Krieger im Internet
Titel-Thema Wer sind die Menschen hinter den Hassbotschaften in den sogenannten „sozialen Netzwerken“? Der Norweger Kyrre Lien hat einige der weltweit aktivsten Hetzer ausfindig gemacht und besucht. Was bewegt sie?
Renate Künast hat das mal als Betroffene versucht. Die Grünen-Politikerin besuchte genau jene Menschen, die sie zuvor im Internet beschimpft, die Hass und Drohungen gegen sie gepostet hatten. Mit Journalisten in Begleitung – und mit ziemlich bescheidenem Erfolg. Der Gedanke, die Begegnung mit dem Gehassten könnte die öffentlich Hassenden zur Vernunft bringen, scheiterte teils auf bestürzende Art.
Beeindruckend gelungen ist dagegen das Projekt des Journalisten Kyrre Lien. Es heißt „The Internet Warriors“, findet sich auch unter www.theinternetwarriors.com im Netz und außerdem in einem dort bestellbaren Buch. „Die InternetKrieger“also: Der 28-jährige Norweger hat jeweils über Wochen hinweg aus einem tobenden Shitstorm die größten Aufwiegler herausgefiltert und so einige der aktivsten Hasskommentatoren weltweit ausfindig gemacht. Er hat sie dann angeschrieben – und tatsächlich haben einige zugesagt, sich mit ihm zu treffen und über sich zu erzählen. Es sind Menschen aus Großbritannien und Russland, Norwegen und den USA, dem Libanon und der Ukraine… Menschen, die zumeist abertausende Kommentare veröffentlicht haben. Voller Hass gegen den Islam etwa – oder voller Hass gegen Islamhasser. Es sind Linke wie Rechte, Frauen und Männer, Bildungsferne und Hochgebildete…
Die eine Deutsche aber, die Lien dabei auch getroffen hatte, eine Hausfrau Mitte 50 aus Niedersachsen, extrem aktiv für bessere Rechte und gegen die Tötung von Tieren, eine, die das Geschlachtetwerden den Schlächtern selbst an den Hals wünschte – sie hat sich offenbar zurückgezogen, ist nicht mehr unter den nun 21 in starken, je rund zweiminütigen Videos, Fotos und kurzen Texten Porträtierten.
Dafür aber zum Beispiel der Amerikaner Nick Hayes, der, mit seiner kleinen Tochter neben sich auf der Couch, erklärt: Hätte Hillary Clinton die Wahl gewonnen, wäre er in den Bürgerkrieg gezogen. Twitter-Zitat: „Für Hillary zu stimmen ist das Gleiche, wie deine eigenen Kinder zu töten…“Oder dessen Landsmann Pete Seville, der immer die US-Flagge am Körper trägt und gegen Immigranten hetzt. Und noch ein Landsmann, Scott Munson, der vom 11. September an eine riesige Verschwörung am Werk sieht – und in Israel einen der Hauptdrahtzieher. Zumindest darin ist er sich mit dem in den Libanon geflüchteten Syrer Imaad Osman einig, der ansonsten aber auf Facebook schreibt: „Wer für Demokratie auf Amerika setzte, erwartet wohl auch, dass der Teufel ihn in den Himmel bringt.“Die Russin Alexandra Velichkevich hetzt gegen Homosexualität, der Brite Frank Fischer gegen die Liberalen und die BBC. Unter seinen 500000 Kommentaren die meisten etwa solcherart: „Schmeißt eine Atombombe auf die BBC…“Irre? Die Norwegerin Sina Staes Janevska schrieb auf Facebook: „Wenn sich Hitler statt um die Juden um die Muslime gekümmert hätte, wäre die Welt heute eine bessere…“Deren Landsfrau Dorthe Guldfeldt wiederum hat sich tausendfach und teils ebenso drastisch gegen Klimawandel-Skeptiker zu Wort gemeldet.
Der Journalist Kyrre Lien versucht eben nicht, sie irgendwie als Gegenüber zur Vernunft zu bringen. Er lässt sie einfach alle zu Wort kommen und oft mit Stolz auf ihre heftigsten Formulierungen die sehr geschlossenen Weltbilder erklären, in denen sie im Allgemeinen leben – während sie konkret meist im Netz leben. Skrupel, Reue oder Zweifel sind bei keinem der Porträtierten zu erkennen, sie pochen oft auf die Notwendigkeit des Streits und ihr Recht auf ihre Meinung.
Kyrre Lien ergänzt Zahlen wie diese: 40 Prozent aller Social-Media-Nutzer sind selbst schon online belästigt worden, 73 Prozent haben eine solche Belästigung miterlebt.
175000-fach ist sie allein von der
Waliserin Ashleigh Jones ausgeübt worden. Meist gegenüber Prominenten wie Lady Gaga, die sie aufs Heftigste beleidigt hat, oder Politiker wie David Cameron, dem sie die Ermordung durch den IS wünschte. Warum? Sie brauche das, um ihre Emotionen ausleben zu können. Und sie sei halt gnadenlos hart, aber auch absolut ehrlich. Dann greift die Psychologiestudentin zum Controller und zockt ein bisschen EgoShooter auf der Spielkonsole.
Kyrre Lien zitiert: „59 Prozent der Social-Media-Nutzer denken, zu viele Leute fühlten sich zu leicht angegriffen in politischen Debatten.“Haben die Empfindsamen nur nicht kapiert, dass das hier, vor allem Twitter und Facebook, der Wilde Westen ist. Wo Wörter nicht zur Kommunikation zwischen Menschen da sind, sondern als Waffen in Duellen der Weltbilder – oder zum emotionalen Aggressionsabbau. Und der öffentliche Diskus? Man könnte an dieser Stelle merkeln: „Das Internet ist noch Neuland.“