Verbündete wider Willen
Nahost Heute treffen sich Putin und Erdogan, um über ihr Vorgehen in Syrien zu sprechen. Das Verhältnis der beiden Präsidenten ist fragil – und doch werden sie sich wohl wieder einigen
Moskau Es war Ende 2015, kurz nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch eine türkische Rakete an der Grenze zu Syrien, als Moskau zürnte. Im Kreml sprach man von einem „Stich in den Rücken“und bezeichnete die Türkei als „terroristische Komplizen“. Doch das abgekühlte Verhältnis der beiden Länder stabilisierte sich schnell wieder. So spazierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Sonnenbrille und Eis in der Hand im August vergangenen Jahres über die Luft- und Raumfahrtmesse nahe Moskau und ließ sich dabei von dem ebenfalls gut gelaunten russischen Präsidenten Wladimir Putin über den noch in der Entwicklung steckenden Tarnkappen-Kampfjet SU-57 informieren. „Mein lieber Freund“wählten die beiden jeweils als Anrede. Von Groll keine Spur. Mit einer äußerst biegsamen Diplomatie ist es beiden immer wieder gelungen, ihre Konflikte zu entschärfen. Die Kämpfe um die letzte Rebellenhochburg Idlib in Syrien aber zeigen nochmals deutlich, wie fragil das Bündnis Moskau-Ankara ist. Grund ist die direkte Konfrontation zwischen türkischen Truppen und der Armee des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.
An diesem dünnen Band wollen die unfreiwillig Verbündeten weiterhin halten, wenn Erdogan am Donnerstag zu Gesprächen in Moskau eintrifft. Russland strebt zwar keine direkte militärische Konfrontation mit der Türkei an. Seine Unterstützung für den syrischen Machthaber Baschar al-Assad will der Kreml allerdings auch nicht aufgeben, weil das seine Position als Ordnungsmacht in der Region zunichtemachen würde.
Seit Jahren arbeitet der KremlChef beharrlich und aus seiner Sicht erfolgreich daran, seine Interessen in Syrien durchzusetzen. Von Anfang an verfolgte er mit dem Militäreinsatz in Syrien das Ziel, die Regierung an der Macht zu halten. Es geht dabei vor allem um Einfluss. Egal, was dort geschieht – Moskau will entscheiden. Syrien hat eine enorme Symbolkraft für Russlands Streben nach Weltmacht-Status. Ein Rückzieher würde das Eingeständnis eigener Fehler Putins, seines Außenministers Sergej Lawrow und des Verteidigungsministers Sergej Schojgu voraussetzen. Solch ein Eingeständnis liegt im Bereich des Unvorstellbaren. Für Leonid Issajew
von der Moskauer Higher School of Economics ist sein Land so „eine Geisel des syrischen Konflikts“. Eine Strategie, wie Russland da herauskomme, sei nicht ersichtlich, zumal die Probleme, die zum Krieg geführt hätten, nicht gelöst seien. „Die Situation mit Assad als Sieger ist eine tickende Zeitbombe“, sagte der Wissenschaftler in einem Interview bei Radio Swoboda.
Moskau ist seit Monaten unzufrieden mit der Türkei und wirft Ankara vor, sich nicht an die Abmachungen von Sotschi, die beide Länder sich im September 2018 abgerungen haben, zu halten. Es war eine vage Vereinbarung mit unklaren Formulierungen. Beide hatten sich damals darauf verständigt, Terroristen zu bekämpfen, ohne zu präzisieren, wen sie damit meinten.
Moskau verfolgt in Idlib eine kalte Logik: Die Türken und die Syrer verlieren in der Provinz derzeit Soldaten und Zivilisten, Russland verliert nichts. Wahr ist aber auch: Die russisch-türkischen Interessen, sowohl wirtschaftlicher als auch militärischer Natur, wiegen weitaus schwerer als die russisch-syrischen. Viele russische Beobachter gehen daher von einer Einigung der beiden mächtigen Männer aus. Es dürfte auch diesmal ein anfälliger Kompromiss sein und ein reiner Zeitgewinn für die an sich uneinigen Parteien.