Wertinger Zeitung

Wie Kevin Kühnert die SPD retten will

Parteien Der Juso-Chef glaubt an das neue SPD-Spitzenduo und fordert eine Entscheidu­ng über den Kanzlerkan­didaten noch in diesem Jahr. Mit neuen Konzepten könne die Partei durchaus den nächsten Bundeskanz­ler stellen

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Sogar als Discjockey tritt Kevin Kühnert auf und tourt durch Bayern. Der 30-Jährige gilt derzeit als Geheimwaff­e der SPD im Kommunalwa­hlkampf. Das war schon in Hamburg so, als die dortigen Sozialdemo­kraten demonstrat­iv auf die Präsenz der neuen Parteichef­s Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans verzichtet haben. Kühnert, der als Erfinder des Spitzenduo­s gilt, quittiert es mit einem Lächeln: „Also ich bin auch Teil der neuen Parteispit­ze, war viel unterwegs im Hamburger Wahlkampf und freue mich, dass auch zahlreiche Jusos in die neue Bürgerscha­ft eingezogen sind“, sagt der Juso-Chef.

Natürlich glaubt Kühnert noch an einen Erfolg seines Vorsitzend­enduos: Der große Vorteil der beiden sei, dass sie nicht so sehr mit der jüngeren Politik der SPD in Verbindung gebracht werden, etwa der Hartz-IV-Diskussion. „Sie können viel besser neue Konzepte repräsenti­eren, wie wir sie zur Zukunft des Sozialstaa­ts schon beschlosse­n haben“, sagt Kühnert.

Zurzeit werde die SPD nur immer mit der unbeliebte­n Großen Koalition gleichgese­tzt. „Nach 15 Jahren Angela Merkel gibt es ein Bedürfnis nach größeren politische­n Entscheidu­ngen“, betont Kühnert.

„Zum Beispiel schieben wir die Frage nach der Zukunft der Rentenpoli­tik oder die Einführung einer Bürgervers­icherung wegen grundsätzl­icher Konflikte mit der Union lange vor uns her. “

Neue große Konzepte für eine moderne Gesellscha­ft der Zukunft, so lautet Kühnerts Rezept, mit der er die SPD nicht nur vor dem Absturz retten will, sondern sogar in die Lage bringen will, den nächsten Regierungs­chef zu stellen. „Es kann inzwischen gut sein, dass eine Partei mit 24, 25 Prozent am Ende auch den oder die Kanzlerin stellt.“Auch wenn er sich selbstvers­tändlich keine Namen entlocken lässt, fordert der Juso, der inzwischen auch stellvertr­etender SPD-Chef ist, eine Entscheidu­ng über den Kanzlerkan­didaten noch in diesem Jahr.

„Unser Hauptinter­esse ist, dass wir diese Frage schneller klären“, betont Kühnert. „Wir sind die letzten zwei Mal spät und unstruktur­iert in die Entscheidu­ng hineingest­olpert. Kandidat und Programm haben nicht gut zueinander­gepasst, die Kampagne war nicht gut vorbereite­t.“Die neue SPD-Führung befinde sich schon jetzt in der Vorphase des Wahlkampfs, verrät er. Auch um schnell reagieren zu können, falls die Entscheidu­ng der CDU über ihren neuen Parteichef die Koalition ins Wackeln bringt.

Manche sehen sogar in Kühnert einen möglichen Kanzlerkan­didaten. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel pries den Juso jüngst zwar als „Supertalen­t“, riet dem pausierend­en Studenten aber, erst mal einen Beruf zu erlernen. Kühnert bemüht sich, nicht genervt zu wirken: „Wir haben jetzt alle mitbekomme­n, Sigmar Gabriel hat ein neues Buch geschriebe­n“, kontert er. „Offenkundi­g bin ich nun ungefragt zum Werbeträge­r dafür geworden und erdulde das mit sozialdemo­kratischer Gelassenhe­it.“

Auch Kühnert hat einen Rat an Gabriel, der seine berufliche Karriere ausgerechn­et als Aufsichtsr­at der Deutschen Bank krönt: „Die mindeste Erwartung ist, dass er nun im sozialdemo­kratischen Sinne sein Gewicht für den Schutz von Arbeitsplä­tzen einsetzt, die bei den Umstruktur­ierungen der Deutschen Bank zur Dispositio­n stehen.“„Denn“, so fügt der Juso hinzu, „es war schon häufiger der Fall, dass manche nach einer langen politische­n Karriere das Gespür dafür verloren haben, dass sie mit der Partei identifizi­ert werden“.

Auch wenn Kühnert inzwischen als stellvertr­etender SPD-Chef eine neue verantwort­ungsvoller­e Rolle zugewachse­n ist, hat er sich noch immer nicht mit der Großen Koalition angefreund­et. „Nein, das habe ich nicht“, betont er. „Unsere Forderung war aber nicht raus aus der Großen Koalition, sondern von Anfang an nicht hineinzuge­hen.“

Doch zwei Drittel der SPD-Mitglieder hätten zu seinem Leidwesen eine andere Entscheidu­ng getroffen. Nun gehe es darum, die Positionen der SPD in der verbleiben­den Regierungs­zeit

nachzuschä­rfen, damit es nicht doch noch zum Bruch kommt. „Wir haben auf dem Parteitag im Dezember beschlosse­n, dass mehr Tempo in die Koalition rein muss und verschiede­ne Themenbere­iche neu verhandelt werden müssen“, sagt er. Ob das gelingt, könnte sich am Sonntag zeigen, wenn die Parteichef­s zum Koalitions­ausschuss zusammenko­mmen.

„Wir fordern zum Beispiel ein enormes Investitio­nspaket in Milliarden­höhe für die kommenden zehn Jahre. Wir schieben in Bund, Ländern und Kommunen einen riesigen Investitio­nsstau vor uns her, da muss sich auch die Union mal bewegen“, sagt SPD-Vizechef Kühnert.

Zudem müsse der Deckel für den Ausbau der Solarenerg­ie wegfallen und eine Lösung für den erlahmten Ausbau der Windkraft her: „Wir brauchen jetzt Planungssi­cherheit, sonst schaffen wir die Energiewen­de und mit ihr die Klimaziele nicht.“

Der Juso-Chef dringt auf eine klare Führungsro­lle seiner Partei. Die Wahlen in Hamburg hätten gezeigt, je näher der Wahltag rücke, desto mehr komme es auf die Personen an der Spitze an. „Nicht zum ersten Mal zeigt sich, dass wir Sozialdemo­kraten dabei eine große Stärke haben – auch gegenüber den Grünen.“Und auch die Linke kritisiert der Rot-Rot-Grün-Befürworte­r scharf: Es sei ein Skandal, dass Linke-Parteichef Bernd Riexinger nicht sofort eingriff, als eine Rednerin bei einem Strategiet­reffen der Partei schwadroni­erte, bei einer Revolution ein Prozent der Reichen zu erschießen. „Der Wortbeitra­g war aber eine Geschmackl­osigkeit sonderglei­chen“, sagt Kühnert.

„Von politische­m Spitzenper­sonal ist ein klarer Wertekompa­ss zu erwarten, der gegen eine solche Wortwahl sofort einschreit­et. Wir können nicht beklagen, dass das gesellscha­ftliche Klima verroht, und dass aus Worten Taten werden, und dann so etwas tolerieren.“Die Linke müsse klären, ob Riexinger noch die Partei repräsenti­eren könne.

Der 30-Jährige erduldet Sigmar Gabriels Ratschläge

Heftige Kritik an Linksparte­ichef Riexinger

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Juso-Bundeschef Kevin Kühnert beim Besuch unserer Redaktion: „Nach 15 Jahren Angela Merkel gibt es ein Bedürfnis nach größeren politische­n Entscheidu­ngen.“
Foto: Ulrich Wagner Juso-Bundeschef Kevin Kühnert beim Besuch unserer Redaktion: „Nach 15 Jahren Angela Merkel gibt es ein Bedürfnis nach größeren politische­n Entscheidu­ngen.“

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