Wertinger Zeitung

Winzer spielen mit Orange-Wein

Genuss Die vierte Weinfarbe entsteht, wenn der Weiße wie der Rote hergestell­t wird: Die Traubenres­te geben mehr Aromen und Gerbstoffe ab

- VON PETER ZSCHUNKE

Roh, verstörend, anders – viele, die zum ersten Mal einen Orange-Wein trinken, verziehen das Gesicht. Wer sich aber einmal mit den auf der Maische vergorenen Weißweinen anfreundet, schätzt die besondere Geschmacks­erfahrung. Der Marktantei­l solcher Weine ist gering, liegt bei weniger als einem Prozent. Der Wunsch nach möglichst ursprüngli­cher Ernährung verstärkt nach Einschätzu­ng von Experten aber auch das Interesse an Orange-Weinen.

Deren Besonderhe­it ist, dass die Maische zunächst nicht vom Saft getrennt wird. Im Prinzip wird der Weißwein wie Rotwein hergestell­t. Kerne und ausgepress­te Beerenhaut haben so länger Zeit, Gerbstoffe und Aromen abzugeben. Fachleute sprechen von längerer Maischesta­ndzeit. So wie beim Rotwein die Farbe aus der Beerenhaut kommt, erhält der so ausgebaute Weißwein eine zarte Tönung, die zwischen bernsteinf­arben und orange changiert.

Manche Orange-Weine werden auch als Naturweine hergestell­t, also ohne jegliche Zusatzstof­fe wie Schwefel. Sie verwenden dann für die Gärung ausschließ­lich die Hefepilze,

die auf den Trauben liegen. Im konvention­ellen Weinbau werden hingegen Reinzuchth­efen eingesetzt, mit denen sich der Gärprozess präziser steuern lässt.

Die rheinhessi­sche Winzerin Hanneke Schönhals entdeckte den Orange-Wein in einer Berliner Weinbar. „Erst einmal war ich erschrocke­n über dieses Aroma“, erinnert sie sich. „Aber es hat mich nicht mehr losgelasse­n.“Als sie das Weingut ihres Vaters in Biebelnhei­m bei Alzey übernahm, legte sie 2016 ihren ersten Orange-Wein in ein Barrique-Fass. Das Ergebnis war vielverspr­echend genug, um in den folgenden Jahren die Menge zu steigern. „Es ist ein stetiges Wachstum auf kleinem Niveau“, sagt Schönhals. Der Fachhandel in Deutschlan­d habe sich noch nicht so sehr für Orange-Wein erwärmen können, aber in Dänemark gebe es eine große Nachfrage danach.

„Auf der einen Seite finde ich Orange-Weine total spannend, weil sie neue Geschmacks­erlebnisse bieten“, sagt der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands Ökologisch­er Weinbau, Ralph Dejas. „Auf der anderen Seite werden diese Weine aber wohl nie massenkonf­orm werden.“ Orange sei eine Spielwiese für viele Winzer, um experiment­elle Weine zu entwickeln. „Sie zeigen, welches Potenzial in einer Rebsorte steckt.“

Der Winzer Marc Weinreich hat dafür den Chardonnay ausgewählt. Sein Orange heißt „Des Wahnsinns fette Beute“und macht so von vornherein klar, dass den Weintrinke­r etwas ganz anderes erwartet. Er lässt die Trauben sechs Wochen auf der Maische gären und kostet in dieser Zeit manchmal täglich, wie sich der Geschmack entwickelt. „Es ist ein kontrollie­rtes Nichtstun“, beschreibt der in Westhofen bei Worms lebende Winzer dieses Verfahren.

Er vermarktet seine Natur- und Orange-Weine getrennt von den konvention­elleren Weinen, darunter auch einen „Pet Nat“, einen Schaumwein, der aus einem noch gärend abgefüllte­n Wein entsteht. Es gebe einen „dezenten Hype“für

Orange-Wein, sagt Weinreich. In Deutschlan­d relativ wenig gefragt, gehen 80 Prozent seiner Naturweine ins Ausland, vor allem nach Skandinavi­en und in die USA. In diesem Jahr sei auch Japan dazu gekommen.

Winzerin Schönhals verwendet für ihren Orange-Wein Trauben der Rebsorte Cabernet Blanc – eine neue Sorte, die zu den pilzwiders­tandsfähig­en Reben gehört, kurz Piwi genannt. „Diese Traube hat ganz viel Aromatik in der Schale – wenn man sie im Herbst probiert, ist das wie ein Kräutergar­ten.“Mit Blick auf die Gerbstoffe in der Traubenhau­t beschränkt sie die Maischegär­ung auf zwei bis drei Wochen.

„Die Idee ist, die Traube das machen zu lassen, was sie mitbringt und was sie von sich aus kann“, erklärt die Winzerin. Dazu gehören auch Enzyme, die den Zucker spalten und dabei Aromastoff­e freisetzen. „Die Trauben haben natureigen­e Enzyme – denen muss man Zeit geben, dass sie aktiv werden.“

Orange-Wein sei ein Nischenpro­dukt,

sagt der Vorsitzend­e des Vereins Rheinhesse­nwein, Thomas Schätzel. Die Zielgruppe sei überschaub­ar, gehe aber quer durch alle Generation­en und erreiche auch junge Weinfreund­e. Die neue rheinhessi­sche Weinkönigi­n Eva Müller hat bereits Orange-Wein ausgebaut und sagt: „Es ist etwas komplett anderes.“

Für Winzer sei es nicht ganz risikolos, den Wein teilweise über Monate sich selbst zu überlassen, erklärt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstit­ut. In diesem Prozess könnten sich auch Fehltöne entwickeln, die den Wein unverkäufl­ich machten. „Anderersei­ts ist diese Form der Weinbereit­ung sehr reizvoll für immer mehr Erzeuger, weil sie die Chance bietet, ausgesproc­hen komplexe und körperreic­he Weine abseits des Mainstream­s zu erzeugen.“Orange-Wein sei etwas für Querdenker und Freigeiste­r, bestätigt Hanneke Schönhals. Das Querdenken habe ihr die Mutter beigebrach­t. Als Referenz an deren niederländ­ische Herkunft nennt sie ihren Orange-Wein „Oranje“. „Man muss sich darauf einlassen und sich von allen Kategorien verabschie­den, die man gelernt hat.“

In Deutschlan­d wagen sich wenige an den Geschmack

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Fotos: Fiedler, Arnold,dpa Bernsteinf­arben leuchtet der Orange-Wein. Winzerinne­n wie Hanneke Schönhals spielen mit den Aromen aus der Schale der Cabernet-Blanc-Trauben.
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