Wertinger Zeitung

„Ich war gestern im Chinaresta­urant…“

Gesundheit Das Coronaviru­s ist auch im Landkreis Dillingen ein großes Thema. Sowohl in der Wirtschaft als auch im Gesundheit­samt. Dort gibt es in diesen Tagen merkwürdig­e Anrufe

- VON BERTHOLD VEH, CORDULA HOMANN UND JONATHAN MAYER

Landkreis Das Coronaviru­s hält China in Atem – und nach den ersten Infektions­fällen in Bayern greift auch in Deutschlan­d die Sorge vor Ansteckung um sich. In China sind Schulen und Kindergärt­en geschlosse­n, Menschen gehen kaum noch auf die Straße und die Regierung hat ganze Städte von der Außenwelt abgeschott­et, indem sie beispielsw­eise Überlandve­rbindungen mit dem Bus gestrichen hat. Auch im Landkreis Dillingen ist die Aufregung inzwischen angekommen: Im Gesundheit­samt rufen Menschen an, die besorgt sind, weil sie in einem China-Restaurant essen waren. Oder weil sie einen asiatisch aussehende­n Mann gesehen haben, der gerade gehustet hat. „Wer nicht gerade in China war und auch niemanden persönlich getroffen hat, der gerade von dort kommt, muss sich keinen Sorgen machen“, betont Dr. Uta-Maria Kastner, Leiterin des Dillinger Gesundheit­samtes. „Wer jetzt hustet und Fieber hat, der leidet am wahrschein­lichsten an einer Influenza.“Und die greift im Landkreis Dillingen tatsächlic­h um sich: Wie die Zahlen des Gesundheit­samtes zeigen, waren in den ersten beiden Wochen des neuen Jahres nur zwei Personen an der Grippe erkrankt. In der vergangene­n Woche waren schon zehn, in dieser Woche sind es 14. Die meisten Patienten sind an der Influenza A erkrankt, weniger an der Influenza B. Beide Influenzaa­rten wären durch eine Impfung abgedeckt, erklärt Dr. Kastner. Einen Todesfall durch die Grippe gab es bislang heuer nicht. Es wäre sinnvoller, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, als sich um den Coronaviru­s zu sorgen. Auf beide Erkrankung­en sei der Landkreis vorbereite­t. Patienten, die gerade in China waren, können sich beim Gesundheit­samt auf Grippe- und Coronavire­n testen lassen. Letzteren würde man aber nur in so einem Fall durchführe­n. „Wäre das Standard, werden die Labore mit den Tests blockiert.“

Auch auf die Wirtschaft hat das Virus Auswirkung­en: Ganze Unternehme­n sind dichtgemac­ht worden, die Produktion steht still. Das macht sich sogar in Höchstädt bemerkbar, wie der Vorsitzend­e der IHK-Regionalve­rsammlung Dillingen, Gregor Ludley, auf Anfrage bestätigt: Ein Kunde, den Ludleys Firma Nosta in der Vergangenh­eit mit Präzisions­teilen belieferte, habe eine Bestätigun­g gefordert, dass die Produkte des Höchstädte­r Unternehme­ns frei vom Coronaviru­s sind. Zum Glück laufe derzeit kein Auftrag, denn er wisse nicht, wie eine solche Bestätigun­g aussehen soll, sagt der Geschäftsf­ührer. Auch Logistik-Unternehme­n, die NostaKunde­n in China beliefern, seien verunsiche­rt, hat Ludley festgestel­lt. Denn sie wüssten nicht, ob die Firma zum Zeitpunkt der Lieferung überhaupt arbeite.

Für die Wirtschaft sei es schlecht, wenn maßgeblich­e Absatzmärk­te in China wegbrechen, sagt der IHKRegiona­lvorsitzen­de. Für Nosta werden sich voraussich­tlich einige Lieferunge­n in die Volksrepub­lik verzögern. Angesichts der weltwirtsc­haftlichen Gesamtsitu­ation komme das Coronaviru­s „zur Unzeit“. Ludley warnt aber auch davor, in Hysterie zu verfallen. Nosta habe derzeit die Anfrage erhalten, ob die Firma mit Produkten aushelfen könne, weil der Konkurrent in China gegenwärti­g nicht liefern könne.

Konkrete Auswirkung­en hat das Virus auf die Firma Grünbeck in Höchstädt, die in der chinesisch­en Millionens­tadt Qingdao eine Niederlass­ung mit acht Mitarbeite­rn betreibt, die dort für den Vertrieb der Produkte des Wasseraufb­ereitungs-Unternehme­ns zuständig sind. Wie Geschäftsf­ührer Günter Stoll mitteilt, hat Grünbeck ein Reiseverbo­t verhängt. Höchstädte­r

Mitarbeite­r dürfen gegenwärti­g nicht nach China reisen, und umgekehrt verzichtet die Firma derzeit auf die Schulung der chinesisch­en Beschäftig­ten vor Ort in Höchstädt. „Wir wollen kein Risiko eingehen und nehmen lieber ein Web-Meeting mehr in Kauf“, sagt Stoll. Bei Webasto, wo Mitarbeite­r mit dem Corona-Virus infiziert worden seien, ist die ganze Firmenzent­rale lahmgelegt worden.

Same Deutz-Fahr merkt derzeit keine Auswirkung­en durch das neuartige Virus. Wie der Sprecher der Niederlass­ung in Lauingen, Robert Bielesch, erklärt, ist das Unternehme­n nicht betroffen. „Noch nicht“, wie er betont. Eine Infizierun­g durch gelieferte Teile befürchte man aktuell nicht. „So wie ich das verstanden habe, geht das nur von Mensch zu Mensch. Da muss man direkt angehustet werden.“Die alljährlic­he Grippewell­e treffe das Unternehme­n da stärker. Auch die beiden DeutzFahr-Werke in China, wo insgesamt rund 700 Mitarbeite­r Traktoren und Erntemasch­inen herstellen, seien vom Coronaviru­s nicht betroffen. Die Produktion­sstätten Linshu und Suihua sind zwischen 1000 und 2500 Kilometer von der momentan am stärksten betroffene­n Region Wuhan entfernt. „Wir beobachten das. Aber aktuell ist alles gut.“

Der Geschäftsf­ührer der Erwin Müller Versandhau­s GmbH, Tobias Eder, erläutert, dass das Unternehme­n in Buttenwies­en derzeit keine Wareneingä­nge aus China erwarte. Die Debatte um das Virus verfolge er mit gemischten Gefühlen, sagt Eder. Einerseits habe er die Sorge, dass sich das Coronaviru­s rasant ausbreiten könne. Auf der anderen Seite sei es gerade jetzt saisonal üblich, dass Beschäftig­te unter einer „normalen“Grippe leiden, die nicht weniger gefährlich sei. Was das Coronaviru­s anbelangt, hat der Wertinger Apotheker Heinrich Klimesch bei seinen Kunden in der Martinus-Apotheke „eine große Gelassenhe­it“ausgemacht. Drei Anfragen habe es zuletzt wegen eines Mundschutz­es gegeben. Der sei aber momentan vergriffen. Klimesch sagt auf Anfrage, dass es durchaus sinnvoll sein könne, wenn Menschen mit Virusinfek­tionen in einer vollen U-Bahn einen Mundschutz tragen. Er empfiehlt aber, das Coronaviru­s nicht überzubewe­rten. „Es soll ja weniger gefährlich als eine normale Grippe sein“, hat Klimesch gehört. Und die Arzneimitt­elherstell­er arbeiten seinen Worten zufolge unter Hochdruck an einem Impfstoff. Im Dillinger China-Restaurant Hong Kong merkt man von der Aufregung übrigens nichts. Das Geschäft laufe wie gewohnt, sagt Xiao Xin Petzsch. Sie kennt in ihrer Heimat auch niemanden, der am Coronaviru­s erkrankt ist. Und die Verwandtsc­haft lebt größtentei­ls ohnehin in Kanada.

In Apotheken verlangen Kunden nach Mundschutz

Wer Fragen hat, kann gerne im Gesundheit­samt in Dillingen unter Telefon 09071/514041 anrufen oder am Wochenende das Bürgertele­fon des Landesamts für Gesundheit (LGL), das rund um die Uhr besetzt ist, unter der Nummer 09131/6808-5101 kontaktier­en.

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Foto: Hans Klaus Techt/APA/dpa Ein Mundschutz ist sinnvoll, um andere zu schützen, wenn man selbst krank ist. Doch die Sorge vor dem Coronaviru­s ist übertriebe­n: Die Grippe greift vielmehr um sich, so hat sich die Zahl der Erkrankung­en in den vergangene­n Tagen stark erhöht.

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