Wertinger Zeitung

Vor Thüringen liegt noch ein steiniger Weg

Die politische Blockade ist zwar gelöst, aber alle beteiligte­n Parteien haben durch die Regierungs­krise von Erfurt gewaltigen Schaden genommen

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Über allen Gipfeln ist Ruh’“, beginnt Goethes berühmtes Gedicht „Wandrers Nachtlied“. Geschriebe­n hat er es auf den Höhen des Thüringer Waldes. Die Thüringer Politiker würden den Vers dieser Tage nach vier heftigen Wochen gerne über die Pforte des Landtages schreiben. Nach der Wahl Ramelows zum neuen und alten Ministerpr­äsidenten machte sich Erleichter­ung breit.

Doch sie ist trügerisch, diese Ruhe nach dem Sturm. Denn die Parteien und ihre Anführer sind bis auf wenige Ausnahmen beschädigt. Sie haben aus taktischen Spielchen, Machtverse­ssenheit und mangelnder Weitsicht das Vertrauen vieler Thüringer verspielt. Politik musste sich zu Recht den Vorwurf anhören, nichts weiter als Kasperleth­eater zu sein. Doch bloß weil Ramelow wieder in die Staatskanz­lei

eingezogen ist, wird der Schaden nicht wie von Geisterhan­d verschwind­en.

Die nächsten Monate bieten viele Anlässe dafür, dass die scharfen Auseinande­rsetzungen anhalten. Schon in der kurzen Rede des Regierungs­chefs von der Linksparte­i nach seiner Wahl offenbarte sich wie in einer Nussschale, dass die Atmosphäre in Thüringen vergiftet ist. Bei Ramelow haben die letzten Wochen Spuren hinterlass­en, die tiefe Furchen sind. Seine Familie brauchte Polizeisch­utz. Der ohnehin eitle 64-Jährige ist dünnhäutig geworden, reagiert oft launisch und unsouverän. Die Zwischenru­fe der AfD setzen ihm zu. Er ist zwar beliebt im Volk, aber Ärger macht ihm seine Partei. In überrasche­nd aufgetauch­ten Videos schwadroni­eren Parteianhä­nger von der Erschießun­g des reichsten Prozents der Bevölkerun­g oder der nötigen Schwächung der parlamenta­rischen Demokratie. Diese Vorfälle bestätigen genau jene Vorwürfe, die CDU, FDP und AfD gegen die Linke als SED-Erben vorbringen. Die Parteispit­ze in Berlin geht nicht mit Entschiede­nheit gegen diese Wirrköpfe vor.

Für Ramelow ist das ein Problem, weil es die Zusammenar­beit mit der CDU erschwert, die er für zentrale Projekte wie den Haushalt braucht, weil sein rot-rot-grünes Kabinett keine absolute Mehrheit im Landtag hat. An den Thüringer Christdemo­kraten zerrt auf der einen Seite die CDU-Führung in Berlin,

die eine Kooperatio­n mit der Linken ablehnt, und auf der anderen Seite die AfD. Die Rechtsauße­n treiben die Schwarzen mit dem Vorwurf, dem Sozialismu­s wieder in Amt und Würden zu verhelfen.

Die AfD sieht auf den ersten Blick wie der Sieger des Chaosmonat­s aus. Doch sie trampelte eben auch auf den parlamenta­rischen Gepflogenh­eiten herum, was auf konservati­ve Wähler abschrecke­nd wirken könnte. In den Umfragen

profitiert­e sie nur leicht von dem von ihr gestiftete­n Durcheinan­der. Aus diesem Grund verzichtet­e Landeschef Björn Höcke darauf, Thüringen ein zweites Mal ins Wanken zu bringen.

Die FDP hat sich zwischen Gera und Eisenach völlig unmöglich gemacht und schwebt in großer Gefahr, durch die für April 2021 geplanten Neuwahlen aus dem Parlament befördert zu werden. Bei der Ministerpr­äsidentenw­ahl blieben die vier Abgeordnet­en einfach sitzen und übernahmen keinerlei Verantwort­ung für das Unheil, das sie angerichte­t hatten.

Das Parteienge­füge bleibt also polarisier­t. Einsetzend­er Wahlkampf bringt regelmäßig eine weitere Zuspitzung, wodurch das Klima in spätestens einem halben Jahr noch rauer wird, als es ohnehin schon ist. Das Regieren wird also für Ramelow anstrengen­d und nervenraub­end. Anderen Bundesländ­ern steht das noch bevor, dem Bund vielleicht auch. Die Vöglein schweigen nicht mehr, wie in Goethes Zeilen. Das politische System verliert schnell an Stabilität.

Selbst die AfD musste am Ende nachgeben

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