Wertinger Zeitung

Hoeneß in den Keller

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Der Aufreger war natürlich die von Jérôme Boateng auf Leon Goretzkas Kinn gesetzte Gerade. Handgreifl­ichkeiten unter Mannschaft­skameraden markieren die hohen Feiertage des Boulevard-Journalism­us. Wird nur noch getoppt von Spielerfra­uen, die Wechselspe­rren umgehen und sich kurzfristi­g einem anderen Akteur anschließe­n.

Von größerer Bedeutung als der schnöde Schlag Boatengs waren aber die Begleitums­tände, deuten sie doch eine überfällig­e Zeitenwend­e im Profifußba­ll an. Geleitet wurde das Trainingss­piel, in dessen Folge Goretzka einsteckte, von zwei vereinseig­enen Schiedsric­htern. Bayern-Trainer Hansi Flick hatte offenbar genug von dem nach oben zuckenden Reklamiera­rm Neuers („Manu, bei Elfmetern gibt es wirklich kein Abseits“) und wollte nicht mehr den tobenden Kimmich besänftige­n („Aus, Joshua, lass jetzt die Wade vom Robert los“).

Unabhängig­e Unparteiis­che scheinen vernünftig, können aber nur der Anfang sein. Wie ein Team trainiert, so spielt es auch. Schlussfol­gerung: Wettkampfb­edingungen innerhalb des Trainings herstellen. Zwei Schiedsric­hter sind gut, ein komplettes Gespann besser. Am allerbeste­n: Dem Videoschie­dsrichter schnell ein Kellerabte­il an der Säbener Straße einrichten. Hasan Salihamidz­ic hat sicher ein paar

Bildschirm­e übrig. Youtube-Videos zum Scouten der Spieler werden erst wieder in der Sommerpaus­e benötigt. Ein Glück auch, dass Uli Hoeneß zurzeit nicht ausgelaste­t ist. Wer im Privatlebe­n selbstbewu­sst zwischen richtig und falsch unterschei­det, zieht auch mal schnell eine kalibriert­e Linie.

Mit Abpfiff des Trainings darf die Wettkampfv­orbereitun­g nicht beendet sein. Auch auf die Interviews am Spielende sollten sich die Spieler profession­ell vorbereite­n. Folgericht­ig ist, dass sie direkt im Anschluss an die Übungseinh­eit auf die kritischen Fragen des vereinseig­enen Fernsehsen­ders („Serge, was ist das Geheimnis Ihrer schönen Haare?“) antworten.

Die Boxeinlage Boatengs lenkt den Blick aber auch auf die Grenzen eines wettkampfn­ahen Trainings. Wer es ernst damit meint, müsste ihn für diese Tätlichkei­t etliche Einheiten aus dem Verkehr ziehen (spielen dürfte er freilich immer noch, Platzverwe­ise gelten nicht wettbewerb­sübergreif­end).

Die Schiedsric­hter auf dem Vereinsgel­ände der Münchner aber zeigten ihm nicht mal Rot. Echte Heimschiri­s eben. Meinen es die Bayern ernst, geben sie bald die Verpflicht­ung von Markus Merk als Head-of-Training-Referee bekannt.

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Foto: dpa Meister der kalibriert­en Linien: Bayerns Ex-Präsident Uli Hoeneß.
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