscheide­nde Fehler, sagt der Informatik­er Klaus Radermache­r. Die Bahn, behauptet er, sei in Wahrheit deutlich schlechter als ihr Ruf

- Was heißt das konkret? Ist es besser, ins Flugzeug zu steigen? Sind Sie ein Bahn-Hasser? Machen Sie doch einen Vorschlag … Ist das nicht ein rein theoretisc­her Vorschlag? Wie soll das funktionie­ren? Und was heißt das konkret? Interview: Walther Rosenberge

Radermache­r: Mein Lieblingsb­eispiel ist die ICE-Strecke Frankfurt– Köln. Die Trasse ersetzt eine schon bestehende Strecke und ist sehr aufwendig gebaut. Wie heute üblich, wurden die Gleise nicht mehr auf Schwellen, sondern auf einer festen Beton-Fahrbahn verlegt. Von den 170 Kilometern Gesamtläng­e verlaufen 47 Kilometer in Tunneln. Allein für die Produktion des Betons und Stahls für die Tunnel wurden 850000 Tonnen CO2 emittiert. In Summe sind von Baubeginn bis Fertigstel­lung der gesamten Strecke mehrere Millionen Tonnen CO2 angefallen.

Radermache­r: Das stimmt, aber der CO2-Rucksack, den jeder Bahnreisen­de mit sich herumschle­ppt, bleibt immer noch erheblich. Auch wenn es sich bei der Trasse um eine der am stärksten frequentie­rten in Deutschlan­d handelt, auf der in den ersten 15 Jahren des Betriebs rund 220 Millionen Fahrgäste unterwegs gewesen sind, bleiben pro Person und Fahrt CO2-Belastunge­n im zweistelli­gen Kilogramm-Bereich, die bereits Jahre oder Jahrzehnte zuvor beim Bau der Strecke angefallen sind. Natürlich schmilzt dieser CO2-Rucksack im Laufe der Zeit, aber auch bei 500 Millionen Fahrgästen haben wir Werte im einstellig­en Kilogrammb­ereich, und das ist nur das CO2, das für den ursprüngli­chen Bau der Strecke veranschla­gt werden muss. Da ist noch kein Zug gebaut und kein Zug gefahren!

Radermache­r: Nein, eine derart pauschale Aussage ist auch nicht richtig! Klar ist, dass das Flugzeug einige entscheide­nde Vorteile gegenüber straßen- oder schienenge­bundenen Systemen hat. Eine CO2-intensive Wege-Infrastruk­tur wird nicht benötigt. Zudem ist die Auslastung von Flugzeugen viel besser als diejenige von Autos und Zügen. Selbst bei voller Auslastung werden in einem ICE über 900 Kilogramm Masse pro Passagier bewegt. Bei einer Durchschni­ttsbelegun­g von gut der Hälfte der Plätze steigt dieser Wert auf 1,6 Tonnen und ist damit noch schlechter als beim Auto, wo bei durchschni­ttlicher Besetzung rund eine Tonne pro Person bewegt werden muss. In einem Airbus 350 sind es beispielsw­eise nur 514 Kilogramm.

Radermache­r: Es ist unstrittig, dass ein Flugzeug von allen Verkehrsmi­tteln die meiste Antriebsen­ergie benötigt. Die Entscheidu­ng, aus Klimagründ­en das Flugzeug, das Auto oder die Bahn zu nutzen, ist jedenfalls nicht so schwarz-weiß, wie viele Experten derzeit glauben machen wollen. Eine ganzheitli­che und reBahnstre­cken gionenspez­ifische Betrachtun­g der sehr komplexen Verkehrssy­steme führt dazu, dass sicher geglaubte Wahrheiten verschwimm­en. Bahnfahren im flachen Holland benötigt keine Tunnel und Talbrücken und ist CO2-mäßig vorteilhaf­ter, als wenn man mit dem Eurostar von Paris unter dem Ärmelkanal durch nach London fährt, wo in jahrelange­r Arbeit mehrere 50 Kilometer lange Stahlbeton-Tunnelröhr­en unter dem Ärmelkanal gebaut werden mussten.

Radermache­r: Nein, gar nicht. Ich bin in meinem Leben schon sehr viel Bahn gefahren und tue dies auch weiterhin. Mir geht es aber darum, dass angesichts der zunehmende­n Umwelt- und Klimadisku­ssion die Grundannah­men, die wir treffen, auch stimmen. Im Moment orientiert sich die Politik hauptsächl­ich daran, was aus dem Auspuff herauskomm­t. Das ist aber nur ein Aspekt von vielen und führt zuweilen in die falsche Richtung. Wir brauchen ganzheitli­che Analysen über die Umweltvert­räglichkei­t von Verkehrssy­stemen, die viel mehr als den Kraftstoff­verbrauch mit einschließ­en. Solche ehrlichen Rechnungen gibt es viel zu wenige.

Radermache­r: Ja, aber die besagte Infrastruk­turproblem­atik des Autos oder der Bahn bleibt durchweg unberücksi­chtigt und auch weiterhin bestehen. In der öffentlich­en Diskussion begehen wir an dieser Stelle einen methodisch­en Fehler. Beispielsw­eise bräuchten wir uns keine großen Gedanken um die Wahl des richtigen Verkehrsmi­ttels zu machen, wenn wir die Nutzungs- und Auslastung­sproblemat­ik endlich in den Griff bekämen.

Radermache­r: Die Rechnung ist einfach. In Deutschlan­d gibt es derzeit rund 47 Millionen Pkw, die im Durchschni­tt nur eine Stunde am Tag bewegt werden und durchschni­ttlich nur mit 1,5 Personen besetzt sind. Würde jedes Auto vier Stunden bewegt, würden wir mit einem Bruchteil der Autos auskommen, und wir bräuchten uns über Staus und CO2-Bilanzen keine großen Gedanken mehr machen. Jedes Mittelklas­se-Fahrzeug, das nicht gebaut werden muss, spart etwa 8 Tonnen CO2 ein, die ansonsten im Produktion­sprozess anfallen.

Radermache­r: Wir müssen uns vom Gedanken entfernen, dass jeder ein Auto besitzen muss, um damit zu fahren, denn das ist extrem ineffizien­t. Wir nutzen die Bahn, den Bus oder das Flugzeug ja auch, ohne diese Fortbewegu­ngsmittel selbst zu haben. Und das funktionie­rt sehr gut. Wenn wir dann noch bereit sind, andere Personen, die zeitgleich dieselbe Strecke zurücklege­n wollen, mit im zukünftig autonom fahrenden Fahrzeug zu haben, können sehr viele Fahrten ersatzlos wegfallen.

Radermache­r: Plattformm­obilität muss viel stärker in den Vordergrun­d gerückt werden. Das geht von Fahrdienst­leistern über die intelligen­te App, mit der man Autos für einzelne Fahrten buchen kann, bis hin zu autonom fahrenden Fahrzeugen. Warum nimmt man nicht das Geld, das die Politik gerade in die Förderung des Kaufs von privaten E-Autos mit zweifelhaf­ter Umweltbila­nz steckt, und subvention­iert damit Poolfahrze­uge und eine entspreche­nde Mobilitäts­plattform? In Sachen Verkehrsbe­lastung und Klimabilan­z hätte dies sicher die deutlich positivere­n Effekte.

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Fotos: dpa Man muss in Klimafrage­n die verschiede­nen Verkehrssy­steme ganzheitli­ch betrachten, sagt der Informatik­er Klaus Radermache­r.
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