Warum Tierärzte teurer werden
Medizin Vor allem auf dem Land machen Tierkliniken dicht. In diese Lücke könnten internationale Ketten stoßen. Experten fürchten, dass sie ihre Marktmacht ausnutzen
Ulm Haustiere sind teure Familienmitglieder. Vor allem die Kosten für ärztliche Behandlungen von Hund und Katz sind in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen. Und Experten fürchten, dass sich dieser Trend noch fortsetzen könnte. Weil, gerade auf dem Land, die flächendeckende Versorgung immer weniger gewährleistet ist und immer mehr Kliniken mit 24-Stunden-Service zumachen, entstehen Lücken, in die internationale Ketten drängen. Eine Entwicklung mit Risiken und Nebenwirkungen.
Schon lange warnen Tierarztverbände und -kammern vor einem Praxissterben. Die Zahl der niedergelassenen Tierärzte in Bayern ist in den vergangenen Jahren zwar einigermaßen konstant geblieben, wie Karl Eckart, Präsident der Bayerischen Landestierärztekammer, bestätigt. Trotzdem ist er besorgt. Denn: Auch Tierärzte spezialisieren sich immer mehr. Es gibt Augenärzte, Kardiologen und Onkologen. Deshalb bleibe die Anzahl der Praxen zwar konstant, es sinke aber die
Zahl der Allgemeinmediziner. Hinzu kommt: In Bayern gebe es vielleicht noch 40 Tierkliniken. Vor fünf Jahren waren es noch 61. Viele Inhaber geben ihre Lizenzen zurück. Einer der Gründe: Eine Klinik muss 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr besetzt sein. Diesen Notdienst schaffen die wenigsten, weil das Personal dafür fehlt. Für Tierärzte gelte – anders als für andere Ärzte – keine
Ausnahme im Arbeitszeitgesetz, sagt Eckart. Also geben die Klinik-Inhaber ihre Lizenzen zurück, arbeiten stattdessen als Großpraxen weiter – und bieten keinen Notdienst mehr an. Das hat direkte Folgen für Tierhalter: Denn wohin sollen sie sich wenden, wenn am Wochenende oder nachts etwas passiert? „Das ist ein ganz großes Problem – vor allem auf dem Land“, sagt Eckart.
Im Grund hat die Tiermedizin also das gleiche Problem, das in der Humanmedizin schon lange diskutiert wird: Kaum jemand will noch
Landarzt werden. Kliniken in der Peripherie lohnen sich nur bedingt. Ärzte, die in Ruhestand gehen wollen, finden keine Nachfolger.
Das nutzen immer öfter internationale Ketten. Sie machen den Betreibern von großen Praxen und Tierkliniken verlockende Angebote und kaufen sie auf. Das klingt erst einmal nicht schlecht, so entsteht zumindest keine Versorgungslücke. Der Ulmer Tierarzt Ralph Rückert, der sich in der Branche einen Namen als Mahner gemacht hat, fürchtet allerdings, dass dadurch Monopole geschaffen werden und die Betreiber dann die Preise nach oben treiben können, weil Tierbesitzer ja keine andere Wahl haben, als in die Filialen zu kommen.
Der Experte nennt zwei große Ketten: Anicura wurde in Schweden gegründet. 270 Tierkliniken betreibt das Unternehmen europaweit. Seit 2018 gehört es zum Süßigkeiten-Konzern Mars. Evidensia wiederum ist nach eigenen Angaben die führende Tiermedizin-Gruppe in Europa. Zu den Anteilseignern gehört unter anderem Nestlé. Die beiden Ketten wollen wachsen – auch in Deutschland. Ziel sei es, Synergien zu schaffen zwischen den jeweils eigenen Praxen. Davon sollen Tiere und Halter profitieren. Aufgrund ihrer Größe können die Ketten günstiger einkaufen. Ähnlich wie Aldi oder Lidl im Discounterbereich. Zwischen den einzelnen Praxen kann zudem Wissen ausgetauscht werden. Das soll die Behandlungen besser machen. So argumentieren die Unternehmen.
Rückert fürchtet, dass eher das Gegenteil passiert und die Ketten ihre Macht ausnutzen. Denn im Vergleich zu Schweden sei Deutschland ein tiermedizinisches Billigland. Rückert rechnet ein Beispiel vor: Hat ein Hund eine Magenverdrehung, muss er sofort operiert werden. Eine solche Not-Operation kostet 2500 Euro. „Das ist viel Geld. Aber in Schweden kostet die gleiche Operation 6000 bis 7000 Euro.“
Über kurz oder lang, da ist sich der Ulmer Tiermediziner sicher, werden die Ketten die Preise auch in Deutschland nach oben treiben. In zehn bis 15 Jahren, schätzt er, werden auch hier Ketten den Markt dominieren.
Auch Tiermediziner spezialisieren sich