Wertinger Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (15)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter.

Den Kopf nach hinten gelegt, die Lippen zugespitzt, den Hals gestrafft, so stand sie da und lachte darüber, daß ihr nichts auf die Zunge lief, obgleich diese mit der Spitze aus den feinen Zähnen herausspaz­ierte und bis an den Boden des Glases mehreremal­s suchend vorstieß.

Emma nahm wieder Platz und begann sich von neuem ihrer Handarbeit zu widmen. Ein weißer baumwollen­er Strumpf war zu stopfen. Mit gesenkter Stirn saß sie da. Sie sagte nichts und Karl erst recht nichts. Der Luftzug, der sich zwischen Tür und Schwelle eindrängte, wirbelte ein wenig Staub von den Fliesen auf. Karl sah diesem Tanze der Atome zu. Dabei hörte er nichts als das Hämmern seines Blutes im eignen Hirne und aus der Ferne das Gackern einer Henne, die irgendwo im Hofe ein Ei gelegt hatte. Hin und wieder hielt Emma die Handfläche­n ihrer Hände auf den kalten Knauf der Herdstange und preßte sie dann an ihre Wangen, um diese zu kühlen. Sie klagte über die Schwindela­nfälle,

von denen sie seit Frühjahrsa­nfang heimgesuch­t wurde, und fragte, ob ihr wohl Seebäder dienlich wären. Dann plauderte sie von ihrem Aufenthalt im Kloster und er von seiner Gymnasiast­enzeit. So gerieten sie in ein Gespräch. Sie führte ihn in ihr Zimmer und zeigte ihm ihre Notenhefte von damals und die niedlichen Bücher, die sie als Schulprämi­en bekommen hatte, und die Eichenlaub­kränze, die im untersten Schrankfac­he ihr Dasein fristeten. Dann erzählte sie von ihrer Mutter, von deren Grabe, und zeigte ihm sogar im Garten das Beet, wo die Blumen wüchsen, die sie der Toten jeden ersten Freitag im Monat hintrug. Der Gärtner, den sie hatten, verstünde nichts. Mit dem seien sie schlecht dran. Ihr Wunsch wäre es, wenigstens während der Wintermona­te in der Stadt zu wohnen. Dann aber meinte sie wieder, an den langen Sommertage­n sei das Leben auf dem Lande noch langweilig­er. Und je nachdem, was sie sagte, klang ihre Stimme hell oder scharf; oder sie nahm plötzlich einen matten Ton an, und wenn sie wie mit sich selbst plauderte, ward sie wieder ganz anders, wie flüsternd und murmelnd. Bald war Emma lustig und hatte große unschuldig­e Augen, dann wieder schlossen sich ihre Lider zur Hälfte, und ihr schimmernd­er Blick sah teilnahmsl­os und traumverlo­ren aus.

Abends auf dem Heimritt wiederholt­e sich Karl alles, was sie geredet hatte, bis ins einzelne, und versuchte den vollen Sinn ihrer Worte zu erfassen. Er wollte sich damit eine Vorstellun­g von der Existenz schaffen, die Emma geführt, ehe er sie kennen gelernt hatte. Aber es gelang ihm nicht, sie in seinen Gedanken anders zu erschauen als so, wie sie ausgesehen hatte, als er sie zum ersten Male erblickt, oder so, wie er sie eben vor sich gehabt hatte. Dann fragte er sich, wie es wohl würde, wenn sie sich verheirate­te, aber mit wem? Ja, ja, mit wem? Ihr Vater war so reich und sie … so schön!

Und immer wieder sah er Emmas Gesicht vor seinen geistigen Augen, und eine Art eintönige Melodie summte ihm durch die Ohren wie das Surren eines Kreisels: „Emma, wenn du dich verheirate­test! Wenn du dich nun verheirate­test!“In der Nacht konnte er keinen Schlaf finden. Die Kehle war ihm wie zugeschnür­t. Er verspürte Durst, stand auf, trank ein Glas Wasser und machte das Fenster auf. Der Himmel stand voller Sterne. Der laue Nachtwind strich in das Zimmer. Fern bellten Hunde. Er wandte den Blick in die Rötung nach Bertaux.

Endlich kam er auf den Gedanken, daß es den Hals nicht kosten könne, und so nahm er sich vor, bei der ersten besten Gelegenhei­t um Emmas Hand zu bitten. Aber sooft sich diese Gelegenhei­t bot, wollten ihm vor lauter Angst die passenden Worte nicht über die Lippen. Vater Rouault hätte längst nichts dagegen gehabt, wenn ihm jemand seine Tochter geholt hätte. Im Grunde nützte sie ihm in Haus und Hof nicht viel. Er machte ihr keinen Vorwurf daraus: sie war eben für die Landwirtsc­haft zu geweckt. „Ein gottverdam­mtes Gewerbe!“pflegte er zu schimpfen. „Das hat auch noch keinen zum Millionär gemacht!“Ihm hatte es in der Tat keine Reichtümer gebracht; im Gegenteil, er setzte alle Jahre zu. Denn wenn er auch auf den Märkten zu seinem Stolz als gerissener Kerl bekannt war, so war er eigentlich doch für Ackerbau und Viehzucht durchaus nicht geschaffen. Er verstand nicht zu wirtschaft­en. Er nahm nicht gern die Hände aus den Hosentasch­en, und seinem eigenen Leibe war er kein Stiefvater. Er hielt auf gut Essen und Trinken, einen warmen

Ofen und ausgiebige­n Schlaf. Ein gutes Glas Landwein, ein halb durchgebra­tenes Hammelkote­lett und ein Täßchen Mokka mit Kognak gehörten zu den Idealen seines Lebens. Er nahm seine Mahlzeiten in der Küche ein und zwar allein für sich, in der Nähe des Herdfeuers an einem kleinen Tische, der ihm – wie auf der Bühne – fix und fertig gedeckt hereingebr­acht werden mußte. Als er die Entdeckung machte, daß Karl einen roten Kopf bekam, wenn er Emma sah, war er sich sofort klar, daß früher oder später ein Heiratsant­rag zu erwarten war. Alsobald überlegte er sich die Geschichte. Besonders schneidig sah ja Karl Bovary nicht gerade aus, und Rouault hatte sich ehedem seinen künftigen Schwiegers­ohn ein bißchen anders gedacht, aber er war doch als anständige­r Kerl bekannt, sparsam und tüchtig in seinem Berufe. Und zweifellos würde er wegen der Mitgift nicht lange feilschen. Vater Rouault hatte gerade eine Menge großer Ausgaben. Um allerlei Handwerker zu bezahlen, sah er sich gezwungen, zweiundzwa­nzig Acker von seinem Grund und Boden zu verkaufen. Die Kelter mußte auch erneuert werden. Und so sagte er sich: „Wenn er um Emma anhält, soll er sie kriegen!“

Zur Weinlese war Karl drei Tage lang da. Aber Tag verging auf Tag und Stunde auf Stunde, ohne daß Karls Wille zur Tat ward. Rouault gab ihm ein kleines Stück Wegs das Geleite; am Ende des Hohlwegs vor dem Dorfe pflegte er sich von seinem Gaste zu verabschie­den. Das war also der Moment! Karl nahm sich noch Zeit bis zuallerlet­zt. Erst als die Hecke hinter ihnen lag, stotterte er los:

„Verehrter Herr Rouault, ich möchte Ihnen gern etwas sagen!“

Weiter brachte er nichts heraus. Die beiden Männer blieben stehen.

„Na, raus mit der Sprache! Ich kann mirs schon denken!“Rouault lachte gemütlich.

„Vater Rouault! Vater Rouault!“stammelte Karl.

„Meinen Segen sollen Sie haben!“fuhr der Gutspächte­r fort. „Meine Kleine denkt gewiß nicht anders als ich, aber gefragt werden muß sie. Reiten Sie getrost nach Hause. Ich werde sie gleich mal ins Gebet nehmen. Wenn sie Ja sagt, – wohlversta­nden! – brauchen Sie jedoch nicht umzukehren. Wegen der Leute nicht, und auch weil sie sich erst ein bißchen beruhigen soll. Damit Sie aber nicht zu lange Blut schwitzen, will ich Ihnen ein Zeichen geben: ich werde einen Fensterlad­en gegen die Mauer klappen lassen. Wenn Sie da oben über die Hecke gucken, können Sie das ungesehen beobachten!“

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