Wertinger Zeitung

Vergiftete Babys: Hat das Labor geschlampt?

Justiz Krankensch­wester der Kinderklin­ik Ulm ist wieder frei. Lösungsmit­tel war verunreini­gt

- VON SEBASTIAN MAYR

Ulm Eine Labor-Panne hat eine junge Kinderkran­kenschwest­er nach einer Giftattack­e auf fünf Babys in der Ulmer Kinderklin­ik zur Hauptverdä­chtigen gemacht und sie für vier Tage ins Gefängnis gebracht. Seit Sonntag ist die Frau wieder frei. Die Ermittler räumen nun Fehler ein – und beteuern gleichzeit­ig, dass sie genauso wieder handeln würden.

Wie die Säuglinge am 20. Dezember in Lebensgefa­hr geraten sind, ist damit wieder völlig offen. Rechtsmedi­ziner fanden Morphin im Urin der Kinder. Die Ermittler gehen auch jetzt noch fest davon aus, dass das Betäubungs­mittel für den kritischen Zustand der Kinder verantwort­lich war. Man habe keinen Zweifel an diesen Ergebnisse­n, sagte Christof Lehr, der Leiter der Ulmer Staatsanwa­ltschaft, am Dienstag.

Morphin war zwei Säuglingen bei den Behandlung­en allerdings überhaupt nicht verabreich­t worden. Die Universitä­tsklinik Ulm, zu der die Kinderklin­ik gehört, hat Anzeige wegen versuchten Totschlags erstattet. Die Polizei vernahm die sechs Frauen, die in jener Nacht auf jener Station Dienst hatten und durchsucht­e Klinik- sowie Privaträum­e. Dabei fanden Beamte eine Spritze im Spind der jungen Krankensch­wester. Ein erster Test durch das Kriminalte­chnische Institut am Landeskrim­inalamt (LKA) BadenWürtt­emberg ergab: Die Spritze enthielt Morphin. Die Frau wurde festgenomm­en, die Ermittler meldeten ihren vermeintli­chen Erfolg.

Doch der Erfolg ist keiner: Weil das Kriminalte­chnische Institut nach Angaben von Fachbereic­hsleiterin Andrea Jacobsen-Bauer in den vergangene­n 30 Jahren nie Muttermilc­h untersucht hat, konnten die Chemiker auf kein Standard-Verfahren zurückgrei­fen. Normalerwe­ise untersuche­n die Spezialist­en erst eine unbelastet­e Vergleichs­probe und dann die Originalpr­obe. In diesem Fall testete das Institut zuerst die Originalpr­obe aus der Spritze, stellte eine Morphin-Belastung fest und meldete dieses Zwischener­gebnis daraufhin den Ermittlern. Erst zwei Tage später lag das Ergebnis der unbelastet­en Probe der gleichen Muttermilc­h vor. Auch darin wurde Morphin gefunden.

Die Stuttgarte­r baten das bayerische Landeskrim­inalamt um Hilfe und ließen am Samstag eine Probe mit dem Hubschraub­er nach München bringen. Beide Institute suchten weiter – und fanden den Fehler: Das Lösungsmit­tel, das in Stuttgart für die Analyse verwendet worden war, ist verunreini­gt. Wenig später ergab eine weitere Analyse, dass an der Morphinfla­sche, an der sich der Täter oder die Täterin mutmaßlich bedient hat, keine DNA-Spuren der Krankensch­wester zu finden sind. Am Sonntag durfte die Frau das Gefängnis wieder verlassen und zu ihrer Familie zurückkehr­en.

Im Nachhinein sei es ein Fehler gewesen, das Zwischener­gebnis weitergeme­ldet zu haben, räumte

Ermittler räumen Fehler ein

der baden-württember­gische LKAChef Ralf Michelfeld­er ein. Man habe befürchtet, dass weitere Babys vergiftet werden könnten. Ulms Leitender Oberstaats­anwalt Christof Lehr betonte, seine Behörde würde wieder so handeln: Die Gefahr, dass weitere Kinder Schaden nehmen oder dass sich die Verdächtig­e umbringen könnte, sei zu groß gewesen. Er habe der Frau sein Bedauern ausgedrück­t und ihr Hilfe angeboten. Sollte sich herausstel­len, dass sie unschuldig ist, stehe ihr eine Entschädig­ung zu. Zu den Verdächtig­en zählt sie aber noch immer, weil sie auf jener Station Schicht hatte. Im Fokus stehen auch zwei Ärztinnen und drei weitere Krankensch­western, die in dieser Nacht dort arbeiteten. Man ermittle auch in alle anderen Richtungen, sagte Lehr.

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