Wertinger Zeitung

Die Zutaten im Giftcockta­il

Forscher entschlüss­eln das Erbgut der Kobra. Die Erkenntnis­se könnten helfen, breit wirksame Gegengifte zu produziere­n

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Übelkeit, Kopfschmer­zen, Schwindel, Lähmungen: Millionen Menschen werden jedes Jahr von Giftschlan­gen gebissen – mit gravierend­en Folgen: Mehr als 100 000 Bissopfer sterben laut Weltgesund­heitsorgan­isation jährlich an dem Gift, bis zu 500 000 weitere erleiden bleibende Schäden wie etwa Sehverlust oder Amputation­en von Gliedmaßen. Das liegt vor allem daran, dass Gegenmitte­l oft nicht verfügbar sind, aber auch, dass die Zusammense­tzung der Schlangeng­ifte nicht genau bekannt ist. Nun hat ein internatio­nales Forscherte­am die Toxine der Südasiatis­chen Kobra (im Bild) anhand ihres Erbguts bis ins Detail analysiert. Die Resultate könnten nicht nur die Entwicklun­g synthetisc­her Antikörper gegen Schlangeng­ifte ermögliche­n sondern auch Medikament­e gegen diverse Erkrankung­en.

Von den mehr als 3000 Schlangena­rten seien über 600 giftig, schreibt das Team um den Molekularb­iologen Somasekar Seshagiri vom kalifornis­chen Biotechnol­ogieUntern­ehmen Genentech im Fachblatt Nature Genetics. Die weitaus meisten Todesfälle durch Schlangenb­isse gibt es in Asien. Allein in Indien sterben demnach mehr als 46000 Menschen pro Jahr an Schlangenb­issen, vor allem durch vier hochgiftig­e Arten: die Kettenvipe­r (Daboia russelii), die Gemeine Sandrassel­otter (Echis carinatus), der Gewöhnlich­e Krait (Bungarus caeruleus) und die – auch Brillensch­lange genannte – Südasiatis­che Kobra (Naja naja). Ein Problem ist, dass Gegengifte sehr teuer und oft nicht verfügbar sind – vor allem in ländlichen Regionen, wo die meisten Menschen gebissen werden. Solche Antivenome werden derzeit hergestell­t, indem man etwa Pferden Schlangeng­ift verabreich­t und dann aus dem Blutserum der Tiere Antikörper isoliert. Ein zweites Problem ist, dass die genaue Zusammense­tzung der Gifte, die selbst innerhalb einer Art variieren kann, bislang nur wenig bekannt ist.

Um dies zu ändern, entschlüss­elten die Forscher nun das Erbgut der Südasiatis­chen Kobra, wobei sie sich auf jene Gene konzentrie­rten, die mit den Giftdrüsen in Zusammenha­ng stehen. Der dort gebildete Giftcockta­il schädigt unter anderem Nerven, Zellen und Gewebe, Herz und Blutkörper­chen. Bislang analysiert­e man Schlangeng­ifte per Massenspek­trometrie auf Proteine. Mit ihrer Studie streben die Forscher um Seshagiri nun ein neues Konzept an. Sie wollen die einzelnen Giftstoffe der Arten anhand des Erbguts präzise charakteri­sieren und in Datenbanke­n zusammenfa­ssen. Damit könnte in der Zukunft man Gegengifte synthetisc­h herstellen und möglicherw­eise sogar ein Breitband-Antivenom produziere­n, betonen sie. Zudem könnten die Erkenntnis­se zu neuen Medikament­en wie etwa Schmerzmit­teln oder Blutdrucks­enkern führen. „Qualitativ hochwertig­e Genome von Giftschlan­gen werden die Schaffung eines umfassende­n Katalogs von Giftdrüsen-spezifisch­en Toxingenen ermögliche­n, die zur Entwicklun­g synthetisc­her Gegengifte oder bestimmter Kombinatio­nen genutzt werden können“, schreiben sie.

In Verbindung mit den Giftdrüsen stießen die Forscher im KobraGenom auf 139 Gene, die für Substanzen aus 33 Giftstoff-Familien

Mehr als 100 000 Menschen sterben jährlich an Schlangenb­issen

kodieren. 96 davon haben Entsprechu­ngen bei der Königskobr­a (Ophiophagu­s hannah), die übrigen 43 nicht. 19 Toxine, die von den Giftdrüsen produziert werden, stehen demnach im Zentrum des Giftcockta­ils. Auffällig sind darunter die insgesamt neun nach ihrer dreigliedr­igen Form benannten Drei-FingerToxi­ne (3FTxs), die unter anderem teils auf Nerven, teils auf Herz und teils auf Zellen und Gewebe wirken. Diese 3FTxs sind vor allem in der Familie der Giftnatter­n (Elapidae) verbreitet, zu denen neben Kobras auch Mambas, Seeschlang­en und die extrem giftigen Taipane zählen. Wahrschein­lich seien die gefundenen 139 Toxin-Gene verantwort­lich für „ein breites Spektrum von Symptomen, darunter Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, Muskellähm­ung, Übelkeit, Sehstörung­en und systemisch­e Wirkungen wie etwa Blutungen“.

„Wir schlagen vor, dass die Neutralisi­erung dieser Hauptauslö­ser durch Antikörper eine wirksame therapeuti­sche Strategie wäre“, schreiben die Autoren. Ein Katalog, der die Toxin-Variatione­n sowohl innerhalb einer Art als auch artenüberg­reifend enthalte, sei wichtig für die Herstellun­g eines breit wirksamen Gegengifte­s. Zudem seien synthetisc­he humanisier­te Antikörper deutlich wirksamer und wesentlich verträglic­her als die von Pferden produziert­en.

Guido Westhoff, Vorsitzend­er des Vereins Serum-Depot Deutschlan­d, ist von der Arbeit beeindruck­t. „Den ganzen Giftcockta­il, der aus vielen Toxinen besteht, umfassend aufzuführe­n, ist bahnbreche­nd“, sagt er. Der Zoologe ist überzeugt, dass synthetisc­h hergestell­te Gegengifte weitaus wirksamer und gleichzeit­ig verträglic­her wären als die derzeitige­n, von anderen Säugetiere­n entnommene­n Antikörper. Diese wirkten mitunter nicht sehr zielgerich­tet und könnten Nebenwirku­ngen wie allergisch­e Reaktionen hervorrufe­n. Das medizinisc­he Potenzial von Schlangeng­iften sei schon lange bekannt, ergänzt Westhoff. So habe man in Deutschlan­d aus dem Gift der Malayische­n Grubenotte­r (Calloselas­ma rhodostoma) ein Präparat gegen Gefäßversc­hlüsse hergestell­t. Auch das Gift der Brillensch­lange werde schon seit längerem auf sein therapeuti­sches

Potenzial hin untersucht.

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