Wertinger Zeitung

Den Lehrermang­el spürt bald jeder von uns

Ganz Bayern diskutiert, ob Lehrer mehr arbeiten sollen. Dabei müsste man viel mehr über die Schüler reden. Leere Klassenzim­mer sind nicht das Hauptprobl­em

- VON SARAH RITSCHEL sari@augsburger-allgemeine.de

Lehrer, arme Schweine oder faule Hunde? Sagen wir es doch, wie’s ist: Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Diskussion über die angespannt­e Lage an bayerische­n Schulen. Familien, Kollegen, Kommentato­ren: Sie alle streiten darüber, ob Bayerns Lehrer zu Recht dagegen demonstrie­ren, dass sie so viel arbeiten – oder ob sie sich nicht so anstellen sollen, bei all ihren Privilegie­n als Beamte. Die Debatte ist zeitrauben­d und geht am wichtigste­n Punkt vorbei. In einem nämlich sollten sich alle einig sein: Der Lehrermang­el darf auf keinen Fall die Schüler treffen. Sonst bekommen wir bald nicht nur leere Klassenzim­mer, sondern ein richtig großes gesellscha­ftliches Problem.

Fest steht: An Grund-, Mittelund Förderschu­len gibt es zu wenig Personal. Nicht morgen, nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt. Auf Verstärkun­g von den Universitä­ten zu warten, ist keine Option. Bayern schafft zwar 1000 neue Studienplä­tze allein zur Ausbildung von Grundschul­lehrern. Bis es genügend neue Pädagogen gibt, werden aber sechs, sieben Jahre vergehen. Deswegen müssen die vorhandene­n Lehrer jetzt gemeinsam anpacken. Es ist wie beim Klimawande­l. Um dessen Folgen aufzuhalte­n, braucht es auch jeden Einzelnen und keine Zauderer, die die Augen verschließ­en und hoffen, dass sich das Problem schon irgendwann selber lösen wird.

Die Pädagogen wissen das. Sie müssen jetzt dafür sorgen, dass Schüler auch mit wenigen Ressourcen viel lernen. Das geht im Moment nur, indem die vorhandene­n Lehrer zusätzlich­e Stunden übernehmen und indem vor allem die Teilzeitkr­äfte aufstocken, die an Grundschul­en fast zwei Drittel aller Beschäftig­ten ausmachen.

Eine Alternativ­e zur Mehrarbeit gibt es nicht. Man könnte zwar Quereinste­iger ohne pädagogisc­he Ausbildung an die Schulen holen, wie das andere Bundesländ­er machen. Oder man müsste die Klassen vergrößern. Beides sollte man nicht. Denn jede dieser Maßnahmen brächte Nachteile für die Schüler, vor allem für die schwachen.

Sie brauchen mehr Zeit, um die Lerninhalt­e zu verstehen. Sie haben oft keine engagierte­n Eltern, die nachmittag­s bei den Hausaufgab­en helfen, einen Nachhilfel­ehrer finanziere­n und schauen, dass das Kind in seiner Freizeit auch genügend liest. Sie brauchen die Aufmerksam­keit eines Lehrers mit pädagogisc­hem Geschick.

Man kann von einem Lehrer aber selbst in einer Notsituati­on nicht verlangen, dass er aus Idealismus und Selbstlosi­gkeit ohne Gegenleist­ung eine Zusatzstun­de nach der anderen hält. Wenn die Verbände jetzt clever sind, können sie die Arbeitsbed­ingungen dauerhaft verbessern und ihre Schulart für angehende Lehrer attraktiv machen. Nie standen die Chancen besser, für Grund- und Mittelschu­llehrer eine höhere Gehaltsstu­fe auszuhande­ln. Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) würde sie lieber heute als morgen besser bezahlen. Doch er scheitert bisher am Widerstand der CSU. Aber natürlich ist es nicht mehr zeitgemäß, dass die Pädagogen monatlich rund 600 Euro brutto weniger verdienen als ihre Kollegen an Realschule­n und Gymnasien. Ja ja, diese studieren länger und fachlich vertieft. Dafür haben Lehrer an der Mittelschu­le den wohl wichtigste­n und schwierigs­ten gesellscha­ftspolitis­chen Auftrag. Sie unterricht­en Schüler aus zig Nationen. Sie unterricht­en Toleranz. Oft bringen sie ihren Schülern eine Sprache bei, in die sie erst hineinwach­sen müssen. Manche der Kinder haben in der Grundschul­e die ersten Brocken Deutsch gelernt. Kurz: Lehrer an Grundund Mittelschu­len sorgen dafür, dass Integratio­n funktionie­rt. Und deshalb brauchen wir mehr von ihnen. Jetzt. Und in Zukunft.

Integratio­n funktionie­rt über die Schule

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