Von der Vergangenheit eingeholt
Filmfestival Statt über das neue Konzept der Berlinale spricht man über die NS-Vorwürfe gegen einen früheren Leiter
Berlin Es waren nur wenige Stunden. Noch am Morgen stellte die Berlinale ihr Festivalprogramm vor, kurz darauf erschien ein Zeitungsbericht. Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete am Mittwochnachmittag, der erste Berlinale-Leiter Alfred Bauer sei ein „hochrangiger Funktionär der NS-Filmbürokratie“gewesen. Seitdem wird die Berlinale mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, drei Wochen vor Festivalbeginn. Alfred Bauer war der Mann, der die Filmfestspiele von 1951 bis 1976 leitete. Die Berlinale in WestBerlin war damals auch ein Kind des Kalten Kriegs. Heute zählt sie neben Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt.
Nach Bauers Tod wurde eine
Auszeichnung nach ihm benannt: Seit 1987 wurde der Alfred-BauerPreis vergeben, zuletzt als eine von mehreren Bären-Auszeichnungen im Wettbewerb.
Die Zeit berichtete nun, Bauer habe während des Nationalsozialismus für die Reichsfilmintendanz gearbeitet, später soll er seine Rolle verschwiegen haben. Die Berlinale reagierte noch am Abend: In dem Artikel würden Quellen zitiert, die die Rolle Bauers in der nationalsozialistischen Filmpolitik neu beleuchteten. Die „Interpretation dieser Quellen“lege nahe, dass er „bedeutende Positionen in der NSZeit“innegehabt habe, teilte die Berlinale mit. Der Alfred-BauerPreis soll nun nicht mehr verliehen und die Festivalgeschichte „mit externer fachwissenschaftlicher Unterstützung“aufgearbeitet werden.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) stellte sich hinter die Berlinale-Leitung. „Wenn diese für uns alle neuen Erkenntnisse sich erhärten sollten, ist es selbstverständlich, dass man den Namen Alfred Bauer im Zusammenhang mit der Berlinale so nicht mehr nutzt“, sagte Grütters. „Die Berlinale-Direktion lässt ein Gutachten erstellen, das die aufgekommenen Informationen noch einmal bewertet“, sagte Grütters. „Wenn es so ist, wie es in der glaubwürdigen Darstellung aussieht, werden die notwendigen Konsequenzen gezogen. Das haben die Berlinale-Leiter Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian sehr angemessen und konsequent deutlich gemacht.“
Die Niederländerin Mariette Rissenbeek und der Italiener Carlo
Chatrian stehen seit dem Sommer an der Spitze des Filmfestivals. Die Berlinale, die am 20. Februar eröffnet wird, wird ihre erste als Direktorenduo sein. Die Filmfestspiele finden dieses Jahr zum 70. Mal statt. Eine Jubiläumsausgabe also, die mit ihren Anfängen konfrontiert wird.
„Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ist Teil unseres nationalen Selbstverständnisses – das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für wichtige gesellschaftliche Akteure“, sagte Grütters. Für sie zeigt der Vorgang, „dass uns unsere Vergangenheit immer wieder einholt. Darauf muss man konsequent und ganz eindeutig reagieren, das hat die Berlinale-Leitung getan“.