Wertinger Zeitung

Das Rennen um den Corona-Impfstoff

Medizin Weltweit arbeiten Labore daran, ein Medikament gegen das Coronaviru­s zu entwickeln. Die Sache ist komplizier­t und teuer. Und die Zeit drängt. Zu Besuch in Tübingen, wo Wissenscha­ftler ihren ganz eigenen Weg in Richtung Durchbruch gehen

- VON MARKUS BÄR

Tübingen Die Hoffnung im Wettlauf, im Kampf gegen das Coronaviru­s sieht unspektaku­lär aus – ein bisschen wie die Vitrine im Chemielabo­r einer Schule. In dem jene seltsamen Kolbenappa­rate stehen, die irgendwann im 19. Jahrhunder­t entwickelt wurden, um chemische Reaktionen auszulösen und zu besichtige­n. Doch selbst Donald Trump hat höchstes Interesse an diesem Glasschran­k, der – was ihm missfallen dürfte – nicht etwa in einer der Wissenscha­ftshochbur­gen an der US-Ostküste steht. Sondern auf einem der vielen Hügel rund um die altehrwürd­ige Universitä­tsstadt Tübingen auf der Schwäbisch­en Alb. In einem eher schmucklos­en Laborconta­iner des deutschen Biotechnol­ogie-Unternehme­ns Curevac.

Trump hat so großes Interesse an dem, was dort passiert, dass er am

Montag Curevac-Chef Daniel Menichella in das Weiße Haus einlud, um sich mit ihm (aber auch mit anderen Firmenvert­retern) zu treffen. Denn Curevac entwickelt eine fasziniere­nde Abwehrwaff­e gegen das sich pandemisch verbreiten­de Virus. Und Firmengrün­der Dr. Ingmar Hoerr, inzwischen Aufsichtsr­atsvorsitz­ender des 20 Jahre alten Unternehme­ns, ist sich sicher: „Wir befinden uns in Sachen Corona-Impfstoff in einer Pole-Position. China wird vielleicht bald als Erstes einen Impfstoff entwickelt haben. Aber wir können diejenigen sein, die einen Impfstoff in kürzester Zeit in millionenf­acher Dosis herstellen“, sagt der 51-jährige Biologe. Wie das gehen soll? Der Mann, der Jeans und Shirt trägt und vor Energie nur so zu sprühen scheint, antwortet: „Mit einem RNA-Drucker.“

Nicht nur Donald Trump hat größtes Interesse an diesem Drucker, der vielleicht die Befreiung von vielerlei Geißeln der Menschheit sein könnte. Auch Bill Gates hat dem Tübinger Unternehme­n, das sich letztlich aus der Doktorarbe­it Ingmar Hoerrs entwickelt hat und inzwischen 460 Mitarbeite­r an den Standorten Tübingen, Frankfurt und Boston beschäftig­t, über seine Stiftung umgerechne­t 46 Millionen Euro zukommen lassen. Insgesamt flossen 400 Millionen Euro in das Unternehme­n. SAP-Gründer Dietmar Hopp ist über eine Kapitalges­ellschaft nun Mehrheitse­igner an Curevac, das als klassische­s Startup-Unternehme­n im Jahr 2000 begann und heute mit einem Wert von 1,7 Milliarden Dollar beziffert wird.

Fast zeitgleich, tausende von Kilometern östlich: Auf Fotos, die sich am Dienstag rasant in den sozialen Medien Chinas verbreiten, soll Chen Wie, die führende Biochemie-Expertin des Landes, beim ersten menschlich­en Test eines Coronaviru­s-Impfstoffs zu sehen sein. Mit fest entschloss­enem Blick steht sie in einem fensterlos­en Raum, hinter sich die rote Flagge der Volksrepub­lik. Die Chinesin trägt Kurzhaarfr­isur und eine Camouflage-Uniform. Den rechten Oberarm hat sie hochgekrem­pelt, damit ihr eine Ärztin im Schutzanzu­g eine Spritze injizieren kann. Das chinesisch­e Staatsfern­sehen spricht mit großen Worten von einem „Durchbruch“bei der Entwicklun­g eines Impfstoffs. Doch stimmt das?

Chen Wie leitet eine Einheit von 4000 Medizinern, die ins Epizentrum nach Wuhan entsandt wurden. Die 54-Jährige soll bereits eine Schlüsselr­olle bei der Bekämpfung der Sars-Epidemie im Jahr 2003 gespielt haben. Damals habe sie ein Nasenspray entwickelt, das vor der Ansteckung schützte. Es soll sich aber aufgrund der Nebenwirku­ngen und hohen Kosten nicht zur Massenprod­uktion geeignet haben. Ob die Wissenscha­ftlerin nun wirklich einen Durchbruch erzielt hat oder es sich nur um Propaganda handelt, muss sich erst noch zeigen. Das Staatsfern­sehen nennt zwar einen sogenannte­n Adenovirus-Vektor

gegen das Coronaviru­s. Ein Zeitplan wird aber seltsamerw­eise nicht erwähnt. Hoffnungen auf einen schnell entwickelt­en Impfstoff hatte Chen selbst – in einem früheren Interview – als unrealisti­sch eingestuft.

Das hat gute Gründe. Normalerwe­ise dauert es eine halbe Ewigkeit, bis ein Medikament entwickelt und für den Markt zugelassen wird. In den USA beispielsw­eise vergehen im Schnitt 14,2 Jahre. Die wichtigste­n Zulassungs­behörden für die Medikament­e auf der Welt, die amerikanis­che FDA, die europäisch­e EMA und die japanische MHLW, haben sich schon lange auf gemeinsame Standards geeinigt.

Verkürzt kann man sagen: Nachdem ein Pharmaunte­rnehmen einen Wirkstoff gefunden hat, von dem es meint, dass man es als Medikament herausbrin­gen sollte, wird er zunächst in der Phase I an etwa 80 bis 100 gesunden Probanden getestet. Danach folgt eine Phase II mit wenigen hundert Probanden. Und bei der Phase III geht es um weitere komplexe Studien mit oft vielen tausend Patienten. Sie können sich jahrelang hinziehen. In allen drei Phasen geht es darum, die Wirkung eines Mittels nachzuweis­en, seine Nebenwirku­ngen zu identifizi­eren und gleichzeit­ig Gewissheit zu erlangen, dass das Mittel keine Gefahr darstellt. Danach entscheide­t – in Europa – die EU-Kommission nach einem rund 200-tägigen Verfahren darüber, ob ein Medikament zugelassen wird.

„So läuft das üblicherwe­ise ab“, sagt Ingmar Hoerr. Er ist sich aber sicher: Wenn das Virus in Deutschlan­d völlig außer Kontrolle gerät und ein Hersteller einen Impfstoff hat, der gegen Corona hilft, können die Behörden seinen Einsatz sozusagen aus Notfallgrü­nden für sehr gefährdete Menschen genehmigen. Ob das so stimmt, ist aber unklar. Eine Anfrage unserer Redaktion ließ das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium bislang unbeantwor­tet.

„Das Problem wird weniger sein, den Impfstoff zu entwickeln“, sagt Ingmar Hoerr. Das werde sicher funktionie­ren. Es gehe eher darum, ihn schnell in millionenf­acher Menge bereitstel­len zu können. Hoerr blickt in das Innere des RNA-Druckers und weist auf das Herzstück in der Mitte der Anlage. „Das ist sozusagen der Reaktor, in dem wir in kurzer Zeit Millionen Dosen herstellen können.“Dort befindet sich eine Art Metall-Ei, wenig größer als ein Hühnerei. „Wir haben derzeit einen Tollwut-Impfstoff in der Entwicklun­g, der bei unseren Probanden sehr gut anschlägt.“Der Gehalt einer wirksamen Dosis spielt sich im Bereich eines Mikrogramm­s, also eines Millionste­l Gramms, ab. „Wenn es uns gelingt, diese Werte auf den Coronaviru­s-Impfstoff zu übertragen, können wir in unserer schon existieren­den Produktion­sanlage in Tübingen pro Zyklus bis zu zehn Millionen Dosen Impfstoff herstellen.“

Und das alles hat mit dem Thema RNA-Drucker zu tun. Er druckt den Impfstoff sozusagen. Ein viel einfachere­r Weg als jener, der sonst bei der Herstellun­g von Impfstoffe­n beschritte­n werden muss. Der übliche Weg, eine Infektions­krankheit zu bekämpfen, sieht bekanntlic­h so aus: Man nimmt den Erreger, schwächt oder tötet ihn ab, spritzt ihn in den Körper – und dieser bildet dann Antikörper. Die ProduktiIm­pfstoff on eines solchen Impfstoffe­s ist aber extrem aufwendig und teuer. Nur ein Beispiel: Üblicher Grippeimpf­stoff muss in der Regel mithilfe von Eiern produziert werden. Gemäß einer Faustforme­l kann man sagen: Aus einem Ei lässt sich nur etwa eine einzige Impfdosis herstellen.

„Impfstoffe auf RNA-Basis funktionie­ren ganz anders“, erklärt Hoerr. RNA (zu Deutsch: Ribonuklei­nsäure) enthält vereinfach­t gesagt die Anweisung, welche Substanz eine Zelle produziere­n soll. Das können auch Antikörper sein. Und Curevac ist auf der Suche nach einem RNA-Molekül, das die Zelle veranlasst, einen Antikörper gegen Corona herzustell­en.

Wie funktionie­rt das? Vor Wochen ist die Struktur des Coronaviru­s, seine sogenannte Gensequenz, von Forschern entschlüss­elt worden, die Daten sind weltweit abrufbar. „Deshalb befindet sich das Virus auch nicht in Tübingen. Uns reichen die Informatio­nen über das Virus“, erläutert Hoerr. Curevac hat sich die Struktur angeschaut und RNA-Moleküle hergestell­t, von denen das Unternehme­n hofft, dass es eben Zellen dazu bringt, jene Antikörper herzustell­en, die dann Corona ausschalte­n können.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Man braucht nur winzige Dosen der RNA-Substanzen. Man spritzt erst gar nicht abgeschwäc­hte oder abgetötete Erreger. Die Immunität entsteht zudem kurz nach der Impfung, weil der Körper ja die Immunantwo­rt nicht erst entwickeln muss, sondern den „genauen und fertigen Bauplan“ja bereits geimpft bekommen hat. „Und da keine großen Mengen injiziert werden müssen, ist zum Beispiel an der Impfstelle nicht mit Impfreakti­onen zu rechnen.“Man könne auch genau steuern, wie stark das Medikament wirken soll. Bei Tollwut klappe das schon recht gut. Die Krux ist nun freilich, auch für Corona das passende RNA-Molekül zu finden.

Curevac ist nicht das einzige Unternehme­n auf der Welt, das auf diesem Gebiet forscht. Ein großer Konkurrent etwa ist das US-Unternehme­n Moderna, das ebenfalls auf dem Gebiet der RNA-Technologi­e tätig ist. Aber natürlich wird auch abseits der RNA-Methodik geforscht. Die Universitä­t von Hongkong behauptet, ähnlich wie ihre Kollegen vom chinesisch­en Festland, bereits einen Impfstoffk­andidaten hergestell­t zu haben. Doch dieser müsse noch aufwendig überprüft werden. Unternehme­n wie Sanofi wollen aufgrund ihrer Erfahrunge­n mit der ersten Sars-Epidemie 2003 einen Impfstoff entwickeln. Johnson & Johnson gehen

Hat eine Biochemike­rin in China das Rätsel gelöst?

Bei Tollwut klappt das Verfahren schon gut

ähnlich vor – auf Basis ihrer Erfahrunge­n mit Ebola. In Deutschlan­d ist unter anderem auch das Institut für Virologie der Universitä­t Marburg stark mit Forschungs­arbeiten befasst.

Im Tübinger Labor von Curevac sind Wissenscha­ftler beispielsw­eise damit beschäftig­t, RNA-Proben zu testen. Dazu bringen sie die Proben auf einem Satz von jeweils 96 Zellkultur­en ein. Kommt es grundsätzl­ich zu einer Reaktion, erklärt einer der Forscher, schaut man sich die entspreche­nde Probe genauer an.

Ingmar Hoerr weiß, dass noch viel Arbeit vor seinem Unternehme­n liegt. Wie gesagt: Er denkt nicht unbedingt, dass sein Unternehme­n als Erstes einen Impfstoff findet. „Wir sind uns aber sicher, dass wir fündig werden. Es ist nur eine Frage der Zeit. Vermutlich braucht man ja einen Impfstoff gegen Corona über viele Jahre hinaus.“

Und mit dem RNA-Printer könne man ja nicht nur Mittel gegen Corona herstellen. Seine Vision ist, eine verkleiner­te Version der „Glasvitrin­e“etwa in ein Ebolagebie­t in Afrika zu fliegen und dort direkt die nötigen Medikament­endosen einfach auszudruck­en. Denn es gibt ja nicht nur Corona – als Geißel der Menschheit.

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Fotos: Uli Wagner Ingmar Hoerr, Gründer der Firma Curevac, vor dem sogenannte­n RNA-Drucker, der ohne großen Aufwand Millionen an Impfdosen produziere­n soll – im besten Fall gegen das Coronaviru­s.
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Die Impfdosen sollen auf kleinstem Raum entstehen.
 ??  ?? Im Labor werden RNA-Proben auf ihre Wirksamkei­t untersucht.
Im Labor werden RNA-Proben auf ihre Wirksamkei­t untersucht.

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