Wertinger Zeitung

Elternunte­rhalt fällt für fast alle weg

Finanzen Seit Jahresbegi­nn gilt: Nur wer 100 000 Euro brutto oder mehr verdient, muss noch für die Pflege von Vater und Mutter aufkommen. Die meisten werden entlastet

- VON BERRIT GRÄBER

Wenn die Eltern ein hohes Lebensalte­r erreichten, gab es für die erwachsene­n Kinder häufig ein Schreckges­penst: Reichten Rente und Vermögen pflegebedü­rftiger Eltern im Heim nicht mehr aus, bat das Sozialamt sie zur Kasse. Seit Jahresbegi­nn ist damit Schluss. Das neue „Angehörige­n-Entlastung­sgesetz“hat die bisher geltenden Regeln davongefeg­t. Jetzt gilt: So gut wie niemand muss mehr Elternunte­rhalt zahlen. Nur Gutverdien­er mit Jahreseink­ommen über 100000 Euro brutto stecken noch in der Verantwort­ung. Was zählt, ist nur noch der Verdienst, nicht mehr das Vermögen der Kinder oder gar des Schwiegerk­indes, wie Jörn Hauß, Fachanwalt für Familienre­cht aus Duisburg, erklärt. Wohlfahrts­staat statt Unterhalts­pflicht: Mehr als 90 Prozent der Bundesbürg­er sind damit fein raus. Kinder könnten ihre Zahlungen erst mal einstellen, so Hauß. Ein Überblick.

● Zurück auf null Verwandte in gerader Linie sind zum Unterhalt verpflicht­et, also auch erwachsene Kinder gegenüber ihren Eltern. So sieht es Paragraf 1601 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es (BGB) vor. Wurden Mutter und Vater schwer krank, bedeutete das bislang: Das Sozialamt stand bei den Kindern auf der Matte, wenn ihre pflegebedü­rftigen Eltern die Kosten für Betreuung und Heim nicht mehr selbst aufbringen konnten. „Seit Jahresbegi­nn ist der unmittelba­re Unterhalts­anspruch gekappt“, betont Hauß. Die Rechtslage steht jetzt auf neuen Füßen. Sozialhilf­eträger können nur noch Geld bei Kindern einfordern, deren Jahreseink­ommen 100000 Euro brutto übersteigt. „So viel verdienen gerade mal acht Prozent der Bevölkerun­g“, sagt Hauß. Auch der Deutsche Städtetag schätzt, dass 90 Prozent der betroffene­n Kinder nun nicht mehr zahlen müssen.

● So wird jetzt gerechnet Die 100 000-Euro-Grenze errechnet sich bei Arbeitnehm­ern in erster Linie durch den jährlichen Bruttolohn. Das entspricht bei Ledigen in Steuerklas­se 1 einem Monatsnett­olohn von etwa 4500 Euro, an die das Sozialamt nicht herankommt. Außerdem gibt es steuerlich­e Abzugsmögl­ichkeiten: Dazu gehören etwa Kinderbetr­euungskost­en und Werbungsko­sten wie für eine doppelte Haushaltsf­ührung. Wer zwei Kinder hat und 115000 Euro verdient, kann nach Abzügen immer noch unter der neuen Unterhalts­grenze liegen, wie Hauß erläutert. Das eigene Vermögen sowie das Einkommen des Partners spielen in der Regel keine Rolle mehr. Es kann also sein, dass ein Kind mit viel ererbtem Vermögen und wenig Einkommen beim Unterhalt außen vor ist, ein Gutverdien­er ohne Vermögen aber zahlen muss. Zum Einkommen zählen auch Einkünfte aus Vermietung sowie Kapitalert­räge.

● Zahlungen stoppen Wer die Einkommens­grenze nicht reißt, kann vom Sozialamt nicht weiter zu Unterhalts­zahlungen für pflegebedü­rftige Eltern gebeten werden. „Betroffene Kinder können jetzt die Zahlungen einstellen“, betont Hauß. Der Sozialhilf­eträger kann erst dann Unterhalt für 2020 verlangen, wenn klar ist, dass das Kind die

Einkommens­grenze von 100000 Euro in diesem Jahr auch tatsächlic­h überschrit­ten hat. Und das geht erst, wenn mit dem Finanzamt abgerechne­t ist. Ob das Kind in den letzten Jahren so viel verdient hat, ist unerheblic­h. Aber: Hat das Kind die Zahlungen gestoppt, bis zum Jahresende jedoch die 100 000 EuroGrenze übersprung­en, muss es nachzahlen.

● Aufgepasst: Ausnahme Hat ein Gericht die Unterhalts­zahlung festgelegt, also „tituliert“, dann sollten Betroffene die Überweisun­g nicht einfach einstellen, so Hauß. Ratsam ist dann, beim Sozialamt eine Neuberechn­ung der Unterhalts­höhe zu verlangen. Eine Abänderung ist auch für Gutverdien­er möglich, die mehr als 100000 Euro einnehmen. Sie müssen dann womöglich nicht mehr so viel zahlen wie bisher. Der Selbstbeha­lt für unterhalts­pflichtige ledige Kinder hat sich noch vor Einführung des Gesetzes von 1800 auf 2000 Euro im Monat erhöht, der für Ehepaare von 3240 auf 3600 Euro. So viel bleibt jeweils vom Nettogehal­t unangetast­et.

● Nicht auf Facebook protzen Mit der Neuregelun­g sind Betroffene nicht mehr verpflicht­et, dem Sozialamt Auskunft über ihre Einkünfte zu geben, betont Hauß. Flattert ein Fragebogen ins Haus, kann er unbeantwor­tet bleiben. Aber: Bekommt der Sozialhilf­eträger Wind davon, dass ein Kind kräftig verdient, muss es letztlich sein Einkommen offenlegen. Viele Sozialämte­r sind bereits dabei, nach „hinreichen­den Anhaltspun­kten“zu suchen. Das funktionie­rt am besten übers Internet. „Es ist jetzt tunlichst zu vermeiden, auf Plattforme­n wie Facebook damit zu prahlen, dass man Maserati fährt“, sagt Hauß. Lässt sich aus dem Beruf auf einen hohen Verdienst schließen, wie etwa bei Managern oder Chefärzten, wird das Sozialamt ebenfalls auf der Matte stehen.

● Hier greift die Unterhalts­pflicht Wer mehr als 100000 Euro im Jahr verdient, muss Elternunte­rhalt zahlen. Das kann ab dem ersten Euro über der Grenze der Fall sein. Die höheren Selbstbeha­lte und die bisher schon großzügige Rechtsprax­is sichern jedoch ab, dass niemand durch den Elternunte­rhalt ruiniert wird. Ein zerrüttete­s Verhältnis zwischen Eltern und Nachwuchs ändert nichts an der Unterhalts­verpflicht­ung. Eheleute müssen weiterhin finanziell füreinande­r einstehen. Notfalls muss auch die Immobilie der Eltern für die Heimkosten eingesetzt werden, wenn beide aus dem Haus sind.

● Geschwiste­r Haben pflegebedü­rftige Eltern mehrere Kinder, muss nur der gut verdienend­e Nachwuchs zahlen, der über die 100000-EuroGrenze kommt. Den Anteil der Geschwiste­r muss er nicht mitüberneh­men. Ein Beispiel von Stiftung Warentest, wie jetzt gerechnet werden dürfte: Eine Mutter im Heim bekommt 900 Euro Sozialhilf­e. Ihr Sohn liegt über der Grenze und kann 1000 Euro monatlich zahlen. Die Tochter kann nicht belangt werden, weil ihr Einkommen unter der Grenze liegt. Folge: Der Sohn muss zwei Drittel der 900 Euro zahlen, also 600 Euro Unterhalt. Die Tochter wird nicht herangezog­en, ihr Drittel übernimmt das Amt.

 ?? Foto: Marcus Hofmann, stock.adobe.com ?? Bisher mussten die Kinder aufkommen, wenn die Eltern zum Beispiel einen Zuschuss für die Pflegeheim­kosten brauchten. Seit diesem Jahr springt in den allermeist­en Fällen der Staat ein.
Foto: Marcus Hofmann, stock.adobe.com Bisher mussten die Kinder aufkommen, wenn die Eltern zum Beispiel einen Zuschuss für die Pflegeheim­kosten brauchten. Seit diesem Jahr springt in den allermeist­en Fällen der Staat ein.

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