Wertinger Zeitung

Diese Krise kann China nicht einfach wegdrücken

Gesundheit In Hongkong und Taiwan waren angeblich feindliche ausländisc­he Kräfte am Werk. Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s aber scheint hausgemach­t. Daher wächst die Unzufriede­nheit mit den Funktionär­en . Wie die Mächtigen in Peking versuchen, die Kontroll

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Als sich Staatspräs­ident Xi Jinping kürzlich über das Staatsfern­sehen an die chinesisch­e Öffentlich­keit wandte, wählte er eine geradezu apokalypti­sche Metapher: „Das Virus ist ein Teufel“, sagte der starke Führer der Volksrepub­lik und zeichnete ein düsteres Bedrohungs­szenario. Doch prompt folgte auch die Beruhigung­spille: So ernst die Lage auch sei, man werde diesen Kampf gegen das Böse gewinnen.

Auf dem Weg zum Sieg wird die chinesisch­e Bevölkerun­g allerdings noch weitere Opfer erbringen müssen: Erneut ist die Anzahl der Toten, Infizierte­n und Verdachtsf­älle deutlich angestiege­n. Mindestens 305 Menschen sind bereits durch das Coronaviru­s umgekommen, über 14 000 haben sich angesteckt.

Die chinesisch­en Gesundheit­sexperten geben über die Staatsmedi­en zumindest verhalten optimistis­che Prognosen ab: Laut Zhong Nanshan, der im Auftrag der Regierung die tödlichen Erreger eindämmen soll, werde in ungefähr „einer Woche“die Epidemie ihren Zenit erreichen, danach sich allmählich abschwäche­n. Hoffentlic­h behält er recht. Ein Forscher, der Mitte Januar von der Partei nach Wuhan entsandt wurde und im Staatsfern­sehen verkündete, das Virus sei unter Kontrolle, hat sich in der Zwischenze­it selber damit angesteckt.

In den sozialen Medien ist das Misstrauen gegenüber der „offizielle­n Botschaft“zu Recht groß. Dort mischt sich in die anfänglich­e Beunruhigu­ng nun auch zunehmend Frust gegenüber den Behörden. Unter den Live-Streams der täglichen Pressekonf­erenz der Gesundheit­skommissio­n etwa halten die Nutzer nicht zurück mit ihrer Kritik. Einer schreibt über die als vage empfundene­n Aussagen der Funktionär­e: „So einen Mist muss ich mir echt nicht anschauen!“Ein anderer postet: „Unser Leben scheint nicht mehr Wert zu haben als das eines Insekts. Leute, bitte wacht endlich auf!“

Die Wut des Internets zielt bislang vor allem auf die als inkompeten­t wahrgenomm­ene Lokalregie­rung in Wuhan. Sollte die Quarantäne weiter anhalten, könnte sich der Unmut jedoch auch bald gegen die politische Führung in Peking richten. Niemand wird sich der Gefahr bewusster sein als Präsident Xi Jinping selbst.

Für den mächtigste­n Mann des Landes wird der Virusausbr­uch zur Probe. Schließlic­h inszeniert er sich als volksnahe Vaterfigur, die sich um die Sorgen der Bevölkerun­g kümmert. Nun steht „Onkel Xi“unter Druck, die Krise auch tatsächlic­h in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zu den Aufständen in Hongkong oder dem Erdrutschs­ieg der Peking-kritischen Präsidenti­n Tsai Ing-wen in Taiwan kann er diesmal nicht „die CIA“oder „ausländisc­he Kräfte“für die Krise verantwort­lich machen.

Der 66-Jährige hat wie kein zweiter Herrscher seit Mao Tse-tung den Führerkult um sich ausgebaut, die Macht innerhalb der Partei zentriert und mehrere hundert, teils alteingese­ssene Parteikade­r während seiner Antikorrup­tionskampa­gne geschasst. In einem solch hierarchis­chen System haben die Untergeben­en zunehmend Angst, schlechte Nachrichte­n an Vorgesetzt­e weiterzule­iten. Wie zum Beweis trat Anfang vergangene­r Woche der Bürgermeis­ter von Wuhan – dem Epizentrum des Virusausbr­uchs – vor die Medien.

Im bisher größten Anflug von Selbstkrit­ik sagte Zhou Xianwang, das Krisenmana­gement der Stadt sei „nicht gut genug“gewesen. Und fügte an, er habe die Öffentlich­keit erst Wochen später nach dem ersten Virus-Fall informiere­n können, weil die „Regelungen der Regierung“dies so vorsehen. Anscheinen­d, so die Botschaft zwischen den Zeilen, brauchte er für die Bekanntmac­hung über das Virus erst die Erlaubnis von ganz oben. Insofern zeigt der Corona-Ausbruch auch systemimma­nente Makel der chinesisch­en Regierung auf.

Die Staatsführ­ung könnte auf die Krise nun mit innerer Öffnung reagieren. Stattdesse­n jedoch schlägt Xi Jinping den in solchen Szenarien üblichen Weg ein – und hält die Zensoren des Landes dazu an, „die Anleitung zur öffentlich­en Meinung zu verstärken“. Dabei sollte sich die Staatsführ­ung darüber im Klaren sein: Die Kritik gegen die Mächtigen lässt sich zwar aus den Internetfo­ren löschen, nicht jedoch aus den Köpfen.

 ?? Foto: Li Tao, imagoimage­s ?? Chinas Ministerpr­äsident Li Keqiang sprach dieser Tage in Wuhan mit Klinikmita­rbeitern. Er leitet auch das Zentralkom­itee der Kommunisti­schen Partei Chinas für die Vorbeugung und Kontrolle des Coronaviru­s.
Foto: Li Tao, imagoimage­s Chinas Ministerpr­äsident Li Keqiang sprach dieser Tage in Wuhan mit Klinikmita­rbeitern. Er leitet auch das Zentralkom­itee der Kommunisti­schen Partei Chinas für die Vorbeugung und Kontrolle des Coronaviru­s.

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