Jazz auf der Grenze zum Hit-Potpourri
Ingolstadt Dominic Miller im Audi Forum
Ingolstadt Jeder kennt ihn und hat doch ständig das falsche Gesicht vor Augen: das eines gut aussehenden, blonden Engländers in den besten Mannesjahren. Mit dem Namen Dominic Miller können nur ganz wenige Sting-Fans etwas anfangen, doch bei seinen fein ziselierten, traurigen Gitarren-Tupfern in zeitlosen Songs wie „Fragile“beginnen noch heute Musikfreunde rund um den Globus zu träumen. Auch im Audi Forum Ingolstadt, wo der längst von den Fesseln des Sidemans befreite Miller seine Visitenkarte als eigenständiger Künstler abgab: einen angenehmen Kontrast zum lauten, schrillen Weiberfasching, einen Abend der leisen Töne, über weite Strecken nachdenklich, filigran und voller introspektiver Momente.
Wenn Miller – inzwischen fast 60 und nach abgeschlossener Rekonvaleszenz wieder bei besten Kräften – mit seiner Band um den BandoneonVirtuosen Santiago Arias, den Keyboarder Mike Lindup, den Perkussionisten Rhani Krija und den aktuellen Sting-Bassisten Nicolas Fiszman seinen arpeggierenden Fantasien freien Lauf lässt, dann wirkt dies wie ein Ideenwettbewerb um die passenden Töne an der richtigen Stelle. „Absinthe“, der Titelsong seines aktuellen Jazzalbums, wirkt bescheiden und erhaben zugleich. Wobei Jazz auch für den Argentinier ein recht dehnbarer Begriff ist, obwohl er zwei gefeierte Alben beim EdelLabel ECM veröffentlichte. Miller geht es mit seiner Konzertgitarre vor allem um Klang, dessen Echo und die resultierende Wirkung.
Vor allem auf Letzteres legt Dominic Miller in Ingolstadt gesteigerten Wert. Das Recht der Selbstkopie, zum Beispiel mit „Shape Of My
Heart“, sei großen Künstlern ja durchaus zugestanden. Auch wie das Quintett dann dezent in eine andere bekannte Akkordfolge abgleitet, nämlich „A Day In Life“von den Beatles, das hat Klasse und unterstreicht Millers instrumentale Ausnahmestellung. Dass daraus jedoch unvermittelt in der zweiten Konzerthälfte ein Hit-Potpourri mit Jukebox-Charakter erwächst, freut zwar einen Teil des Publikums im ausverkauften Audi Forum. Aber die schlimme Version von Neil Youngs „Heart Of Gold“, offenkundig wegen des Gitarrenriffs ausgewählt, degradiert das eigentlich feine Ensemble zu einer billigen Coverband.
Der seltsamen Auswüchse nicht genug: Als Zugabe gab es „Stayin’ Alive“von den Bee Gees zum Fremdschämen, was in Kombination mit dem finalen, zugegebenermaßen bezaubernden „Fragile“zu stehenden Ovationen führte. Ein Abend der musikalischen Wechselbäder. Ein Abend der Erkenntnis, dass auch die Freiheit des Jazz durchaus ihre Grenzen besitzt.