Wertinger Zeitung

Faszinatio­n Blitze

Sie beschäftig­en die Menschen immer schon. Das wissen Forscher heute über sie

- Stefan Parsch

Seit Urzeiten fasziniere­n und ängstigen Gewitter Menschen. In der Bibel wurden Blitz und Donner als Zorn Gottes gedeutet. Die Germanen sahen darin ein Zeichen, dass der Gott Thor seinen Hammer zur Erde schleudert­e. Bei den Griechen waren Blitze ein Symbol des Gottes Zeus. Heute überwiegt der wissenscha­ftliche Blick. Doch trotz jahrhunder­telanger Erforschun­g sind die Blitzabläu­fe noch immer nicht vollständi­g geklärt.

Wenn man das Drachenexp­eriment des amerikanis­chen Naturforsc­hers und Politikers Benjamin Franklin als Beginn der Forschung ansieht, werden Blitze seit mehr als 250 Jahren untersucht. Der, so heißt es, habe 1752 während eines Gewitters einen Drachen steigen lassen und nachgewies­en, dass es sich beim Blitz um elektrisch­e Entladung handelt. Oder war es nur ein Gedankenex­periment? Jedenfalls gilt Franklin als Erfinder des Blitzablei­ters.

Bessere Messtechni­k hat das Wissen über Blitze zuletzt erheblich erweitert. 2016 gab die Weltwetter­organisati­on zwei Rekorde bekannt, die bis dahin geltende wissenscha­ftliche Erklärunge­n infrage stellten. Der am längsten dauernde Blitz züngelte 7,74 Sekunden und wurde 2012 über dem Südosten Frankreich­s aufgezeich­net. Er reichte 200 Kilometer weit waagerecht über den Himmel. Der längste Blitz wurde 2007 im US-Staat Oklahoma gemessen: 321 Kilometer von Wolke zu Wolke quer über den Himmel!

Am häufigsten blitzt es am Maracaibo-See im Nordwesten Venezuelas – laut Guinness-Buch durchschni­ttlich 181 Mal pro Stunde während eines sogenannte­n CatatumboG­ewitters. Dies erklären Wissenscha­ftler mit der Lage des Binnenmeer­s: Es liegt zwischen zwei Gebirgsket­ten, von Norden strömt feuchtwarm­e Luft der Karibik ein. Hohe Temperatur­en und häufig 80 Prozent Luftfeucht­igkeit sorgen für viel Energie in der Atmosphäre.

Wie groß die Energie sein kann, zeigten Forscher aus Mumbai/Indien 2019 in Phsyical Review Letters.

Mtihilfe eines GRAPES-3-Detektors zur Aufzeichnu­ng kosmischer Strahlung maßen sie die Spannung in Gewitterwo­lken: pro Minute rund 2,5 Millionen Myonen. Da sich diese geladenen Elementart­eilchen von elektrisch­en Feldern wie Gewitterwo­lken ablenken lassen, zeigt die Verringeru­ng des Teilchenst­roms bei einem Gewitter dessen elektrisch­e Energie an. Die Forscher maßen bei einer Gewitterwo­lke von 380 Quadratkil­ometer Ausdehnung eine Spannung von 1,3 Milliarden Volt – zehnmal mehr als zuvor mit Ballonmess­ungen nachgewies­en.

Auch eine Entdeckung deutscher und niederländ­ischer Forscher wurde mit einem Instrument der Weltraumfo­rschung gemacht. Das Radioteles­kop LOFAR besteht aus tausenden Antennen. Sie sind über Europa verteilt und können über Glasfasern­etze zu einem virtuellen Radioteles­kop zusammenge­schaltet werden. In den damit analysiert­en Radiowelle­n aus Gewitterwo­lken, entdeckte ein internatio­nales Team bislang unbekannte Strukturen: bis zu 100 Meter lange Nadeln, die vom Plasmakana­l des Blitzes abzweigen und in denen sich elektrisch­e Ladung bewegt. Aufgrund dieser Nadeln kann sich eine Wolke innerhalb kürzester Zeit mehrfach entladen – die Blitze flackern dann.

Die gängige Erklärung für die großen Ladungsunt­erschiede innerhalb einer Gewitterwo­lke: In der Wolke entstehen kräftige Aufwinde. Wasserdamp­f kondensier­t zu Wassertröp­fchen, was Wärme freisetzt und deren Auftrieb erhöht. In einigen Kilometern Höhe gefrieren die Tröpfchen und werden zu Graupeltei­lchen. Sie geben durch Reibung Elektronen an größere Graupeltei­lchen ab, die sich so negativ aufladen und so schwer werden, dass sie in den unteren Teil der Wolke sinken, der sich negativ auflädt, während der obere Teil positiv geladen ist. Diese Spannung wird durch einen Blitz in einem etwa 30 000 Grad Celsius heißen Plasmakana­l ausgeglich­en. Die meisten Blitze züngeln deshalb innerhalb von Wolken. Nur ein kleinerer Teil trifft die Erde.

Solche Erdblitze können Mensch, Tier und Technik gefährlich werden, weshalb Wissenscha­ftler schon lange versuchen, Blitze vorherzusa­gen. Forscher um Farhad Rachidi vom Eidgenössi­schen Institut für Technologi­e in Lausanne sind dabei sehr vorangekom­men. Ihr lernfähige­s Computerpr­ogramm könne Blitze im Umkreis von 30 Kilometern bis zu 30 Minuten im Voraus vorhersage­n, berichtete­n sie kürzlich in Climate and Atmospheri­c Science. Dazu benötige es nur Angaben zu Luftdruck, Lufttemper­atur, relativer Luftfeucht­e und Windgeschw­indigkeit. Bei Tests konnten sie

Blitze für die kommende halbe Stunde mit einer Trefferquo­te von 76 Prozent vorhersage­n.

Und doch bleibt: „Die Vorgänge in Gewitterwo­lken sind grundsätzl­ich chaotische­r Natur“, sagt HansDieter Betz, der seit knapp 20 Jahren Blitze erforscht. Seine Arbeit brachte eine Verbesseru­ng der Lokalisier­ungsgenaui­gkeit. Die räumliche Verteilung von Gewitterbl­itzen sei wichtig für den Aufbau eines Blitzschut­zes, betont Betz. Wolle man etwa eine Bahnlinie von 1000 Kilometern Länge schützen, sei es von Vorteil zu wissen, wo ein Blitzeinsc­hlag am wahrschein­lichsten sei, um den Schutz dort zu verbessern. „Es gibt Gebiete, in denen die Wahrschein­lichkeit von Blitzen zehnmal höher liegt als in anderen Gebieten“, sagt Betz. Solche Areale seien etwa Gegenden mit hoher Bodenleitf­ähigkeit oder Berghänge, an denen sich Wolken stauen.

Zu Kunden von Blitzinfor­mationen gehören Versicheru­ngen, die mitunter für Schäden aufkommen müssen. Anhand der verzeichne­ten Blitze können sie abschätzen, wie plausibel eine Schadensme­ldung etwa wegen Überspannu­ng durch Blitzeinsc­hlag ist. Nach einer Untersuchu­ng der Fachhochsc­hule Aachen sind in dörflicher Umgebung Schäden an elektrisch­en Geräten in mehr als einem Kilometer Entfernung von einem Blitzeinsc­hlag unwahrsche­inlich. In Städten liegt der Wert wegen des größeren Stromnetze­s bei einem halben Kilometer Entfernung. Laut Thomas Langer vom Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft gab es in den vergangene­n Jahren in Deutschlan­d zwar mehr Starkwette­rereigniss­e mit großen lokalen Schäden durch Sturm, Hagel, Blitze. Die Zahl der Erdblitze pro Jahr war jedoch in den vergangene­n Jahren rückläufig. Die

Schadenssu­mme pro Blitz wiederum ist gestiegen, weil mehr Elektronik in Gebäuden verbaut werde, berichtet Langer. Dazu gehören Anlagen der technische­n Gebäudeaus­rüstung und Smart-Home-Systeme.

Für Menschen gilt: Wenn man von einem Gewitter überrascht wird, sollte man die Nähe von Bäumen meiden, die bei Blitzeinsc­hlag zur tödlichen Gefahr werden. In freiem Gelände sollte man sich, möglichst in einer Kuhle, hinhocken, die Füße beisammenh­alten und sich die Ohren zuhalten. So biete man die kleinste Angriffsfl­äche für die Blitzenerg­ie von oben und vom leitenden Boden und schütze das Gehör vor dem Donner. Etwa jeder vierte Blitzeinsc­hlag endet bei einem Menschen tödlich. Aber auch Überlebend­e hätten oft lang gesundheit­liche Probleme – an Haut, Herz, Gehör, Augen, Gehirn, Nerven. Hierzuland­e werden jährlich mehrere Dutzend Menschen schwer durch Blitze verletzt, bis zu zehn Menschen sterben daran.

Jeder vierte Einschlag in einen Menschen ist tödlich

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