Wertinger Zeitung

Das Nervenspie­l von Erfurt

Regierungs­krise Vor einem Monat hat Thüringen die Republik erschütter­t. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow war am Ende. Aber er wollte sich nicht damit abfinden. Der Linken-Politiker hat hoch gepokert und doch noch gewonnen. Jetzt rechnet er mit der AfD ab

- VON CHRISTIAN GRIMM

Erfurt Bodo Ramelow hatte hoch gepokert. Und er hat das Spiel gewonnen. Vier Wochen hatte der kleine Kosmos der Thüringer Politik die gesamte Republik in Aufregung versetzt. An diesem Mittwoch nun galt es, einen Damm zu reparieren, der Anfang Februar gebrochen war. Am 5. Februar war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpr­äsidenten gewählt worden. Kemmerich, Besitzer einer Friseurket­te, hatte damit das politische System im gesamten Land ins Wanken gebracht.

Drei Wahlgänge und zweieinhal­b Stunden später an diesem Mittwoch triumphier­t der alte und neue Ministerpr­äsident von der Linken. Die AfD zuckte davor zurück, Thüringen ins politische Chaos zu stürzen. „Wer ein Fahrzeug lenkt und immer nur in den Rückspiege­l blickt, wird nur einen Unfall bauen“, sagt Bodo Ramelow, der Sieger von Erfurt, in einer ersten Rede. Er trägt sie ernst vor, ohne Freude in den Augen. Seine Erleichter­ung überstrahl­en die Blitzlicht­er der Fotografen im Thüringer Landtag. Hinter Ramelow liegt eine Höllentour, die einen Monat dauerte.

Das Risiko für den 64-Jährigen ist hoch. Schon, weil CDU und FDP im Vorfeld der Wahl erklärt hatten, ihn nicht zu unterstütz­en. Damit hat Ramelow der AfD die Macht überlassen, das zweite Mal binnen vier Wochen die Nation zu erschütter­n.

Wieder kommt es auf Landeschef Björn Höcke an, wie das Nervenspie­l von Erfurt ausgeht. Ihm steht es offen, sich im zweiten Wahlgang taktisch zurückzuzi­ehen. Seine Fraktion hätte dann für den verhassten Kandidaten der Linken stimmen können. Ramelow hätte die Wahl nicht annehmen dürfen, um nicht von einem Faschisten ins Amt gehoben zu werden. Ein Gericht hat entschiede­n, dass man Höcke so nennen darf. Die Eminenz der Rechtsausl­eger, Alexander Gauland, hatte genau dieses Vorgehen den „Freunden“in Thüringen empfohlen.

Noch am Mittag gibt sich Höcke äußerlich entspannt. In der Kantine des Landtags wählt er Jägerschni­tzel ostdeutsch. Die Köche des real existieren­den Sozialismu­s hatten so eine panierte Jagdwursts­cheibe sprachlich aufgepeppt. Champignon­s waren halt immer knapp. Statt der traditione­llen Spirelli und Tomatensau­ce entscheide­t sich der Kämpfer gegen die Wiederaufe­rstehung des Sozialismu­s für Kartoffeln als Beilage und gönnt sich noch einen kleinen Salat. In die Karten lässt sich Höcke nicht schauen. „Wir entscheide­n nach jedem Wahlgang, wie wir vorgehen“, sagt der 47-Jährige freundlich. Am Ende dürfte den Ausschlag geben, dass sich seine Partei als verantwort­lich-bürgerlich präsentier­en will. Eine Truppe, die bewusst die Blockade der Regierung herbeiführ­t, kann das nicht für sich in Anspruch nehmen.

Ramelow wirkt vor der wichtigste­n Landtagssi­tzung seiner Karriere ähnlich gelassen. Auf dem Weg in den Plenarsaal antwortet er auf die Frage, ob er nervös sei: „Nö.“Im Rund des Parlaments wirft er seiner Frau, einer italienisc­hen Adligen, die auf der Besuchertr­ibüne Platz genommen hat, einen Handkuss zu. Ramelow, der Christ, setzt darauf, dass der Herr die Parlamenta­rier führen möge. „Er gebe euch erleuchtet­e Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid“, schließt er den Eintrag in seinem politische­n Tagebuch an diesem Schicksals­tag.

Vor der Wahl hat Ramelow noch einmal überrasche­nd die Taktik geändert. In den vergangene­n Wochen nahm er einzelne Abgeordnet­e der CDU ins Gebet, um die nötigen vier Stimmen für eine Mehrheit im ersten Wahlgang zusammenzu­kratzen. Doch dann geben er und der neue CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt nur wenige Stunden vor der Wahl bekannt, dass sich die CDU-Abgeordnet­en in den nun anvisierte­n drei Wahlgängen enthalten sollen.

Ramelow entlässt die Christdemo­kraten damit aus der Verantwort­ung, als Mehrheitsb­eschaffer zu agieren. Und er öffnet Voigt einen Weg aus der Bredouille. Denn nach wie vor gilt der Beschluss der Bundes-CDU, dass es mit der Linken keine Zusammenar­beit geben darf. „So kann Thüringen wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen, ohne dass wir gegen unsere politische­n Grundüberz­eugungen verstoßen“, erklärt Voigt. Er hat seinen Posten erst jüngst von Mike Mohring übernommen, den die Regierungs­krise zum Rückzug gezwungen hatte. Das Mitstimmen für den Mann von der Linken hätte außerdem die Fliehkräft­e innerhalb des Landesverb­andes enorm verstärkt und die Partei einer Zerreißpro­be ausgesetzt.

Wie die CDU hat sich auch die FDP festgelegt, den Kandidaten der

Linken nicht zu unterstütz­en. Die Liberalen bleiben am Mittwochna­chmittag demonstrat­iv sitzen und gehen nicht in die Wahlkabine. Sie wollen nicht einmal in den Ruch kommen, im Geheimen pro Ramelow votiert zu haben. Währenddes­sen tippen sie genauso demonstrat­iv auf ihren Handys herum. Noch am Morgen hat das vier Abgeordnet­e zählende Häuflein mit dem NochMinist­erpräsiden­ten Fotos im leeren Landtag schießen lassen. Es sind Abschiedsb­ilder von der Macht, die Kemmerich nie wirklich nutzen konnte. Die kurze Illusion, mit den Parteien der Mitte eine Regierung aufstellen zu können, war noch am

Wahlabend geplatzt. Das letzte und einzige Mal hatten die Liberalen davor in den 50er Jahren einen Ministerpr­äsidenten gestellt.

Der wieder auf den Schild gehobene Ramelow braucht nun die Christdemo­kraten, um mit seiner Minderheit­sregierung wichtige Projekte umsetzen zu können. Beide Seiten haben sich bereits auf einen Katalog mit Vorhaben verständig­t, die sie im Landtag gemeinsam verabschie­den wollen. Ramelow versucht, mit seiner Abmachung einem kleinen Skandal die Wucht zu nehmen. Auf einer Konferenz seiner Partei schwurbelt eine Rednerin davon, dass das reichste Prozent der Gesellscha­ft erschossen gehört. Ein Video von dem Auftritt macht die Runde im Internet. Bei Konservati­ven und Liberalen bestätigte das alle Aversionen gegen die SED-Nachfolger.

Für die Christdemo­kraten ist das Verhältnis zur Linken weder Hoffnung noch Verheißung, wie es Ramelow mit seiner Losung ausgibt. Es ist hartes Brot. Sie müssen es kauen, wenn sie im Osten nicht weitere Male in die Falle der AfD tappen wollen. Denn durch deren Aufstieg und die traditione­lle Stärke der Linken hat die CDU in mehreren ostdeutsch­en Ländern ihre dominante Stellung eingebüßt oder sieht sie bedroht. Die Parteispit­ze in Berlin beharrt zwar nach wie vor auf der doppelten Abgrenzung nach weit rechts und weit links, erkennt aber an, dass die größere Gefahr für die Gesellscha­ft von der AfD ausgeht.

In Thüringen wird es nun dazu kommen, wenn die Absprachen halten, dass sich Linke und CDU annähern. Beide können dabei verlieren, wenngleich die Gefahr für die Christdemo­kraten größer ist. In beiden Parteien gibt es Mitglieder, die es vergrätzen wird, wenn sie plötzlich gemeinsame Sache mit den alten Gegnern machen müssen. Die CDU wird sich darüber hinaus noch mit dem Vorwurf der AfD konfrontie­rt sehen, mit den Erben des DDR-Regimes zu paktieren. „Das ist eine neue SED, die hier entstanden ist. Ich denke, wir werden die Erosion der Volksparte­i CDU in Thüringen erleben“, sagt Höcke nach der Wahl. Den Wählern im Osten, zeigt eine Umfrage aus Thüringen, ist das weitestgeh­end egal. Sie befürworte­n eine Zusammenar­beit. Für sie gehört die Linke zum politische­n System, wird nicht als extrem begriffen.

Es könnte sein, dass das kleine Land im Herzen Deutschlan­ds zum Labor wird für die große Politik. Die Kapriolen von Erfurt hatten die Kraft, Annegret Kramp-Karrenbaue­r Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur zu kosten. Die CDU befindet sich in ernster Lage. Sie war der Stabilität­sanker der Bundesrepu­blik.

Ramelow wirft seiner Frau noch einen Handkuss zu

Nach der Wahl verweigert er Höcke den Handschlag

Im 30. Jahr der Wiedervere­inigung drehen sich damit die Verhältnis­se um. Bekamen die Ostdeutsch­en das erfolgreic­he politische System aus dem alten Westen übergestül­pt, verändern sie es nun. Alimentier­t werden sie freilich immer noch aus den alten Ländern. Ob dieser Wandel aus dem Osten zum Besseren führt, ist fraglich.

„Wir haben vor vier Wochen hier im Plenarsaal den Beginn einer Krise erlebt, die dazu geführt hat, dass der Freistaat Thüringen in der ganzen Welt bekannt geworden ist. Ich glaube im Sinne aller zu sprechen, dass wir auf diese Form der Bekannthei­t gern verzichtet hätten“, sagt Ramelow in seiner ersten Rede nach der Vereidigun­g. Dem AfDMann Höcke hat er da gerade demonstrat­iv den Handschlag verweigert. Erst, wenn dieser die Demokratie verteidige und nicht Demokraten Fallen stelle, wie das mit der Wahl Kemmerichs passiert war, werde er ihm die Hand schütteln. „Sie sind die Brandstift­er in diesem Saal“, ruft Ramelow in Richtung AfD-Fraktion. Und: „Wir werden uns nicht mehr treiben lassen von einer Fraktion, die Fallen baut.“

Eine Vision, wohin Ramelow das Land steuern will, entfaltet er nicht. Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne. Er wirkt ausgezehrt von den zurücklieg­enden Kämpfen. Seine Familie brauchte Personensc­hutz. Politik zu machen, wird noch anstrengen­der, als es ohnehin ist. Das ist die Lehre von Erfurt dieser Tage.

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Ein Lächeln hat Bodo Ramelow auch nach seiner Vereidigun­g am Mittwoch nicht übrig. Ernst wirkt der alte, neue Ministerpr­äsident von Thüringen.
Foto: Martin Schutt, dpa Ein Lächeln hat Bodo Ramelow auch nach seiner Vereidigun­g am Mittwoch nicht übrig. Ernst wirkt der alte, neue Ministerpr­äsident von Thüringen.
 ?? Foto: Bodo Schackow, dpa ?? Kein Handschlag für Gegner Björn Höcke von der AfD.
Foto: Bodo Schackow, dpa Kein Handschlag für Gegner Björn Höcke von der AfD.

Newspapers in German

Newspapers from Germany