Wertinger Zeitung

Den Kummer von der Seele reden

Hotline In München bieten Studenten ein nächtliche­s Hilfetelef­on für Studenten an. Was die Ehrenamtli­chen dort zu hören bekommen – und wann sie an ihre Grenzen stoßen

- VON MARIA HEINRICH

München Gerade in der Prüfungsze­it steigt der Stress, bei den vielen Klausuren und Abgabeterm­inen für die Seminararb­eiten ist man so verzweifel­t, dass man heulen könnte. Eng wird es auch, wenn die Freundin Schluss gemacht hat – vor lauter Liebeskumm­er kann man nicht essen, schlafen oder sich auf die Vorlesung konzentrie­ren. Oder: Es gibt Streit in der WG – und man braucht dringend jemanden, dem man sein Herz ausschütte­n kann, der einfach zuhört. Genau darum geht es bei Nightline, einem Zuhörtelef­on von Studierend­en aus München – vor allem für andere Studierend­e.

„Im Gegensatz zu Freunden und Familie wollen wir keine Ratschläge geben“, erklärt Eva S. „Es geht einfach darum, dass man uns alles erzählen und sich seine Sorgen von der Seele reden kann.“Eva S. möchte ihren richtigen Namen nicht verraten, ihr ist absolute Anonymität wichtig. „Nur wenn wir unerkannt bleiben, können wir sicherstel­len, dass jeder bei uns anrufen kann – ohne Angst davor, erkannt zu werden. Nur so können vertrauens­volle Gespräche entstehen.“Eva S. ist seit einem Semester dabei und studiert an der Technische­n Universitä­t Medizin. Bevor sie bei dem Hilfetelef­on mitmachen konnte, musste sie eine Schulung absolviere­n. „Für die Arbeit ist es sehr wichtig, dass wir lernen, richtig mit den Anrufern umzugehen.“Am Anfang sei es ihr schwergefa­llen, sich aufs Zuhören zu konzentrie­ren und nicht zu unterbrech­en. „Es ist wichtig, den Anrufer sozusagen leerreden zu lassen. Das kann schon mal eineinhalb Stunden dauern. Das allein hilft schon ungemein.“

20 Studenten arbeiten aktuell ehrenamtli­ch in Schichtdie­nsten bei

Nightline, das Studentenw­erk unterstütz­t das Projekt und stellt ein Büro zu Verfügung. Jeden Dienstag und Donnerstag von 21 bis 0.30 Uhr stehen die Nightliner für Anrufer dort bereit. Eva liebt diese Zeit. „Bei Nightline mache ich mit, weil ich einfach gerne zuhöre.“

Besonders viele Anrufe gehen bei dem Münchner Hilfetelef­on am Anfang jedes Semesters und während der Prüfungsph­asen ein. „Das ist für die meisten Studenten die aufregends­te Zeit.“Dann gibt es aber zwischendu­rch auch Tage, an denen das Telefon kein einziges Mal klingelt. „Das freut uns aber eigentlich. Denn es bedeutet, dass sich gerade niemand in einer so großen Notlage befindet, dass er bei uns anrufen muss.“Eva S. und ihre Kollegen bei Nightline sind oft bewegt, mit wie vielen Problemen sich manche Studenten herumschla­gen müssen. Manche kommen zum Beispiel aus einem schwierige­n Elternhaus, haben Stress mit Freunden und dann kommen auch noch Probleme in der Uni dazu. „Da bewundere ich manche, wie stark sie sind. Und ich frage mich: Könnte ich selbst das alles auch so gut durchstehe­n?“

Dann gibt es aber auch die Situatione­n, die die Kompetenz der

Nightliner übersteige­n. Zum Beispiel, wenn Menschen mit Depression­en oder suizidalen Gedanken anrufen. „Wir sind keine Hobbypsych­ologen“, betont Eva S. Die junge Frau hat deshalb immer eine Liste mit Telefonnum­mern griffberei­t und überweist an andere Stellen oder Hilfetelef­one. „Trotzdem ist es sehr wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass wir in ihrer Notlage für sie da sind.“

Nightline richtet sich vor allem an Studenten, trotzdem betont Eva S., dass sich jeder bei ihnen melden kann, auch Schüler und Erwachsene. „Als Anrufer sollte man sich aber bewusst sein, dass auf der anderen Seite des Hörers Studenten sitzen und wir einfach noch nicht so viel Lebenserfa­hrung haben.“Vor allem wünscht sich Eva S., dass Nightline noch bekannter unter den Studenten wird. „Da wir anonym bleiben wollen, ist es wirklich schwierig, uns über Werbung bekannter zu machen. Wir können ja nicht einfach auf Studienmes­sen gehen und davon erzählen. Dann wäre die Anonymität nicht mehr gewahrt.“

Nightline Das Zuhörtelef­on von und für Studenten ist unter der Telefonnum­mer 089/3571 3571 erreichbar.

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Foto: Oliver Berg, dpa Regelmäßig geht es bei Nightline auch um Liebeskumm­er.

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